Ja zur Bad Bank für Atomkonzerne

Deal Der Steuerzahler soll die Kosten für den Strahlenmüll übernehmen. Regierung und Opposition sind empört, dabei hat der Vorschlag in Wirklichkeit viele Vorteile
Ausgabe 20/2014

Der Atomindustrie ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe gelungen: Sie hat es geschafft, Regierung und Opposition zu einen – in Empörung. Die Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW wollen die Altlasten der Atomkraft auf die Steuerzahler abwälzen. Die Kosten für Stilllegung und Rückbau der Reaktoren sowie für die Endlagerung des strahlenden Mülls sollen in eine „Bad Bank“ ausgelagert und dem Bund übertragen werden.

Sofort rufen die Politiker: Das geht so nicht! Dabei lohnt es sich, über den Vorschlag nachzudenken. Denn so ließe sich ein schnellerer Atomausstieg durchsetzen, und die festgefahrene Endlagersuche könnte neuen Schwung bekommen – zur allgemeinen Zufriedenheit.

Auf den ersten Blick erscheint alles klar: Die Konzerne wollen sich freikaufen, die Allgemeinheit soll bezahlen. In Wirklichkeit ist es komplizierter: Die Unternehmen bieten an, ihre Atomkraftwerke in eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu übertragen. Der Bund wäre dann für Abriss und Entsorgung zuständig, aber eben auch für den AKW-Betrieb bis zum Abschaltdatum. Die Konzerne verzichten also auf einige Millionen Euro an Gewinnen, die sie bis zum Jahr 2022 noch machen könnten. Im Gegenzug sind sie bei der Endlagerung ein für alle Mal raus. Die bereits dafür gebildeten Rückstellungen in Höhe von rund 32 Milliarden Euro würden ebenfalls in die Stiftung übergehen. Damit wäre dieses Geld vor einer Insolvenz der Firmen gesichert.

Die Atomlobby wäre sofort tot

Doch der Vorschlag kommt gar nicht gut an. Der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer kritisiert: „Die Gewinne werden privatisiert, die Kosten aber sozialisiert.“ Sein Kollege von der Linksfraktion, Hubertus Zdebel, meint, dass sich die „Atomkonzerne billig aus der Verantwortung schleichen“. Die Piraten finden das „dreist“ und Jochen Stay von der Anti-Atom-Initiative Ausgestrahlt spricht von einem „vergifteten Angebot“. Die SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks erklärt nur trocken: „Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb, die Stilllegung, den Rückbau und die Zwischenlagerung des Atommülls liegt bei den Energieunternehmen.“

Niemand sieht die Chancen, die dieser Vorschlag bietet. Wenn die Atomkraftwerke tatsächlich dem Bund gehören, sind nicht nur die Klagen gegen Laufzeitverkürzung und Brennelementesteuer hinfällig. Auch die Interessenvertretung der Atomindustrie wäre auf einen Schlag tot. Vielleicht wollen noch vereinzelte CSU-Politiker am Atomausstieg wackeln, doch das Geld für eine Lobbyisten-Maschine gäbe es dann nicht mehr.

Atomausstieg beschleunigen

Und es kommt noch besser: Der Bund könnte die Reaktoren sogar früher abschalten als geplant. Ein Großteil der Bevölkerung wünscht sich das, und die Politiker hätten keinen Rechtsstreit mit den Energiekonzernen mehr zu fürchten.

Theoretisch ist zwar auch vorstellbar, dass die Anlagen länger als geplant laufen. Der Bund könnte durch den Betrieb das Geld erwirtschaften, das für die Endlagerung benötigt wird – und womöglich noch mehr Geld, um irgendwelche Lücken im Bundeshaushalt zu schließen. Anders herum heißt das auch: Ein schnellerer Ausstieg würden den Steuerzahler Geld kosten, denn dem Bund entgehen die Einnahmen.

