Eine Lizenz geht um die Welt

Forschung Hochschulen verkaufen ihre Entwicklungen an Pharmakonzerne. Drei Universitäten fordern nun Sozialklauseln, damit auch der globale Süden an Medikamente kommt
Ausgabe 26/2015

Es geht nicht nur um Bürokratie und trockenen Text. Es geht auch um Leben und Tod. In den Entwicklungsländern. Und darum, was deutsche Hochschulen damit zu tun haben. An der Universität Freiburg werden bald Leitlinien für die Patentierung von Erfindungen beschlossen. Die Wissenschaftler forschen etwa an Medikamenten; künftig sollen die Ergebnisse nur noch unter bestimmten Voraussetzungen an Pharmakonzerne gegeben werden. So sollen die Unternehmen verpflichtet werden, die Medikamente in Entwicklungsländern günstiger abzugeben, damit arme Menschen sie sich leisten können.

Für diese Sozialklausel hat sich auch Nora Lennartz eingesetzt. Die 26-jährige Studentin der Medizin engagiert sich in der Freiburger Ortsgruppe von Universities Allied for Essential Medicines, kurz UAEM. „Unser Ziel ist, dass Medikamente für alle bezahlbar sind und dass vernachlässigte Krankheiten besser erforscht werden.“ Bislang entwickeln Pharmakonzerne hauptsächlich Mittel gegen häufige Krankheiten in Industriestaaten. Die Menschen im globalen Süden haben zu wenig Geld, daher rentiert sich die Forschungsarbeit häufig nicht.

Hilfe für Millionen

Aber auch der Preis von Arzneien ist ein Problem. Durch Patente können die Konzerne ihre teilweise lebenswichtigen Mittel zu jedem beliebigen Preis verkaufen. Für viele Menschen in Entwicklungsländern werden die Medikamente dadurch unerschwinglich. Claudia Jenkes von der industriekritischen BUKO Pharma-Kampagne beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesem Thema und erzählt, dass Aids-Medikamente vor 15 Jahren mehr als 10.000 Euro kosteten. Für ärmere Länder hätten die Unternehmen einen Preis von 2.000 Euro angeboten. „Aber das war natürlich immer noch viel zu teuer für viele Menschen in Afrika.“ Heute sei das Patent abgelaufen, Indien produziere Nachahmungspräparate und verkaufe sie für weniger als 100 Euro. Das sind die realen Kosten für die Herstellung. Mehr als zehn Millionen Menschen können so behandelt werden.

Nur: Irgendwann wird der Körper resistent, daher gibt es inzwischen neuere Medikamente und diese sind wiederum patentiert. Die Unternehmen machen ihren Profit auf Kosten der Armen – oft auch mit Hilfe von Forschung öffentlicher Universitäten. Doch immer mehr Hochschulen wollen nicht mehr mitspielen und setzen auf sogenanntes Equitable Licensing.

Die Unis patentieren ihre medizinischen Forschungsergebnisse, verkaufen die Patente aber nicht, sondern vergeben nur Nutzungslizenzen an Unternehmen. Diese können mit den Ergebnissen dann ein marktreifes Medikament entwickeln. Allerdings wird im Lizenzvertrag geregelt, dass die Arzneien auch in Entwicklungsländern zugänglich sein müssen, beispielsweise durch eine Preisstaffelung nach Staaten. Außerdem kann sich die Universität vorbehalten, die Erfindung auch noch an andere Unternehmen zu geben, um den Zugang in ärmeren Ländern zu gewährleisten. In Großbritannien und den USA ist das Modell des Equitable Licensing laut UAEM schon relativ weit verbreitet. Deutschland steht jedoch noch am Anfang.

Keine Angst vor Wettbewerb

In Münster und Tübingen gibt es bereits eine Sozialklausel in den Patentleitlinien, Freiburg wird im kommenden Monat wahrscheinlich zur dritten Universität. Die geplante Klausel ist stärker und verbindlicher formuliert als die beiden anderen. Die sind nämlich wachsweich. In den Leitlinien der Uni Tübingen heißt es lediglich, die Hochschule „begrüßt prinzipiell die Möglichkeit von Equitable-Licensing-Modellen“. In der Münsteraner Patentstrategie ist zu lesen, „in der Regel“ würden solche Lizenzverträge „angestrebt“.

Die Sozialklausel in Freiburg ist deutlicher. Der Entwurf liegt dem Freitag vor, darin heißt es: „Die Universität Freiburg verpflichtet sich, beim Technologietransfer und insbesondere der Vergabe von Lizenzen nach dem Vorbild des Social Responsible Licensing zu handeln. Sie wird die Verwertung so führen, dass der Umgang mit geistigem Eigentum nicht zu einem Hindernis für die weitere Forschung führt und dass der Zugang zu Forschungsergebnissen und den daraus resultierenden Endprodukten, insbesondere für Arzneimittel, Impfstoffe oder Diagnostika, für alle Menschen gefördert wird.“

Nora Lennartz von UAEM ist zufrieden. „Vieles von unseren Forderungen wurde übernommen.“ Sie sagt aber auch: „Wir hätten uns noch mehr gewünscht.“ Beispielsweise solle die Uni verlangen, dass Medikamente in bestimmten Ländern zum Selbstkostenpreis verkauft werden. Zudem sollten die Lizenzverträge für die Öffentlichkeit einsehbar sein und die Regeln müssten auch für sämtliche Ergebnisse aus Forschungskooperationen mit anderen Einrichtungen gelten.

Es gibt aber Bedenken: Wenn die Uni zu viele Auflagen verlangt, sind die Ergebnisse für Konzerne nicht mehr so attraktiv, die Uni bekommt weniger Geld, verliert womöglich im Konkurrenzkampf mit anderen Hochschulen. Professor Bernhard J. Arnolds sieht darin kein Problem. Er leitet an der Uni die Zentralstelle für Technologietransfer und hat den Antrag für die Sozialklausel zusammen mit einer Kollegin eingebracht. „Ich habe keine Angst vor dem Wettbewerb“, sagt er. „Wenn die Klauseln an großen US-amerikanischen Unis wie Harvard möglich sind, warum dann nicht auch hier?“ Trotzdem ist er der Meinung, dass alle deutschen Hochschulen mitziehen sollten, aus ethischen Gründen.

Er hat eine andere Befürchtung: Wenn die Pharmafirmen weniger Geld verdienen, lohnt sich vielleicht die Entwicklung von Medikamenten nicht mehr. Das sieht Nora Lennartz anders: „Es ist doch schon heute so, dass die Konzerne an den wirklich wichtigen Krankheiten in den ärmeren Ländern kein Interesse haben.“ Und wie ließe sich das ändern? „Die Chance wäre, dass es künftig mehr öffentliche Forschung gibt.“ Sollten Patente dann ganz abgeschafft werden, weil die Allgemeinheit die Forschungskosten schon bezahlt hat? „Das ist ein großer Diskussionspunkt in unserer Gruppe“, sagt Lennartz. Sie ist aber pragmatisch: „Da das Patentsystem so eingefahren ist, schauen wir, wie wir mit dem System zu sinnvollen Ergebnissen kommen.“ Die Sozialklausel ist da ein erster Schritt.

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