Die Lehren aus Redtube

Abmahn-Wahn Zehntausende Porno-Gucker sollen zahlen, wegen angeblicher Verstöße gegen das Urheberrecht. Wir brauchen eine Klarstellung im Gesetz - und einen öffentlichen Porno-Kanal
Ist das jetzt verboten oder erlaubt?
Ist das jetzt verboten oder erlaubt?

Foto: Imago / Granata Images

Die Huffington Post Deutschland hat offenbar nichts verstanden. Als bekannt wurde, dass Nutzer des Porno-Portals Redtube wegen angeblicher Verstöße gegen das Urheberrecht abgemahnt wurden, veröffentlichte das Online-Magazin eine Art Service-Artikel, wie man denn nun andere Sex-Internetseiten finde. Als ob Redtube geschlossen worden wäre. Als ob man auf anderen Seiten vor Abmahnungen geschützt wäre.

Deutschland erlebt derzeit die größte Abmahnwelle seiner Geschichte. Zehntausende Internetnutzer wurden aufgefordert, 250 Euro zu zahlen und eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Am Wochenende hat die Abmahn-Kanzlei dann angekündigt: Redtube war nur ein „Testballon“. Demnächst wolle man auch gegen Nutzer anderer Portale vorgehen. Wird demnächst ganz Deutschland in die Geiselhaft der Abmahn-Industrie genommen? Die Politik muss dringend handeln und klarstellen: Streaming ist erlaubt.

Die Masche mit der Scham

Bislang ist das eine rechtliche Grauzone, es gibt kein abschließendes Urteil über das Angucken von urheberrechtlich geschützten Material. Diese Unsicherheit über die Rechtslage wird von der Abmahn-Industrie ausgenutzt, die gezielt Urheber anspricht und ihre Dienste anbietet.

Grundsätzlich ist es richtig, dass Anwälte ihre Dienste anbieten, wenn sie sehen, dass jemand möglicherweise in seinen Rechten verletzt wird. Niemand würde sich aufregen, wenn es um die Rechte von Geringverdienern oder Flüchtlingen ginge.

Bei den Abmahnungen sind jedoch zwei andere Punkte problematisch: Zum einen wird Geld verdient mit der Unwissenheit der Bürger. Zum anderen mit der Scham, als Porno-Gucker enttarnt zu werden. Wie viele Menschen haben wohl schon gezahlt, bevor ein weiterer Brief kommt, den möglicherweise der Ehemann oder die Ehefrau liest?

Überforderte Richter

Was lässt sich aus der Redtube-Affäre lernen? Erstens: Viele Richter sind mit dem derzeit noch gültigen Urheberrecht im Internetzeitalter offenbar überfordert und müssen besser geschult werden. Zweitens: Ein Streaming-Verbot ist nicht vereinbar mit den grundlegendsten Prinzipien des Internets. Und drittens: Das Urheberrecht muss grundlegend reformiert werden, auf Dauer sollte es einen öffentlich finanzierten Porno-Kanal geben.

Das Kölner Amtsgericht hat erlaubt, dass die Abmahn-Kanzlei die Namen der Porno-Gucker bekommt - mit Hilfe der IP-Adressen. Wie die Kanzlei an die IP-Adressen gekommen ist, darüber schweigt sie sich aus.

Offenbar haben die Richter aber nicht verstanden, dass es sich bei Redtube um einen Streaming-Dienst und nicht um eine Tauschbörse handelt. Die Nutzer gucken also nur Pornos und bieten sie nicht gleichzeitig zum Download an, wie dies bei Tauschbörsen in der Regel der Fall ist. Wenn die Richter in ihrer Entscheidung dennoch von einer Tauschbörse sprechen, sind sie mit dem aktuellen Urheberrecht anscheinend überfordert.

Internet ohne Streaming geht nicht

Die normalen Internetnutzer sowieso. Redtube funktioniert im Prinzip so wie Youtube, verschiedene Anbieter stellen dort ihre Videos ein. Wie soll ich erkennen, bei welchem Clip der Urheber die Verbrietung erlaubt hat und bei welchem nicht? Es ist schlicht unmöglich. Es ist auch keinesfalls so, dass man davon ausgehen könnte, dass alle Redtube-Videos illegal eingestellt worden wären. Es gibt durchaus Anbieter, die ihre Videos auf Kostenlos-Portale stellen, um Werbung für die eigene Seite zu machen.

Problematisch an einem Streaming-Verbot ist aber vor allem, dass es dem Gedanken des Internets widerspricht. Wenn ich einen Link anklicke, „streame“ ich die Webseite samt Text und Bildern. Wenn ich hinter jedem Link urheberrechtlich geschütztes Material vermute, darf ich gar nicht mehr surfen. Oder anders formuliert: Wenn Streamen verboten wäre, bräuchte ich nur ein Video auf meine persönliche Internetseite stellen und könnte alle Leute abmahnen, die sich auf meine Seite verirren.

Eine neue Kulturflatrate

Perspektivisch muss sich am Urheberrecht natürlich viel mehr ändern. In einer Zeit, in der Kopieren fast keine Kosten mehr verursacht und auch nur mit drakonischer Internet-Überwachung zu verhindern ist, müssen neue Geschäftsmodelle für Medien und Kultur gefunden werden, etwa eine Kulturflatrate.

Das Prinzip des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – unabhängig vom Staat und dennoch von der Allgemeinheit finanziert – sollte auf andere Bereiche übertragen werden. Nur so lassen sich Medien und Kultur in Zukunft finanzieren, übrigens auch die Pornografie. Ein aus Geldern der Allgemeinheit bezahlter Porno-Kanal im Internet: Das wäre doch mal ein mutiges Projekt für die neue Bundesregierung!

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