Liebe Linke, wählt CDU!

Erststimme Durch das neue Wahlrecht kann es sinnvoll sein, eine Partei zu wählen, die man eigentlich gar nicht mag. Die Tricks des strategischen Wählens kennen leider nicht viele

Die meisten haben es gar nicht mitbekommen: Anfang des Jahres wurde ein neues Wahlrecht beschlossen. Damit kann es bei dieser Bundestagswahl erstmals auch für Linke sinnvoll sein, die CDU zu wählen. Es klingt absurd und man muss auch zunächst ein komplexes Wahlsystem gedanklich durchdringen, um zu verstehen, wie das sein kann. Aber es lohnt sich. Denn man sollte den Einfluss seiner Stimme nicht verschenken. Hier stimmt es: Wissen ist Macht.

Wer strategisch vorgehen und mit seiner Erststimme nicht bloß seine Sympathie zu einer bestimmten Partei bekunden möchte, der sollte sich die Direktkandidaten in seinem Wahlkreis genau anschauen.

Um es vorweg zu sagen: Entscheidend ist die Ausrichtung der Kandidaten innerhalb ihrer Partei. Wenn die CDU-Kandidatin zum linken Flügel zählt, der SPD-Kandidat jedoch zum rechten, dann sollten linke Wähler ihr Kreuz bei der Union machen. Und zwar selbst dann, wenn der rechte Sozialdemokrat immer noch linker als die linke Christdemokratin ist.

Der Grund dafür: Die sogenannten Überhangmandate werden jetzt komplett ausgeglichen. Die Erststimme hat also keinen Einfluss mehr auf die Verteilung der Sitze im Parlament an die verschiedenen Parteien. Entscheidend ist allein die Zweitstimme.

Überhangmandate konnten entscheiden

Fangen wir vorne an: Mit der Erststimme wird eine Person aus dem Wahlkreis direkt in den Bundestag gewählt. So gelangen 299 Abgeordnete ins Parlament, das entspricht normalerweise der Hälfte der Sitze. Anschließend werden die übrigen Plätze so verteilt, dass am Ende jede Partei soviele Politiker im Bundestag sitzen hat, wie ihr auf Grund der Zweitstimmen zusteht. Je mehr Zweitstimmen, desto mehr Plätze.

Bisher entsprach die Sitzverteilung im Bundestag nicht ganz genau der Zweitstimmen-Verteilung. Das lag an den Überhangmandaten, die auf Landesebene vergeben werden. Vor vier Jahren holte etwa die CSU alle 45 Wahlkreise in Bayern. Nach dem Anteil der Zweitstimmen standen ihr jedoch nur 42 Sitze zu. Der Bundestag wurde darum um drei Plätze für die CSU erweitert. In anderen Bundesländern gab es Überhangmandate für die CDU, in den Jahren zuvor hatte auch schon die SPD davon profitiert.

Für Linke bedeutete dies: Wer mit der Erststimme SPD wählt, kann möglicherweise Überhangmandate der Union verhindern oder Überhangmandate der SPD ermöglichen. Vielleicht sind das die Bundestagsplätze, die letztlich darüber entscheiden, ob es für Rot-Grün reicht oder zumindest nicht für Schwarz-Gelb. Diese Zeiten sind vorbei.

Seit diesem Jahr werden die Überhangmandate komplett ausgeglichen. Das bedeutet: Wenn die CSU wieder 45 Plätze bekäme, dann würde der Bundestag einfach so stark erweitert, dass am Ende das Verhältnis der Parteien wieder stimmt.

Einfluss nehmen auf das Parteipersonal

Was bedeutet dies für das strategische Wählen? Die Anteile der Parteien im Parlament lassen sich mit der Erststimme nicht mehr verändern. Aber man kann Einfluss nehmen auf das Personal der Parteien. Wenn ich den rechten SPD-Kandidaten in meinem Wahlkreis wähle, dann kommt er ins Parlament und nicht irgendeine linke Sozialdemokratin über die SPD-Landesliste. Und die linke CDU-Kandidatin nimmt einem rechten CDU-Listenbewerber den Platz weg.

Man muss die Direktkandidaten also vergleichen mit den Personen, die alternativ über die Landesliste einziehen würden. Weil jedoch in der Regel unklar ist, wer genau das ist (das hängt ab von der Zahl der erfolgreichen Direktkandidaten und auf welchen Listenplätzen diese stehen), empfiehlt sich der Einfachheit halber ein Vergleich zwischen Direktkandidat und Durchschnitt der Partei.

In den meisten Wahlkreisen haben maximal zwei Personen eine reale Chance auf den Einzug ins Parlament. Die anderen Bewerber brauchen sich rein strategische Wähler daher gar nicht näher anzusehen.

Manchmal sogar muss man sich nicht mal beide Kandidaten ansehen – wenn eine von den beiden über die Landesliste so gut abgesichert ist, dass sie ohnehin in den Bundestag kommt. Dann geht es alleine um den Gegenkandidaten und die Frage, welchem Parteiflügel er zuzuordnen ist. Aber Achtung: Bei den Volksparteien kann wegen der vielen Direktmandate auch ein Platz ganz oben auf der Landesliste sehr wackelig sein.

Taktisch unklug, aber dafür einfach

Zum Abschluss noch eine kleine Einschränkung: Möglicherweise war es auch schon in der Vergangenheit sinnvoll, als Linker die CDU zu wählen. Wenn man etwa mit den Grünen sympathisierte und fest an eine rot-grüne Mehrheit glaubte. Dann nämlich hätten SPD-Überhangmandate nur den großen Koalitionspartner gestärkt und damit die Grünen geschwächt. Und diese Situation konnte durch CDU-Erststimmen verhindert werden.

Ob jedoch eine rot-grüne Mehrheit jemals so sicher war, dass man solche taktischen Überlegungen ernsthaft hätte berücksichtigen sollen? Eher nicht.

Am einfachsten haben es immer noch die, die mit beiden Stimmen die Partei wählen, die ihnen am nächsten steht. Das ist zwar taktisch unklug, aber es freut die Wahlkämpfer ihrer Lieblingspartei.

AUSGABE

Dieser Artikel erschien in gekürzter Form in Ausgabe 38/13 vom 19.09.2013

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