Dennoch dürften die Politiker eher zu einem zügigen Abschalten bereit sein als die Konzerne. Sie müssen sich an den Wählern orientieren und diese zahlen zwar Steuern, profitieren aber auch von einer solchen Entscheidung, weil sie dann dem Unfallrisiko nicht länger ausgesetzt sind. Eon, RWE und EnBW hingegen müssen ihre Aktionäre zufriedenstellen und denen geht es nur um die Rendite.

Kein Preis zu hoch

Vorteile einer „Bad Bank“ gibt es auch bei der Endlagersuche. Diese krankt bislang daran, dass für die Untersuchung des Salzstocks in Gorleben mehr als eine Milliarde Euro ausgegeben wurden und die Atomlobby Druck macht, andere Standorte nicht genauer zu untersuchen. Wenn die Konzerne jedoch ausgestiegen sind, kann die Politik unabhängig nach dem besten Endlager suchen. Die Kosten müsste sie zwar alleine tragen, aber für die Sicherheit von tausenden Generationen sollte kein Preis zu hoch sein.

Würde jedoch heute ein Politiker den Vorschlag der Atomkonzerne begrüßen, wäre das wohl der politische Selbstmord. Es wäre das Eingeständnis, dass es keine gerechte Atompolitik geben kann. Ja, die Konzerne haben sich mit der Risikotechnologie eine goldene Nase verdient. Und ja, für die Folgekosten werden sie nie im vollen Umfang aufkommen.

Volkswirtschaftlich sinnvoll

Solch eine Aussage wäre ehrlich – und nötig. Dann kann sich die Politik nämlich daranmachen, zumindest die größten Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Als Erstes müssten die Atomprivilegien beendet werden. Kein Reaktorbetreiber auf der ganzen Welt ist ausreichend haftpflichtversichert. Würde das geändert, wäre Atomstrom sofort unbezahlbar.

Solange sich die Bundesregierung nicht traut, die Atomkraftwerke einfach stillzulegen, sollte sie über einen Deal mit den Betreibern zumindest nachdenken. Natürlich werden die Konzerne genau berechnet haben, dass sich die Übertragung der Kraftwerke in eine öffentlich-rechtliche Stiftung für sie unterm Strich lohnt. Die Bundesregierung sollte dem Deal daher keinesfalls gleich zustimmen. Sie kann aber verhandeln und zum Beispiel zusätzliche Gelder für Rückbau und Endlagerung verlangen.

Für die Allgemeinheit kann sich das lohnen, wenn die Bundesregierung die erkauften Reaktoren vorzeitig stilllegt und damit das Unfallrisiko deutlich senkt. Volkswirtschaftlich betrachtet ist das ein Vorteil, denn die Kosten des Weiterbetriebs sind ungleich größer, was man daran erkennen kann, dass eine Haftpflichtversicherung das Ende des Betriebs bedeuten würde. In der Endlagerfrage ist es ähnlich: Eine Suche auf Kosten der Steuerzahler käme für die Allgemeinheit billiger als ein unsicherer Standort aufgrund der permanenten Einflussnahme seitens der Atomindustrie.

Kein Weg daran vorbei

Einen Nachteil hat ein Deal mit den Konzernen: Die Kosten der Endlagerung sind kaum abzusehen. Nach Greenpeace-Berechnungen reichen die aktuellen Rückstellungen nicht aus und es kann gut sein, dass die bisherigen Schätzungen um ein Vielfaches übertroffen werden. Darf man die Unternehmen dann überhaupt aus der Verantwortung lassen? Ja. Denn irgendwann kommt ohnehin der Zeitpunkt, an dem alle Altlasten der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Die Politik kann das hinauszöger. Dann sind jedoch irgendwann die Atomkonzerne pleite. In tausend Jahren wird es sie nicht mehr geben. Den Atommüll schon.

Wenn die Politik dieses Szenario verhindern will, wird sie um eine „Bad Bank“ für die Atomkraftwerke nicht herumkommen. Heute kann sie so auch noch Reaktoren früher abschalten. Zumindest Verhandlungen sollte ihr das wert sein.

Hinweis: Ursprünglich war im Text von "Rücklagen" die Rede, es handelt sich jedoch um "Rückstellungen" der Atomkonzerne, das ist der korrekte Begriff.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden