Die Gorleben-Akten füllen drei Räume. Ungefähr 1.300 Ordner sind es mittlerweile, in jedem bis zu 400 kopierte Seiten. Es gibt Beamte im Umweltministerium, die sind fast nur damit beschäftigt, die Dokumente herauszusuchen und an den Bundestag weiterzuleiten. Dort beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss mit dem geplanten Atommüllendlager in Gorleben.
Wie wurde der Standort ausgewählt, auf welcher Grundlage wurde entschieden, den Salzstock zu erkunden? Wurden womöglich Gutachten manipuliert, weil die Politik Gorleben haben wollte, obwohl die Geologie dagegen spricht? Als sich die drei Oppositionsfraktionen vor anderthalb Jahren darauf verständigten, den Untersuchungsausschuss einzusetzen, war es für sie auch eine Chance, die Atompolitik der Bundesregierung zu geißeln. Schließlich sind auch Unions- und FDP-Wähler mehrheitlich gegen die Kernkraft, und damals plante Schwarz-Gelb schon fleißig an einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Mittlerweile allerdings hat sich die Situation geändert.
Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima hat die Koalition die längeren Laufzeiten zurückgenommen, ein Ausstiegsgesetz soll gewährleisten, dass in elf Jahren alle deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet sind. Der Untersuchungsausschuss aber tagt weiter und verhört Zeugen. In der vergangenen Woche traf man sich erstmals wieder nach der Sommerpause. Doch was vor Monaten noch für Schlagzeilen sorgte, läuft inzwischen eher unterhalb des öffentlichen Radars.
Schwarz-Gelb schafft Fakten
Was passiert mit einem Gremium, das von der Wirklichkeit überholt wird? „Ich finde, die Opposition braucht den Ausschuss nicht mehr als Vehikel, um über Atom und Endlager zu diskutieren“, sagt Reinhard Grindel, der für die CDU im Untersuchungsausschuss sitzt. Nun solle das Abarbeiten an Gorleben „umgehend“ aufhören, der Ausschuss könne noch in diesem Jahr die Vernehmungen beenden.
Das Thema AKW-Laufzeiten ist tatsächlich gelaufen. Der Ausstieg wurde von einer großen Koalition aus Union, FDP, SPD und Grünen beschlossen, nur die Linkspartei stimmte dagegen, weil sie einen schnelleren und umfassenderen Ausstieg will.
Bei der Endlagersuche hingegen steht eine Entscheidung noch aus. Bis Jahresende möchte die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegen. Bis dahin schafft Schwarz-Gelb aber bereits Fakten. Die Ausgaben für die Gorleben-Erkundung sollen beinahe verdreifacht werden, wie der in der vergangenen Woche erstmals im Bundestag debattierte Haushaltsentwurf zeigt. 2010 lagen die Kosten bei 25,4 Millionen Euro, im nächsten Jahr sollen 73 Millionen zur Verfügung stehen. Zum Vergleich: Für die Suche nach Alternativen werden gerade einmal 3,5 Millionen ausgegeben.
Wenn CDU-Mann Grindel nun wegen des Atomausstiegs das Ende des Untersuchungsausschusses fordert, schütteln Oppositionspolitiker bloß den Kopf. „Unser Ziel ist, dass auf Gorleben ein für alle Mal verzichtet wird“, sagt Dorothée Menzner von der Linken. Und die Grüne Sylvia Kotting-Uhl verweist auf erste Ergebnisse des Ausschusses: „Der zentrale Verdacht, dass die Regierung Kohl den entscheidenden Gorleben-Zwischenbericht von 1983 beeinflusst hat, hat sich voll bestätigt.“
Bei der CDU sieht man das anders. „Der Untersuchungsausschuss hat keine neuen Erkenntnisse gebracht“, sagt Grindel. Das sei auch kein Wunder, die ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) hätten schließlich „elf Jahre auf allen Akten“ gesessen. „Wenn sich zu Gorleben etwas Skandalöses in den Akten finden würde, hätten die beiden doch wohl die Erkundung des Salzstocks dauerhaft beendet.“
Und so wird aus einem Sachthema doch wieder ein Streit zwischen den Parteien. Ein Untersuchungsausschuss als das „schärfste Schwert der Opposition“ wird eben oft parteipolitisch instrumentalisiert – und zwar von allen Seiten. Auch Grüne, Linke und SPD versuchen, sich ins rechte Licht zu rücken. Die Grünen wollen lieber nicht darüber sprechen, dass ihr Ex-Umweltminister Jürgen Trittin bloß ein Moratorium für die Gorleben-Erkundung erlassen hat und nicht ganz von dem Salzstock abgerückt ist. Stattdessen schießen sie lieber gegen die Atomfans der CDU und wollen Angela Merkel vorladen – sie war von 1994 bis 1998 Bundesumweltministerin. Kotting-Uhl sagt: „Wir sollten jetzt schnell die Vorgänge der neunziger Jahre aufarbeiten, da die Entscheidungsträger von damals auch heute wieder an entscheidenden Positionen sitzen.“ Dabei geht es auch um Bruno Thomauske und Gerald Hennenhöfer, die als Atomlobbyisten fleißig zwischen Energiekonzernen und CDU-Regierung hin- und herwechseln.
Wenn Merkel geladen wird, sind die Medien dabei, schon die Ankündigung schaffte es in die Zeitungen. Die Linken-Politikerin Menzner enttäuscht das: „Leider kommen die Medien immer nur, wenn ein ehemaliger Minister vernommen wird oder eine Person, die aktuell noch in einer verantwortlichen Position ist.“ Dabei seien die Aussagen von Wissenschaftlern vor dem Ausschuss oftmals viel brisanter. Damit stellt sich für die Opposition auch die Frage nach ihrer Strategie: Alte Opas anhören, die vielleicht noch was zu den Entscheidungen in den siebziger Jahren sagen können – oder die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel bloßstellen?
Es geht um Jahrtausende
Die Linkspartei wirft den beiden anderen Oppositionsparteien inzwischen vor, inhaltliche Punkte zu vernachlässigen. „Bei SPD und Grünen wird der Untersuchungsausschuss in der Tendenz – vor allem von deren Führung her – als politisch-strategisches Instrument gesehen, um Medienaufmerksamkeit zu erlangen“, sagt Menzner. „Wir sehen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss als einmalige Chance, wirklich Transparenz herzustellen.“
Die Grüne Kotting-Uhl hält dagegen: „Der Ausschuss muss die Fehlentscheidungen und das Fehlverhalten der Politik untersuchen. Letztlich müssen wir als Opposition verhindern, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung Deutschland mit ihrem Gorleben-Kurs weiter in eine Sackgasse manövriert.“
Lässt sich umgehen, dass die Frage nach der Endlagerung von Atommüll zum Spielball parteipolitischer Interessen wird? Schließlich geht es um eine Entscheidung für Tausende von Jahren. Der Ausschuss kann da nur einen Beitrag leisten. Vorstellbar wäre eine unabhängige Expertenkommission, die die Vorfälle um Gorleben aufzuarbeiten versucht. Allerdings ist fraglich, ob sich die Mitglieder dieses Gremiums einigen könnten.
Manchmal gelingt es aber selbst den Parteien, eine gemeinsame Position zu finden: Der Gorleben-Untersuchungsausschuss hat einen Ermittlungsbeauftragten ernannt, mit dem sowohl CDU als auch Linke leben können. Er soll weitere Akten sichten, um die Politiker zu entlasten. In zwei Wochen übergibt er seinen Abschlussbericht.
Felix Werdermann hat im Freitag 26/2011 über die Anti-AKW-Bewegung nach dem schwarz-gelben Ausstieg berichtet
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