Eigentlich müsste man gegen Hörbücher sein. Nicht weil sie das Analphabetismus fördern, nein, weil sie den Stau fördern. Denn Hörbücher werden gerne von Autofahrern gekauft, die sich damit die Fahrt zum Arbeitsplatz versüßen. Und natürlich den Stau, die atmosphärische Dreckschleuder schlechthin. O.k., es gibt viele, die haben Schicksalsschläge in die äußersten Ecken der Provinz verschlagen, dort, wo die Luft noch rein und die Landschaft gut und gerne ein weiteres Einfamilienhaus verträgt. Wo die blecherne Flut so unabwendbar entsteht wie die Gezeiten in der Nordsee. Aber sollte man so was auch noch unterstützen? Schließlich stellt ja auch keiner Windräder auf Helgoland auf, um bei Sturmflut Wind in di
die Deutsche Bucht zu blasen. Also müsste man eigentlich gegen Hörbücher sein. Andererseits besteht wenig Hoffnung, dass ein Hörbuchverbot für Autofahrer auch nur einen von ihnen in die öffentlichen Verkehrsmittel treiben würde. Gegen die verlängerten Wohnzimmer mit Klimaanlage und Stereo-Surround-Sound ist so nichts auszurichten. Deswegen also hier drei Neuerscheinungen aus dem Reich der Akustik.Das Umfangreichste zuerst: Christian Brückner und Judy Winter haben den Roman Die Farbe von Wasser des Afro-Amerikaners James McBride vorgelesen. Eine gute Wahl sowohl für die Stimme des Autors, der seine Suche nach der Vergangenheit seiner Mutter erzählt, wie auch der Mutter, die sich erinnert. Eine Erzählung, die rührender nicht sein könnte. Erwartungsgemäß stand das Buch in den USA auch zwei Jahre lang auf den Bestsellerlisten. Und die Filmrechte waren ebenfalls schnell verkauft. Also eigentlich ein Titel, nach dem man nicht gerade in der Buchhandlung fragt, weil man bereits am Eingang über einen Stapel stolpert. Aber wie das so ist: Ab und zu ist auch ein Bestseller lesenswert. Worum geht's? - McBride und seine elf Geschwister sind schwarz, seine Mutter aber weiß. Das mag heute nichts Ungewöhnliches mehr sein, aber in den vierziger und fünfziger Jahren war das im Land der Demokratie und Freiheit alles andere als gewöhnlich. Außerdem ist Ruth McBride Jordan nicht nur Weiße, sie stammt zudem auch noch aus einer orthodoxen jüdischen Familie und hieß Rachel Deborah Shilsky. Ihr Vater hat sogar einige Zeit versucht, sein Geld als Rabbi zu verdienen. Bis er in Suffolk, Virginia einen Kaufmannsladen mitten im schwarzen Ghetto aufmachte. Der Rassismus hing dort in der Luft wie der Smog eines Sommertags. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb war Ruths erste große Liebe ein Schwarzer. Doch das heimliche Glück war nicht von Dauer. Als sie schwanger wurde, konnte sie der Katastrophe im letzten Moment entgehen. Bei einer Tante in New York untergebracht, rettete sie eine Abtreibung. Denn die Schwarzen hätten ihren Freund gelyncht, wenn herausgekommen wäre, dass er mit einer Weißen ging. Und ihr Vater hätte sie aus dem Haus geworfen. Dinge, die ihr Sohn ihr mit Mühe entringen musste, denn sie hatte während ihrer ganzen Kindheit nicht über ihre Vergangenheit gesprochen. James McBride wusste nicht, das er jüdische Vorfahren hatte; ihre weiße Hautfarbe war Tabu. Einmal bezeichnete Ruth sich als hellhäutig und antwortete auf die Frage, welche Hautfarbe Gott hat, dass er keine Farbe hätte, eben die Farbe von Wasser.So wie Ruth McBride Jordan muss es auch dem weißen Kornettisten Bix Beiderbecke egal gewesen sein, welche Hautfarbe die hatten, mit denen er Musik machte. In Davenport, Ohio in einer wohlhabenen Familie Anfang des letzten Jahrhunderts aufgewachsen, nahm er an dem Zug des New Orleans-Jazz in den Norden teil. Ror Wolf hat über die Jazzlegende ein kleines Hörspiel verfasst. Neben Ausschnitten aus