Hat der Protest gegen das Freihandelsabkommen TTIP endlich Erfolg? EU-Kommission und Bundesregierung wollen auf die Kritiker zugehen und die umstrittenen Schiedsgerichte reformieren. Jetzt haben sie ihre Vorschläge präsentiert. Doch Grund zur Freude bietet das nicht. Die grundlegenden Probleme bleiben bestehen: Weiterhin droht eine Paralleljustiz, die Konzerne bevorzugt, Staaten zu Millionenstrafen verdonnert und demokratische Entscheidungen aushebelt.
Der geplante TTIP-Vertrag zwischen der EU und den USA erhitzt seit langem die Gemüter. Befürworter wie die EU-Kommission oder die Bundesregierung sehen die Chance, durch verstärkten Handel neue Arbeitsplätze zu schaffen. Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschützer hingegen fürchten, dass bestehende Standards herabgesetzt werden, staatliche Regulierung in Zukunft immer schwieriger wird.
Lange Liste an Kritikpunkten
Besonders umstritten sind die privaten Schiedsgerichte, vor denen Konzerne gegen Staaten klagen können, wenn sie durch Regulierungen ihre Investitionen in Gefahr sehen. Sie können dann Schadenersatz, vielleicht sogar eine Gesetzesänderung fordern.
Diese Schiedsgerichte sind nicht neu. In zahlreichen Handelsabkommen sind Sonderklagerechte für Konzerne enthalten, alleine Deutschland hat 85 solcher Verträge abgeschlossen. Mit TTIP aber würden sich die Streitfälle vervielfachen, weil das Abkommen die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt umfasst. Die Schiedsgerichte würden zudem zum Standard für weitere Verträge.
Die Liste der Kritikpunkte ist lang: Statt demokratisch gewählter Parlamente entscheidet ein Schiedsgericht hinter verschlossenen Türen über die Politik. Die drei Schiedsrichter sind nicht unabhängig, sondern Staat und Konzern benennen und bezahlen jeweils eine Person, auf die dritte müssen sich beide Seiten einigen. Zudem treten Interessenkonflikte auf: Je mehr Klagen es gibt, desto mehr Geld verdienen die Schiedsrichter. Sie könnten daher im Sinne der Investoren entscheiden.
Gegen die Schiedsgerichte läuft die Anti-TTIP-Bewegung bereits seit vielen Monaten Sturm. Erst vor kurzem hat der Umweltverband BUND ein Gutachten vorgestellt, demzufolge die Schiedsgerichte nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sind.
Ein "Bruch mit der Vergangenheit"?
Wegen der Proteste hat die EU-Kommission dafür gesorgt, dass die Schiedsgerichte in den Verhandlungen mit den USA erst mal ausgeklammert wurden. Sie hat zudem eine öffentliche Anhörung verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen und wirtschaftlicher Interessenvertreter organisiert. Nun präsentierte die Handelskommissarin Cecilia Malmström einen Vorschlag, im späten Sommer soll ein Rechtstext vorliegen, im Herbst könnte dann wieder verhandelt werden.
Kritikerinnen wie Pia Eberhardt von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory bleiben aber skeptisch. Werden ihre Forderungen tatsächlich erfüllt, zumindest teilweise, oder will die EU-Kommission bloß in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass nun alles halb so schlimm sei? So könnte sie der Protestbewegung den Wind aus den Segeln nehmen.
Als Malmström ihren Vorschlag auf ihrer Webseite veröffentlicht, schreibt sie dazu, er stelle „einen Bruch mit Praktiken in der Vergangenheit“ dar. „Wir wollen die Herrschaft des Rechts, nicht die Herrschaft der Anwälte.“ Das klingt mutig. In Wirklichkeit geht es ihr aber nur um Schönheitsoperationen, sie will die „traditionelle Form der Schiedsgerichte modernisieren“. In Zukunft sollen sie sich stärker an den regulären Gerichten orientieren.
Mehr staatlicher Einfluss ...
Künftig sollen Konzern und Staat nicht mehr jede beliebige Person als Schiedsrichter benennen können. Stattdessen erstellen die EU und die USA eine feste Liste. Anschließend können die beiden Streitparteien entweder von dieser Liste wählen oder die Schiedsrichter werden per Los zugeteilt, Malmström stellt beide Optionen zur Diskussion. Wer auf die Liste kommt, muss zudem eine noch nicht näher bestimmte Qualifikation vorweisen und sich an einen noch nicht näher bestimmten Verhaltenskodex halten.
Durch diese Änderungen haben die Staaten zwar mehr Einfluss auf die Auswahl der Schiedsrichter, unabhängige Richter sehen aber immer noch anders aus. Sie müssten einen festen Arbeitsplatz haben, statt für jedes einzelne Verfahren von den Streitparteien bezahlt zu werden. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die bisherigen Schiedsrichter bald von der EU und den USA erneut auf die Liste gesetzt werden – alleine schon wegen ihrer Erfahrung.
Künftig soll es auch eine Berufungsinstanz geben, die fehlerhafte Urteile korrigiert. Jedoch kann das natürlich auch den Konzernen nützen. Zumindest dürfte die Rechtsprechung der Schiedsgerichte dadurch etwas konsistenter werden. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Berufungskammer aus sieben Richtern bestehen soll, die dort permanent arbeiten und nicht von den beiden Streitparteien benannt werden – anders als in der ersten Instanz. Kritiker bemängeln jedoch, dass die EU schon für das CETA-Abkommen mit Kanada solch eine Berufungsmöglichkeit versprochen habe, und dann kam sie doch nicht.
Malmström will nun erreichen, dass sich Konzerne entscheiden müssen, ob sie vor nationalen Gerichten oder dem internationalen Schiedsgericht klagen. Das hört sich gerecht an. Trotzdem werden ausländische Konzerne weiterhin bevorzugt. Sie können sich für denjenigen Weg entscheiden, der ihnen aussichtsreicher erscheint – während den inländischen Unternehmen lediglich ein Weg offensteht, der über die nationalen Gerichte. Malmström bringt auch eine weitere Variante ins Spiel: Wenn ein Konzern vor einem Schiedsgericht klagt, muss er sich verpflichten, nicht mehr nationale Gerichte anzurufen. Dadurch bleibt jedoch die Möglichkeit, den umgekehrten Weg zu gehen: erst national zu klagen und anschließend vor dem internationalen Schiedsgericht.
All diese Vorschläge hat die Handelskommissarin mit dem Europäischen Parlament und den zuständigen Ministern der EU-Staaten diskutiert. Sie sind wohl ganz gut angekommen, Deutschland will aber noch weitere Nachbesserungen. Eigentlich sieht die Bundesregierung – anders als die EU-Kommission – gar keinen Bedarf für Schiedsgerichte, daher hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein Alternativkonzept vorgelegt.
... aber auch mehr Klagen
Die Vorschläge ähneln denen von Malmström, gehen jedoch noch etwas weiter. Gabriel will einen eigenständigen Investitionsgerichtshof, die Konzerne sollen gar keinen Einfluss auf die Auswahl der Richter haben. Die Verhandlungen und die Prozessdokumente sollen grundsätzlich öffentlich sein. Ein Punkt ist jedoch problematisch: Gabriel möchte für kleine und mittlere Unternehmen „Verfahrensvereinfachungen“ erwirken, damit sich diese auch eine Klage leisten können. Die Zahl der Prozesse wird dadurch zunehmen.
Ein neuer Investitionsgerichtshof würde sich zwar von den bisherigen Schiedsgerichten unterscheiden, löst aber nicht die entscheidenden Probleme: Klagen können ausschließlich ausländische Konzerne, inländische Unternehmen sind benachteiligt – genauso wie all jene Gruppen, die unter Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung von ausländischen Konzernen leiden. Wenn ein internationales Gericht etabliert wird, dann sollten auch Gewerkschaften, indigene Gemeinschaften, Umweltverbände und Privatpersonen klagen können. Bis dahin wird es jedoch noch viele Jahre dauern.
Ein Vorschlag, der verschleiert
In der Diskussion über TTIP hilft diese Wunschvorstellung daher nicht weiter. Vielmehr verschleiert der Vorschlag von Gabriel, was uns mit dem Abkommen tatsächlich erwartet. In dem Diskussionspapier von EU-Kommissarin Malmström taucht die Idee des Investitionsgerichtshofs auch nur in wenigen Zeilen als vage Zukunftsvision auf.
Wird Gabriel nun darauf bestehen, die privaten Schiedsgerichte ersatzlos aus dem Vertragstext zu streichen? Das ist unwahrscheinlich. Die US-Amerikaner wird das nicht besonders freuen, und Gabriel hat immer betont, wie wichtig TTIP sei, scheitern lassen wird er das Abkommen nicht. Zudem sind die Schiedsgerichte auch im fertig ausgehandelten CETA-Abkommen mit Kanada enthalten, da ist von einer Blockade Gabriels nichts zu hören.
Die größte Hoffnung weckt derzeit die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP. Mehr als 1,7 Millionen Unterschriften wurden bereits gesammelt, doch die EU-Kommission erkennt die Bürgerinitiative nicht an und beruft sich auf juristische Spitzfindigkeiten. Die Kritiker sind mittlerweile vor den Europäischen Gerichtshof gezogen. Sollten sie Recht bekommen, muss sich die EU-Kommission zumindest mit dem Anliegen der Bürgerinitiative befassen. Vielleicht wird dann der Druck so hoch, dass die TTIP-Verhandlungen irgendwann doch noch abgebrochen werden.
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