Der Stier darf sein Ohr behalten

Corrida in Barcelona Vom "noblen Tanz" zwischen Mensch und Tier

Gibt es noch eine Stadt im Süden Europas, von der eine Luftaufnahme so einprägsam wirkt, wie das bei Barcelona der Fall ist? Ein ausgedehntes Raster regelmäßiger Häuserblöcke von exakt 133 mal 133 Metern entlang weitläufiger Boulevards umschließt das kleinteilige gotische Viertel, die Altstadt mit der Flaniermeile La Rambla, die wie ein Pfeil mit der Kolumbusstatue ins Mittelmeer weist. Das entrückt elegante Fin de Siècle Quartier Eixample sucht von der Ausdehnung, Pracht und Geschlossenheit her seinesgleichen - ein Baron Haussmann konnte in Paris nur davon träumen, als er die Stadt an der Seine im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts umzubauen begann. Auf solche Ruhepunkt im Stadtkern, wie Barcelona sie bietet, konnte er kaum zurückgreifen.

Am Rande von Eixample findet sich ein über 100 Jahre altes Colosseum, das regelmäßig einer fiesta nacional Raum gibt, die von manchen Katalanen verklärten Blicks als "wertvolles Kulturgut" gepriesen, von anderen als "unkultiviertes Spektakel" geschmäht wird - die Rede ist von der Corrida in der Stierkampfarena La Monumental.

Die Menschen sind herausgeputzt und in heiterer Stimmung an diesem Sonntagabend: Papa mit Havanna, der stolz seine erwachsenen Töchter umher führt, viele ältere Ehepaare und Freunde, nicht selten in Begleitung der Enkel, viele amerikanische und japanische Touristen. Nun, man darf heiterer Stimmung sein, denn man leistet sich schließlich Einiges. Auf den guten Plätzen, die im Theater Parkett genannt werden - und ein Grand Teatro soll es werden - kostet das Billet zwischen 50 und 90 Euro.

Ich kann nicht widerstehen, dem Straßenhändler ein Plakat der heutigen Corrida abzukaufen: Leonardo Hernandez, Ruiz Fernandes und Alvaro Montes sind die Toreros des Abends. Punkt halb sieben beginnt die Magnifica Corrida del Arte de Rejoneo - spanisch müsste man können, um diese Worte gehörig über die Zunge rollen zu lassen. "Nel sombre?" "Ja, bitte im Schatten!" Man hat darauf zu achten beim Kauf des Tickets. Der Abend bietet noch Temperaturen von 30 Grad, das Licht ist gleißend und grell. Vor den Aufgängen zu den Zuschauerrängen warten überall hagere Männchen in Pagen-Uniformen. "Sitzkissen, Sitzkissen" preisen sie an.

In Verona gehen die Menschen eben in die Arena, um eine Verdi-Oper zu hören, in Wien zu Debussy in die Große Oper, in Moskau zum Ballett ins Bolschoi-Theater - irgendetwas stimmt an diesem Vergleich nicht, denke ich. Hemingway und seine Begeisterung für den Stierkampf hin oder her. Es sind nicht Bildungsbürger und Intellektuelle hier in der Arena, eher der betuchte Citoyen Barcelonas, wohlhabende Handwerker, Makler, Hoteliers - Geschäftsleute eben.

Überrascht hatte mich die Hostess im Hotel angesehen, als ich sie nach der Adresse einer Stierkampfarena fragte, und im gleichen Atemzug hinzu gefügt, die Stadt wolle den Stierkampf abschaffen. Die Ratsversammlung von Barcelona habe im April mehrheitlich dafür gestimmt, demnächst eine "Stierkampf freie Stadt" ausrufen zu wollen. Freilich handle es sich noch um einen unverbindlichen Beschluss, denn zunächst müsse das katalanische Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschieden, und das könne dauern.

Eine zweite Arena in der Nähe von La Momunental ist geschlossen und wird momentan saniert. Offiziell geschieht das nicht, weil man sich des Spektakels ein für allemal entledigen will, sondern ein Teil des Stadions - zumindest spricht die Tafel am Bauzaun davon - ein Glasdach erhalten soll. "Wahrscheinlich wird daraus letzten Endes doch ein Parkhaus", verrät mir mit unverhohlenem Spott ein Freund der Corrida.