Plattenaufnahmen des Musikers lässt er eine Reihe seiner Kollegen zu Wort kommen. Beiderbecke hatte sich das Klavier- und Kornettspielen selbst beigebracht und galt als Wunderkind. Als er mit den ersten Bands auftrat, konnte er keine einzige Note lesen, spielte aber wie ein junger Gott. Schnell wurde der kaum zwanzigjährige berühmt und von den großen Orchestern aus Chicago, Detroit und New York engagiert. In den Ausschnitten, die Ror Wolf in sein Hörspiel montiert hat, hört man die Leichtigkeit, mit der Beiderbecke gespielt hat. Und er hatte alles, was für die Legendenbildung wichtig ist: Eine geheimnisvolle Verschlossenheit, er trank und war - trotz seines Erfolgs - immer mit sich selbst unzufrieden. Außerdem starb er früh, mit 28, mitten im Sommer, an einer Lungenentzündung.Wie man ein Hörbuch nicht machen sollte, zeigt das von Dinna Barnes, Nachtgewächs. Dabei hört sich zunächst alles gut an: Die Wahl des Buches, das hervorragend ist, Anne Bennent als Sprecherin, deren Stimme den Sarkasmus und den morbiden Witz des Textes wunderbar ausdrückt. Doch dann traute sich der Hörbuchverlag, mit seinen rund 30 Millionen Mark Umsatz größter in der Branche, nicht. Vielleicht war es ein Wink von McKinsey, der ja kürzlich bei Rowohlt und Fischer gewütet hat und die guten Autoren scharenweise zur Flucht veranlasst hat; vielleicht aber ist die partielle Verblödung schon in den Köpfen der Hörbuch-«Macher« angekommen. Auf jeden Fall durfte dem Zuhörer nicht der ganze Text zugemutet werden. Aber was kürzt man in solch einem, inzwischen klassisch gewordenen Text? Der von seiner barocken Üppigkeit lebt, wo man also schlecht Zusätze in den Beschreibungen streichen kann; in dem aber gleichzeitig Übertreibungen zum Charakter der Figuren gehören und deshalb auch stehen bleiben sollten? Eigentlich nichts oder kaum etwas. Offenbar hat man gar nicht darüber nachgedacht, sondern sich mal wieder die »Mitte« vorgestellt, wo ja angeblich alle stehen und kaufen. So mussten Äußerungen des Doktors dran glauben, der ganz gerne mal vor Publikum schwadroniert. Dabei entschuldigt er sich doch vorher - ganz die Höflichkeit selbst: »Luther - und ich hoffe, ich trete ihnen nicht zu nahe, wenn ich es so sage - war ein solch unflätiger alter Bock, wie nur je einer das Stroh des eigenen Stalls getrampelt hat.« Na ja, das kann man auch konsensmäßiger ausdrücken, aber fällt da gleich jede Diakonissin in Ohnmacht?Am Ende der Deutschen Demokratischen Republik - sanft mögen ihre Hoffnungen ruhn - wurde noch ein Nachwort für einen Reclam-Band mit Erzählungen von Djuna Barnes geschrieben. Dort steht, wahrscheinlich in Hinblick auf den Zensor: »Man hat ihr deshalb oft Morbidität vorgeworfen. Auf eine diesbezügliche Frage reagiert sie bissig: »Morbide? Da kann ich nur lachen. Dies Leben, das ich schreibe und zeichne und porträtiere, ist das Leben, wie es ist und folglich nennen Sie es morbide. Sehen Sie sich mein Leben doch an! Sehen sie sich das Leben um mich herum doch an! Wo ist denn die Schönheit, die bei mir angeblich fehlt? Wo sind die hübschen Episoden, die andere schildern?«« Mir scheint, als wäre die Wende eine große Zeit gewesen, die es zu feiern gilt: nicht mehr sozialistischer Realismus und noch nicht McKinsey.James McBride: Die Farbe von Wasser, gelesen von Judy Winter und Christian Brückner, steinbach sprechende bücher, Schwäbisch Hall 2000, 5 Kassetten, 79,80 DM.Ror Wolf: Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika, Der Audio Verlag, Berlin 2000, 1 CD, 32,95 DM.Dinna Barnes: Nachtgewächs, gelesen von Anne Bennent, der hörverlag, München 2000, 3 Kassetten, 45,- DM
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.