Erinnern Sie sich noch an die Stimme, die Ihnen in der Kindheit vorgelesen hat? Die kleine Welt, die mit den ersten Worten vor Ihnen enstand? Wenn nicht, dann sollten Sie sich Bulgakows Meister und Margarita anhören, in der szenischen Lesung des Mitteldeutschen Rundfunks, als Hörbuch erhältlich. Denn eigentlich ist Bulgakows Satire auf die Sowjetunion der dreißiger Jahre ein Märchen (für Erwachsene), mit dem die Erinnerung an die Kindheit schnell wieder kommt. Eine überaus gelungene Lesung eines witzigen und doppelbödigen Textes, in Szene gesetzt mit den passenden Stimmen einer ganzen Armada von Schauspielern. Die zurückhaltend eingesetzte Musik und vor allem die elektronischen Klänge erinnern dabei an die Hörspiele der fünfziger Jahre. Schnell fühlt man sich zurückversetzt in die Zeit des Analphabetismus, als die Erzählung noch durchs Ohr und nicht durchs Auge die Phantasie anregte.
Weniger meine Phantasie als mein Denken hat ein anderes Hörbuch angeregt, obwohl es hier vorrangig um Gefühle geht. Und trotzdem haben wir immerzu geträumt davon heißt ein Feature über Brigitte Reimann, ebenfalls vom MDR produziert und im Audio Verlag erhältlich. Sabine Ranzinger hat den zweiten Ehemann der DDR-Autorin, Siegfried Pitschmann, interviewt und seine Antworten mit Tagebucheintragungen Reimanns montiert. Herausgekommen ist eine interessante Erweiterung des Bildes vom Leben und Lieben dieser Autorin, das sich aus den Tagebüchern ergibt. Denn wenn Brigitte Reimann auch immer wieder selbstkritisch auf die "Leichen" hinweist, die sie mit ihrem unbändigen Drang nach Liebe und Anerkennung hinterließ ("Ich fresse die Männer mit Messer und Gabel"), so kommt doch hier eines der "Opfer" zu Wort. Und siehe da, Pitschmann sieht sich gar nicht so sehr als Opfer, sondern vielmehr in die unlösbaren Widersprüche verwickelt, die Brigitte Reimann durchzogen und sie selbst immer wieder zum Opfer machten. Interessant außerdem der Bericht von den kleinlichen Verhältnissen im Schriftstellerverband, unter denen das Schriftstellerduo litt. Von allen hier besprochenen Hörbüchern hat dieses übrigens die schönste Aufmachung. Ich muss zugeben, dass ich immer wieder in der Küche beim Abwaschen gehört habe. Aber warum auch nicht? Abgesehen davon, dass Abwaschen eine der langweiligsten Sachen der Welt ist, kann man dabei gut zuhören.
Außerdem lässt sich das Hörbuch - im Gegensatz zum Radio - beliebig oft zurückspulen. Empfehlenswert ist das beispielsweise bei den Aufnahmen von und mit Hannah Arendt, Von Wahrheit und Politik. Reden und Gespräche, die im Hörverlag erschienen sind. Die fünfziger und sechziger Jahre, in der diese Sendungen entstanden sind, waren ja in gewisser Weise gnadenlos in ihrem Anspruch an den Hörer. Zwar sagt Arendt in dem berühmten Gespräch mit Günter Gaus, dass sie nicht nur immer schon "verstehen" wollte (und deshalb Philosophie studiert habe), sondern ihr gleichzeitig die Mitteilung an andere wichtig wäre: "Wenn andere Menschen verstehen, wie ich verstanden habe, dann gibt mir das eine Befriedigung wie ein Heimatgefühl". Aber insbesondere bei den Vorträgen, die dann im Radio gesendet wurden, lohnt es sich, sie mehrmals zu hören. Das Gespräch mit Günter Gaus gehört dabei zu dem Eindrucksvollsten unter den Aufnahmen. Der Hörer erfährt nicht nur Biographisches von Arendt; ihre verrauchte Stimme und die Leidenschaft, mit der sie die hanseatisch-höflich von Gaus gestellten Fragen beantwortet, vermitteln eine Vorstellung davon, wie eindrucksvoll diese jüdisch-deutsche Denkerin gewesen sein muss. Hannah Arendt war nicht nur als Frau eine Ausnahmeerscheinung ihrer Generation, sondern fiel auch als Denkerin aus der männlich dominierten, Politik verachtenden Intellektuellenszene der Zeit. Noch Gaus' Festhalten an der Bezeichnung "Philosophin", obwohl sie selbst ihr Arbeitsfeld in der politischen Theorie sah, ist Ausdruck dieser abwertenden Haltung gegenüber der Politik.
Ähnlich unprätentiös und in seinem Denken dem Leben verbunden wie Hannah Arendt verstand sich vierhundert Jahre zuvor Michel de Montaigne. "Alle Themen sind für mich gleichermaßen fruchtbar. Mir reicht als Gegenstand eine Fliege." Auf ihn trifft ganz und gar nicht das zu, was Arendt als typisch männlich bezeichnet hat: durch das Denken und Schreiben mehr wirken, als Erkenntnis vermitteln zu wollen. "Es gibt Gemühter", heißt es in der neuen Übersetzung von Hans Stillet, "die geringschätzen, was sie verstehn und die mich um so höher schätzen, je weniger sie mitbekommen, was ich meine. Aus der Dunkelheit meiner Gedanken werden sie auf deren Tiefe schließen. Dabei ist mir Dunkelheit, ehrlich gesagt, zuwider und am liebsten vermiede ich sie, wenn ich nur wüßte, wie." Das Deutschlandradio hat für die Lesung Montaignes Otto Sander engagiert. Eine gute Wahl. Denn Sanders Stimme verkörpert in ihrer Rauhheit jene Eigenwilligkeit, die immer selbstkritisch bleibt und dessen Witz nie eine Enttäuschung über das Leben ist und im Zynismus endet, sondern im Gegenteil der Wirklichkeit verbunden bleibt und sich in ihr lustvoll einrichtet. Eine Art skeptischer Hedonismus, der wohl die Anziehungskraft der Essays noch heute ausmacht. Kleines Highlight an Witz und Lebensweisheit: der - allerdings vom Übersetzer so betitelte Abschnitt "Plädoyer für das männliche Glied".
Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita, MDR/Der Hörverlag, München 1999. 8 MC, 98,- DM
Sabine Ranzinger: Und trotzdem haben wir immerzu geträumt davon. Siegfried Pitschmann über Leben, Lieben und Arbeiten von Brigitte Reimann, MDR/Der Audio Verlag, 1 CD, 32,95 DM
Hannah Arendt: Von Wahrheit und Politik. Reden und Gespräche, Der Hörverlag, 4 MC, 62,- DM; 5 CD, 129,- DM.
Michel de Montaigne: Essais, übersetzt und ausgewählt von Hans Stillet, Deutschlandradio/Eichborn Verlag, 2 MC 39,80 DM; 2 CD 49,80. DM
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