Im Netz der Bürger

Energie Immer mehr Menschen wehren sich gegen gigantische Stromtrassen durch die Republik – dabei es gäbe eine Alternative
Ausgabe 17/2013

Scheitert der deutsche Atomausstieg am Widerstand der Bevölkerung? Eigentlich sollen die neun noch laufenden Reaktoren bis zum Jahr 2022 durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Doch dazu ist ein neues Stromnetz nötig, und der Ausbau kommt nur schleppend voran – nicht zuletzt, weil zahlreiche Bürgerinitiativen gegen die riesigen Strommasten mobil machen. Stromkabel unter der Erde könnten den Konflikt entschärfen – komplett lösen werden sie ihn aber wohl nicht.

Das grundlegende Problem ist das Nord-Süd-Gefälle innerhalb Deutschlands: Im Norden weht der meiste Wind, im Süden stehen die meisten Atomkraftwerke, die in den nächsten Jahren vom Netz gehen. Riesige Trassen sollen nun den Strom in die Verbrauchszentren des Südens transportieren, in dieser Woche werden die dringlichsten Vorhaben wohl vom Bundestag beschlossen. Bundesumweltminister Peter Altmaier sagt: „Ohne Netzausbau kann die Energiewende nicht gelingen.“

Eigentlich sind alle für den Ausbau – Parteien, Wirtschaft, Umweltverbände. Doch die Bürgerproteste bringen die Politiker in Erklärungsnot. In der Bredouille sind vor allem die Grünen, denn vor Ort ist es oftmals ihre Klientel, die gegen die Stromtrassen auf die Barrikaden geht.

Johannes Antpöhler beispielsweise. Der 52-jährige Diplomgeograf wohnt in Heckenbeck, rund 70 Kilometer südlich von Hannover. Hier soll eine Höchstspannungsleitung gebaut werden, die Masten würden 60 bis 80 Meter hoch, erzählt Antpöhler. Er versucht das zu verhindern und engagiert sich in einer Bürgerinitiative. Für die Grünen ist er im Kreistag aktiv.

Die Leitung soll zwar einen Abstand von 400 Meter zur bebauten Fläche einhalten, dennoch haben die Menschen in Heckenbeck Bedenken. Das starke elektromagnetische Feld der Freileitung erhöhe das Krebsrisiko für Kinder, sagt Antpöhler. Zudem dürften Menschen mit Herzschrittmacher nicht unter den Leitungen hindurchgehen, weil die Geräte aussetzen könnten. „Das Landschaftsbild ist natürlich auch ein Argument. Für viele ist das ein ganz großes Thema.“ Anwohner fürchteten, dass ihre Häuser an Wert verlieren könnten. „Wir sind nicht gegen die Leitung“, sagt Antpöhler. „Aber sie sollte komplett unter die Erde verlegt werden.“

Nur zwei Pilotstrecken

Erdkabel – ist das die Wunderwaffe, mit der sich Netzausbau und Bürgerinteressen versöhnen lassen? An vielen Orten Deutschlands gibt es lokale Initiativen, sie heißen „Pro Erdkabel“ oder „Ab in die Erde“. Auch der Übertragungsnetzbetreiber Tennet erklärt, Erdverkabelung könne „zu mehr Akzeptanz bei den Anwohnern führen und im besten Fall zu einer Beschleunigung des Netzausbaus“.

Die Bundesregierung sieht das genauso. Trotzdem spielen Erdkabel in ihren Ausbauplänen kaum eine Rolle. Bislang ist die Technik in Deutschland noch nicht in der Praxis erprobt, das geltende Gesetz zum Leitungsausbau sieht nur vier Pilotprojekte bei Wechselstromleitungen vor, die teilweise unter die Erde verlegt werden sollen. Nun will der Bundestag vier neue gigantische Gleichstromtrassen beschließen, die dann „von energiewirtschaftlicher Notwendigkeit und vordringlichem Bedarf“ sind. Lediglich auf einer dieser Strecken sollen Erdkabel-Pilotprojekte möglich sein. Hinzu kommt die Erdkabel-Option auf der Mini-Strecke zwischen dem nordrhein-westfälischen Oberziehr und Belgien. Grünen und Umweltverbänden reicht das nicht aus.

Die unterirdische Verlegung von Stromkabeln kostet jedoch mehr Geld als Freileitungen. Gräben müssen ausgehoben werden, der Bau dauert wesentlich länger, das benötigte Material ist teurer. Die Gesamtkosten hängen stark von den örtlichen Gegebenheiten ab. Es ist ein Unterschied, ob die Leitung im Sand oder im Gebirge verlegt wird. Die Bundesnetzagentur schätzt, dass Erdkabel zwei bis zehn Mal so teuer sind wie Überlandleitungen.

Wollen die Netzbetreiber aus diesem Grund einfach so weitermachen wie bisher? Sie müssen die höheren Kosten zwar zahlen, können diese an die Stromverbraucher weiterreichen. Mit dem Netzmonopol lässt sich gut Geld verdienen, der Staat erlaubt eine Rendite von bis zu neun Prozent. Wenn für Erdkabel mehr Geld investiert wird, müsste auch der Gewinn steigen.

Das Unternehmen Tennet verweist darauf, dass es als Netzbetreiber gesetzlich zu wirtschaftlichem Handeln verpflichtet ist. Bei der Entscheidung für oder gegen Erdkabel gehe es in erster Linie um die Frage, ob das Netz mit der neuen Technik zuverlässig betrieben werden könne.

Die Linkspartei sieht ein wirtschaftliches Interesse contra Erdkabel: Derzeit seien die Kosten schwer zu kalkulieren, sagt der Umweltpolitiker Ralph Lenkert. Möglicherweise rechne sich die Investition für die Netzbetreiber dann erst später. In den Plänen zur Erdverkabelung von Höchstspannungsleitungen sieht der Linkspartei-Politiker ohnehin nur eine „Alibi-Pille“, die dazu dienen, einen „überdimensionierten Netzausbau“ zu rechtfertigen und den „Widerstand zu beschwichtigen“. In der Tat ist umstritten, ob tatsächlich so viele neue Leitungen gebraucht werden, ob nun unter oder über der Erde. Der Plan der Bundesregierung sieht den Neubau von 2.800 Kilometern vor, Leitungen über 2.900 Kilometer sollen ausgebaut werden – das kostet voraussichtlich rund zehn Milliarden Euro.

Angesichts dieser gigantischen Zahlen versprechen Parteien aller Couleur die Einbindung der betroffenen Bürger, denn die Politiker wissen: Auf Netzausbau ganz verzichten geht nicht, zumindest, wenn man bei der Energiewende glaubwürdig bleiben will. Den grundlegenden Konflikt vermag niemand zu lösen. Auch die Grünen können immer nur betonen, sie wollten den Netzausbau mit und nicht gegen die Bürger.

Möglicherweise kann die Zahl der benötigten Leitungen noch reduziert werden. Die Übertragungsnetzbetreiber müssen bis Juni sogenannte Sensitivitätsberechnungen vorlegen, erläutert Katja Rottmann von der Umweltorganisation Germanwatch. Dabei geht es etwa um die Frage, ob auf manche Trassen verzichtet werden kann, wenn der Ökostrom in wenigen windstarken Zeiten gekappt wird. Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn sieht darin einen Angriffspunkt: „Die Bundesregierung ist voreilig, wenn sie einen Ausbau festschreiben will, dessen Bedarf aufgrund mangelnder Sensitivitätenprüfung noch unklar ist.“

Schneisen in Wäldern

Das Risiko eines überdimensionierten Netzausbaus hat jedoch auch noch tiefer gehende Ursachen. Erstens haben die Energiekonzerne kein Interesse an vielen dezentralen Bürger-Kraftwerken im ganzen Land und setzen lieber auf riesige Offshore-Windparks. So gibt es tendenziell ein Überangebot im Norden Deutschlands.

Zweitens werden die Netzkosten bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen von erneuerbaren Energien meist gar nicht berücksichtigt. So wird Ökostrom in ganz Deutschland gleich vergütet, ohne regionale Unterschiede. Der Thinktank Agora hat ausgerechnet, welch enorme Summe gespart werden könnte, wenn auf Offshore-Wind weitgehend verzichtet und auch die Netzkosten berücksichtigt würden: Drei bis vier Milliarden Euro ließen sich sparen.

Wäre also das Geld da für ein komplett unterirdisches Stromnetz? Katja Rottmann von Germanwatch wiegelt ab: „Die Erdverkabelung ist kein Allheilmittel.“ So müsse etwa die Fläche über dem Erdkabel zur Wartung freigehalten werden, in Wälder müssten dann riesige Schneisen geschlagen werden. Eine Freileitung könne in manchen Fällen umweltschonender sein.

Inzwischen gibt es auch Widerstand gegen Erdkabel. In Göttingen hat sich eine „Bürgerinitiative gegen Elektrosmog“ gegründet. Die unterirdische Leitung soll nur 76 Meter von den Häusern entfernt verlaufen, dort gingen viele Menschen spazieren, sagt Sprecher Frank Ahlborn. Das elektromagnetische Feld könne Krebs verursachen. Der Netzbetreiber Tennet bestreitet das. Mit dem Widerstand der Bevölkerung hat er trotzdem zu kämpfen. Ahlborn fordert einen anderen Verlauf des Erdkabels. „Wir wollen keine Versuchskaninchen sein.“ Den Politikern bleibt noch viel Arbeit.

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