"Große Unterschiede in der Effektivität"

Tierschutz Statt an das lokale Tierheim sollten wir lieber an Organisationen spenden, die sich für weniger Leid durch die Massentierhaltung einsetzen, sagt Experte Stefan Torges
Armes Schwein
Armes Schwein

Foto: Philippe Huguen / AFP / Getty Images

Wie können Tierfreunde am effektivsten handeln, um das Leid möglichst vieler Lebewesen zu reduzieren? Dieser Frage widmet sich ein Kongress am Wochenende, zu dem 300 Aktivisten, Wissenschaftler und Interessierte in Berlin erwartet werden. Stefan Torges hat die Konferenz mit organisiert.

Der Freitag: Herr Torges, Sie wollen diskutieren, welche Strategien am effektivsten sind. Versuchen nicht alle Tierschützer und Tierrechtler, das beste für die Tiere herauszuholen?

Stefan Torges: Ursprünglich dachte ich auch, dass sich alle Organisationen darüber Gedanken gemacht hätten, wie sie ihre Mission am besten erfüllen können. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass es große Unterschiede in der Effektivität zwischen verschiedenen Organisationen gibt. Zum Beispiel gibt es sehr viel mehr sogenannte Nutztiere in der Massentierhaltung als es hilfsbedürftige Haustiere gibt. Trotzdem spenden die meisten Leute an das lokale Tierheim und nicht an Organisationen, die sich für bessere Bedingungen in der Massentierhaltung einsetzen.

Ich sollte also besser für die Tiere in Agrarfabriken spenden?

Zumindest wenn man davon ausgeht, dass Kühe oder Schweine auf eine ähnliche Art und Weise Schmerz empfinden und leiden wie Katzen oder Hunde. Jedes Jahr werden allein in Deutschland viele Millionen Tiere in der Massentierhaltung großgezogen und geschlachtet. Daher sind Spenden an Hilfsorganisationen in diesem Bereich effektiver als Spenden an Tierheime, in denen weit weniger Tiere leben.

Wenn es darum geht, so vielen Lebewesen wie möglich ein gutes Leben zu ermöglichen, zählen dann alle Tiere gleich viel, egal ob Pferd oder Mücke?

Das ist eine schwierige Frage, die wir auch auf der Konferenz diskutieren wollen. Vieles ist noch ungeklärt, etwa, ob es überhaupt Leid bei wirbellosen Tieren gibt. Klar ist aber, dass es Unterschiede gibt. Ein Pferd lebt in einem komplexen sozialen Gefüge, baut eine Beziehung zu Geschwistern oder Eltern auf, da hat das Leiden höchstwahrscheinlich eine andere Qualität als bei Mücken.

Die Konferenz wird organisiert von Sentience Politics, einem Projekt der Stiftung für Effektiven Altruismus. Warum sollten sich Altruisten überhaupt um Tiere kümmern? Manche sagen doch auch: Mir geht es hauptsächlich um die Menschen.

Die gibt es sicherlich. Aber wir denken, dass auch Tiere in den Kreis des Mitgefühls aufgenommen werden müssen, wenn man den Anspruch der Rationalität und Wissenschaftlichkeit ernst nimmt. Nichtmenschliche Tiere leiden nämlich auf ähnliche Weise wie Menschen. Offensichtlich wird das bei den Menschenaffen. Die sind Primaten, genau wie wir. Warum sollten sie sich im Bezug auf ihre Leidensfähigkeit so grundlegend von uns unterscheiden? Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt.

Ich kann mein Geld an eine Tierrechtsorganisation spenden oder an eine Menschenrechtsorganisation. Wie soll ich da abwägen?

Im Moment kann ich darauf leider keine zufrieden stellende Antwort geben. Die Abwägung ist extrem schwierig, weil wir keinen Zugang zum Empfinden von Tieren haben. Wir haben auch keinen Zugang zum Empfinden von Menschen. Mir fällt es extrem schwer, nachzuempfinden, was es bedeutet, Malaria zu haben oder in einem Land aufzuwachsen, in dem es kein sauberes Trinkwasser gibt. Einer solchen Erfahrung kann ich vielleicht ein bisschen näher kommen, indem ich in das Land reise. Ich glaube, dass wir auch dem Tierleid etwas näher kommen können, indem wir uns Videos und Fotos ansehen, uns informieren. Am Ende liegt es aber an jeder einzelnen Person, diese Abwägung zu treffen. Ich werde da keine Formel aufstellen können.

Einer der Vordenker des Effektiven Altruismus ist William MacAskill. Er schreibt in seinem aktuellen Buch Gutes besser tun: Wenn ich ein Jahr vegetarisch lebe, nützt das so viel wie wenn ich fünf Euro an die richtige Organisation spende. Ist eine vegane oder vegetarische Lebensweise dann nicht relativ egal?

Das ist eine kontraintuitive Rechnung, die Will in seinem Buch macht, der ich aber einiges abgewinnen kann. Nichtsdestotrotz sollte man sich bewusst sein, dass die vegane Lebensweise häufig eine Symbolwirkung hat, die Spenden nicht in der Weise haben. Ich konfrontiere im Alltag häufig andere Menschen mit dieser Lebensentscheidung – etwa wenn es darum geht, essen zu bestellen oder zu kochen.

Gleichzeitig kann ich denselben Effekt erzeugen, wenn ich mein Geld an Organisationen spende, die versuchen, mehr Leute vom Veganismus zu überzeugen. Insofern wird Spenden bisher unterschätzt in der Tierrechtsbewegung. Wir wollen deutlich machen, dass Leute nicht nur mit ihrem Teller etwas Gutes tun können, sondern auch mit ihrem Geldbeutel.

Welche Tierrechtsorganisationen arbeiteten am effektivsten? Wo hat mein Geld den meisten Einfluss?

Es gibt eine Organisation, die sich darauf spezialisiert hat, das herauszufinden: Animal Charity Evaluators. Am effektivsten sind derzeit Organisationen, die sich für eine Veränderung der Bedingungen in der Massentierhaltung einsetzen, und für das Schaffen einer breiten veganen Bewegung. In Deutschland sind das Organisationen wie die Albert-Schweitzer-Stiftung und Animal Equality.

Kann ich den politischen Einfluss überhaupt messen? Wenn ich Lobbyarbeit betreibe und ein Gesetz für mehr Tierschutz beschlossen wird, weiß ich doch gar nicht, ob das auf meinen Einfluss zurückgeht oder auf den von anderen Organisationen.

Das ist in der Tat ein großes Problem. Es gibt Interventionen, die relativ leicht zu messen sind. Ich kann Flugblätter verteilen und versuchen, Leute vom Veganismus zu überzeugen. Da kann ich nach einem Jahr fragen: Bist du vegan geworden? Lebst du immer noch vegan? Das teile ich dann durch die Kosten der Aktion. Bei politischen Maßnahmen ist der Effekt viel schwieriger zu messen. Hätte es die Veränderung beispielsweise auch gegeben, wenn wir nichts unternommen hätten? Trotzdem denken wir, dass gerade Lobbyarbeit eine sehr effektive Strategie sein kann.

Wie versuchen Sie diese Probleme zu umgehen? Sentience Politics betreibt schließlich auch Lobbyarbeit.

Wir fokussieren uns absichtlich auf Themen, die von anderen Organisationen in Deutschland nur am Rand oder gar nicht behandelt werden. Wir setzen uns beispielsweise für Grundrechte von Primaten und für die Subventionierung von kultiviertem Fleisch ein. In der Zukunft wird es so möglich sein, täuschend echte und schmackhafte Fleischimitate herzustellen, ohne dass dafür Tiere sterben müssen.

Das Gespräch führte Felix Werdermann

Stefan Torges, 24, ist operativer Geschäftsführer von Sentience Politics, einer antispeziesistischen Denkfabrik, die den Kongress am Wochenende organisiert Foto: privat

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