Nach dem Schweigen der Waffen setzten sich im Juni letzten Jahres in Berlin kosovarische, kroatische und serbische Schriftsteller zusammen. »Flaschenpost« nannte sich die Lesung, und Inselbewohnern gleich, nahmen die Autoren nach Volkszugehörigkeit an den äußersten Enden des Podiumtisches Platz. Zwar waren sie zusammengekommen, um die kosovo-albanische Literatur aus ihrem Schattendasein herauszuführen und ein Zeichen für eine zukünftige Verständigung über die Fronten hinweg zu setzen, doch Krieg und Repressionen hatten augenscheinlich auch in der Literaturwelt einen tiefen Graben eingerissen. Für den Schriftsteller und Journalisten aus Pristina, Migjen Kelmendi, ist der Tag seiner Deportation nach Mazedonien das einschneidende Erlebnis
nis seines 41jährigen Lebens. Während seines Aufenthalts als Stipendiat auf Schloss Wiepersdorf hat er versucht, diese Erfahrung literarisch zu verarbeiten, doch es wollte ihm nicht gelingen. Von den Chlichés einer Heimatliteratur albanischer Prägung und der weit verbreiteten Opferrolle eines geteilten Volkes möchte Kelmendi Abstand nehmen. Eine neue Bewegung der kosovarischen Literatur sieht er aber auch nicht. Zwischen der Position eines engagierten Autors wie Georges Orwell und eines bewusst Unpolitischen wie Vladimir Nabokov gestellt, tendiert Kelmendi zu der Haltung des Exil-Russen. Und doch gehörte der ehemalige Kolumnist der kosovarischen Zeitung Koha Ditore zu den Gegnern der gewaltfreien Widerstandsbewegung Ibrahim Rugovas. Er sei ein Hardliner, und schier unmöglich sei es gewesen, angesichts der zunehmenden Unterdrückung von serbischer Seite sich nicht zu politisieren. Milos?evic´ hat mich letztendlich zum Autor gemacht, stellt Migjen Kelmendis fest und muss dabei ungläubig lachen. Nachdem er Anfang der 90er Jahre wie Tausende seiner Landsleute seinen Journalistenjob beim einzigen Fernsehsender Pristinas verloren hatte und ihm auch der Pass abgenommen worden war, schrieb er seinen Roman Der Schlund der Zeit. Es folgten, nach Arbeitsaufenthalten in Albanien und den Vereinigten Staaten, zwei weitere Bücher mit Reportagen und Essays. Die Neugierde führte ihn nach Albanien, das in den Köpfen der Kosovaren als Mutterland herumspukt. Sehnsucht nach Heimat heißt sein Buch und dürfte das Lebensgefühl vieler Kosovaren genau auf den Punkt treffen. Welchen Status soll zukünftig das Kosovo haben? »Wir sind Albaner und in den Augen vieler Serben lange Zeit nichts als Parias gewesen«, antwortet Kelmendi, fügt aber gleich hinzu, dass er sich ein »ethnisch sauberes« Kosovo nicht vorstellen könne, denn das wäre die Fortführung der Politik Milos?evic´s.Bora C´osic´, Jahrgang 1932, zählt sich zu einer Generation jugoslawischer Autoren, die entweder tot sind oder im Exil leben. Neben Danilo Kis? und Mirko Kovac ist er einer der meist übersetzten Schriftsteller, die in Titos Sozialismus durchaus misstrauisch beäugt wurden, weil sie dem Surrealismus und dem Russischen Formalismus anhingen. Kis? ist tot, Kovac hat sich in Kroatien zurückgezogen. C´osic´ wählte für sich Berlin. Für ihn habe sich nicht viel verändert, denn ein Autor lebe immer im Exil. C´osic´ konnte in den siebziger Jahren einschlägige Erfahrungen mit dem inneren Exil machen. Seine Satire Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution, zuerst als Roman erschienen, dramatisierte er für ein Belgrader Theater. Nach der hundertsten Vorstellung wurde das erfolgreiche Stück plötzlich abgesetzt, der Roman nicht neu verlegt. Ein direktes Berufsverbot könne man seinen Fall nicht nennen, aber vier Jahre lang sei er eine Persona ingrata gewesen. Die Opfer des sozialistischen Jugoslawiens sind bis heute tabu. Überhaupt gebe es viele Tabus, weil mit der Machtübernahme von Slobodan Milos?evic´ eine ungeheure Propagandawelle das Land erfasste, die das Feindbild nach außen verlagerte. Hierbei spielte die serbische Intelligenzja eine entscheidende Rolle. Bereits im Oktober 1986 veröffentlichte ein Komitee der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste ein »Memorandum«, in welchem das föderative System Jugoslawiens als obsolet beschrieben wird. Ein starkes Jugoslawien bedeutet ein schwaches Serbien, heißt es darin, vor allem die serbische Minderheit im Kosovo sei zur Zielscheibe albanischer Aggression geworden. Für Danilo Kis? ist der Nationalismus in Jugoslawien seit je virulent gewesen. Er stellt in seinem Essay Mitteleuropäische Variationen fest, dass die »Unterschiede zwischen den nationalen Kulturen in dieser Region größer als die Ähnlichkeiten, die Antagonismen stärker als Übereinstimmung und Homogenität waren«. Er, der katholisch getaufte Sohn einer montenegrinischen Mutter und eines jüdisch-ungarischen Vaters, hatte bereits als Kind erfahren, was es bedeutete, nicht die »richtige« Identität zu haben. Bora C´osic´ sieht die zeitgenössische serbische Literatur eher in Amsterdam, Rom, Wien oder einem Belgrader Keller angesiedelt. Er setzt seine Hoffnung auf eine ungewisse Zukunft, denn es ist noch lange nicht abzusehen, wann diese Exilierten aus ihren Kellern, Wiener oder Amsterdamer Wohnungen herauskommen werden. Noch regieren in Belgrad die akademischen Funktionäre und literarische Scharfmacher. Die Dechiffrierung der nationalen Mythen bleibt vorrangiges Ziel der balkanischen Autoren. Erst dann wird sich die Kluft zwischen serbischen und kosovarischen Intellektuellen verringern. Bis dahin werden sich ein paar aufrechte Exilanten und Heimatlose in Berlin, Frankfurt und anderswo treffen.