Mitte April kündigte die amerikanische Regierung an, bis Juni das Konzept einer neuen Irak-Politik vorlegen zu wollen. Anfang der Woche hieß es, die Administration denke ernsthaft über ein verändertes Sanktionsregime nach. Doch bis jetzt sieht es so aus, als könne man sich in der Bush-Administration nicht auf einen Kurs einigen. Zu tief scheinen die Gräben zwischen den beiden Antipoden, dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Außenminister Colin Powell. Die Bush-Administration tut sich ganz offensichtlich schwer mit dem Erbe Clintonscher Irak-Politik - eine Politik, die diesen Namen kaum verdient hat.
Bestandsaufnahme: Die unter Präsident Clinton im State Department entwickelte Strategie des Dual Containment gegenüber den beiden Golfstaaten, Iran und Irak, erwies sich sehr bald als Farce - und hat zu Recht keine Chance, revitalisiert zu werden. Das UN-Sanktionsregime gegen Bagdad ist nicht nur löchrig, sondern stößt ob seiner "Kollateralschäden" unter der irakischen Zivilbevölkerung auf immer heftigere internationale Kritik. Es wird in dieser Form nicht fortsetzbar sein. Einzig bei der Aufrechterhaltung der Flugverbotszonen im Norden und Süden Iraks blieb die Clinton-Administration hart. Und was UNSCOM - die Waffenkontrolleure der UNO - betrifft, so weigert sich Irak seit Dezember 1998 hartnäckig, die Inspektoren ins Land zu lassen.
Das neuerliche Interesse George W. Bushs gegenüber Irak heißt jedoch nicht, dass seine Administration eine Strategie durchsetzen kann, die von den anderen Konfliktpartnern nicht akzeptiert wird. Dazu bedarf es der Kooperation mit Russland, Frankreich und China im UN-Sicherheitsrat, aber auch der Mitwirkung durch andere Staaten der Region. Eine Reihe arabischer Staaten, aber auch die Türkei und der Iran, haben in den vergangenen drei Jahren ihre Beziehungen mit dem Irak wieder aktiviert und im Bereich des Handels fast normalisiert. Sie wären die Verlierer, wenn sie eine neuen Phase verschärfter Sanktionen akzeptieren müssten. An einen Sturz des Diktators von Bagdad glaubt in der Region ohnehin keiner.
Kein Wunder also, dass im Bush-Team bis jetzt ganz offensichtlich kein Konsens darüber besteht, wie die Irak-Politik der neuen Administration aussehen soll. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Staatssekretär Paul Wolfowitz und der zuständige Staatssekretär im State Department, Richard Armitage, gelten in der Irakfrage als Falken. Sie favorisieren eine offensive Politik der Stärke, die auf den Sturz des irakischen Diktators gerichtet ist. Ihre Option heißt "Regime Change" und zielt auf die Stärkung der irakischen Opposition. Konkret: die Wiederbelebung des Iraqi National Congress (INC), Gespräche mit beiden rivalisierenden kurdischen Parteien - der Kurdistan Democratic Party (KDP) und der Patriotic Union of Kurdistan (PUK) - und dem schi´itischen Obersten Rat der Islamischen Revolution im Irak, aber auch Kontakte zu möglichen Gegnern von Saddam Hussein in der irakischen Armee. Gerade daran war die Irak-Politik von Bush sen. 1991 gescheitert, weil der irakische Diktator ihm immer wieder zuvor kam und durch periodische Hinrichtungen von Offizieren eine Konspiration seiner Gegner verhinderte. Über diese Schritte zur Schaffung einer breiten inneren Anti-Saddam-Front hinaus plädieren die Hardliner unbeirrt für eine Aufrechterhaltung der Flugverbotszonen und verlangen, dass jede Gefährdung der amerikanisch-britischen Maschinen durch verstärkte Bombardierung geahndet wird.
Colin Powell, ganz offensichtlich der härteste Gegenspieler Rumsfelds in der Bush-Administration, wollte sich vor seiner Februar-Reise in die Region noch nicht auf eine neue Irak-Politik festlegen. Er ist zwar der Meinung, die Sanktionspolitik Clintons habe einen Bumerangeffekt erzeugt, hält eine Eskalation angesichts der angespannten Situation im Nahen Osten jedoch nicht für ratsam.
Seine Rundreise hat ihm vor Augen geführt, dass die Restriktionen in ihrer jetzigen Form sinnlos geworden sind. Seitdem plädiert Powell für "smarte Sanktionen". Die sollen zwar nach wie vor jeglichen Waffenexport nach Irak verhindern, den Import von Lebensmitteln und zivilen Güter jedoch erleichtern. Ein Versuch also, das löchrige Embargo-Regime überhaupt zu retten. Powell hat vor Ort gespürt, dass eine neue Koalition gegen Saddam keine Realisierungschance besitzt. Dies auch, weil es Saddam Hussein geschickt verstanden hat, den Ausbruch der palästinensischen Aqsa-Intifada für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Mit der Ankündigung, die Opfer der Intifada und ihre Angehörigen finanziell zu unterstützen und eine "Aqsa- Armee" zur Befreiung Palästinas aufzustellen, gewann der Diktator vor allem in den palästinensischen Gebieten erneut an Popularität.
Bagdads Politik zielt auf nichts anderes als die ersatzlose Aufhebung des Embargos. Die Amerikaner, so Saddam Hussein in einer Rede Anfang Mai, sollten ihre Niederlage im Krieg gegen den Irak anerkennen. Eine solche Nulllösung löst jedoch in der Region selbst - bei aller Kritik am gegenwärtigen Sanktionsregime - durchaus berechtigte Ängste aus. Vor allem unmittelbare Nachbarstaaten haben ihre Gründe, die Unberechenbarkeit des irakischen Diktators zu fürchten.
Eine ersatzlose Aufhebung der Sanktionen wird jedoch auch in den USA, wenngleich mit ganz anderer Intention, diskutiert. In einem viel beachteten Artikel in der New York Times plädierte der bekannte Journalist Thomas Friedman Ende Februar in einem offenen Brief an George W. Bush für die Reintegration des Irak in das internationale und regionale System. Bagdad würde dann die Beilegung des Nahostkonflikts befürworten, und die bisher Irak freundlich gesonnen Staaten wie China, Frankreich und Russland verlören an Einfluss in der Region. Zudem würde ein solcher Schritt einen Friedensschluss zwischen Israel und Syrien sowie den Palästinensern enorm befördern.
Natürlich wäre diese Strategie mit erheblichen Risiken behaftet. Saddam Hussein bleibt unberechenbar - sowohl in seiner Innenpolitik, deren repressiver Charakter Fluchtwellen auslösen könnte, aber auch gegenüber den Nachbarn. Zu einer Erklärung, wonach Irak die Sicherheit Kuwaits anerkennt, hat sich der Diktator bis heute nicht durchringen wollen. Und selbst, wenn sie käme: Der Überfall auf Iran im Jahre 1980 hat gezeigt, welchen Wert verbindliche Grenzverträge für Saddam Hussein haben, wenn er sich in einer Position der Stärke glaubt.
George W. Bush wird sich also entscheiden müssen - zwischen den smarten Sanktionen Colin Powells oder der von Hardlinern empfohlenen Strategie eines Regimewechsels im Irak. Viel Zeit dafür bleibt nicht mehr. Im Juni will der UN-Sicherheitsrat über die Zukunft des Sanktionsregimes entscheiden. Bis dahin müssen im Weißen Haus die Würfel gefallen sein.
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