Deren euphorische Verteidiger sprechen gern vom "noblen Tanz" zwischen Mensch und Tier. Und weiß Gott, die Einheit zwischen Pferd und Mensch in Gegenwart des Stiers, wenn der Toreador - der Stierkämpfer hoch zu Ross - in die Arena trabt, ist von grandioser Perfektion. Doch wird von all den Enthusiasten mit einem Wort die langjährige Dressur und Züchtigung des Pferdes erwähnt? Schließlich höre ich, die Arena bezeuge "einen Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit", der daran erinnere, dass die Corrida über Jahrzehnte hinweg als ein Symbol des Widerstandes gegen die Franco-Diktatur galt.

Wie auch immer - die sich zur Zeit häufenden Angriffe auf den Stierkampf in Spanien scheinen die Folge eines veränderten, eines politisch korrekten Blicks. Der Zeitgeist wühlt, zumindest in Europa und Nordamerika, für den Tierschutz. Wenn Verfechter der Corrida von einem Komplott der angelsächsischen Kulturen sprechen, haben sie nicht Unrecht, denn Tierschutzinitiativen sind in den betreffenden Ländern besonders mächtig. Ihre Proteste richten sich gegen die Pelztierhaltung ebenso wie gegen die Fuchsjagd in England, auch die Dressurmethoden und die Tierhaltung im Zirkus werden attackiert. Nördlich der Alpen gilt heute - nicht zuletzt aus Gründen des Artenschutzes - die in Italien praktizierte Vogeljagd, bei der riesige Netze aufgespannt werden, als barbarisch.

Bei einem Stierkampf in Barcelona sterben durchschnittlich sechs Stiere - während einer Saison geht in Katalonien die Zahl der geopferten Tiere in die Hunderte. Nach einer Umfrage der Welttierschutzgesellschaft sprachen sich 2004 beachtliche 63 Prozent der Bewohner Barcelonas gegen Stierkämpfe in ihrer Stadt aus, 76 Prozent betrachteten sie als "grausam und unzivilisiert". Dennoch ist kaum damit zu rechnen, dass die Corrida aus dem öffentlichen Raum Spaniens verbannt wird, nur dürfte sie in den nächsten Dekaden als lebendige Tradition an Zugkraft verlieren.

Steil führt mich die Treppe auf die oberen Ränge, sie bieten eine phantastische Sicht auf den geharkten Sand im Rondell der Arena. Eine Blaskapelle spielt auf, um dem Einzug der Gladiatoren, nein der berittenen Toreros, ein musikalisches Geleit zu geben. Einer ist blond wie ein Schwede, ganz fesch in einer hauteng gegürteten Fantasieuniform im Stil des 18. Jahrhunderts, mit dem Dreispitz auf dem Kopf. Die Picadores folgen mit rundem Zorro-Hut zu Fuß, ein paar Arbeiter im Blaumann mit Harken sind noch im Tross, danach die robusten Schächerpferde. Applaus, Applaus ...

Die sechs prächtig genährten und kraftvollen Bullen stammen von Francisco Galache de Hernandinos aus Villavieja de Yeltes bei Salamanca, wird im Stadion verkündet. Dort haben sie einige Jahre ein wahrscheinlich prächtiges Bullenleben geführt. Nun ist ihre letzte halbe Stunde angebrochen, eine verlorene Zeit, sie endet fast immer tödlich, aber was wird sonst aus einem Bullen: Steak, Salami, das Geschäft auf einer Auktion, der Goldmedaillengewinner auf einer Tierschau?

Das Gatter hebt sich, der Stier prescht mit einer Geschwindigkeit herein, dass man sich fragt, mit welchen ausgefeilten Tricks er wohl gequält wurde. Sofort wird das Tier durch Tücherschwenken weiter gereizt, prescht gegen die Absperrung, dass es splittert, erblickt das nächste Tuch, dessen Träger sich im letzten Moment hinter einer Holzwand verbirgt, und steht - angekündigt durch einen Fanfarenstoß und die Takte eines Boleros - einem berittenen Widersacher zu Pferde gegenüber.

Die nächste Runde beginnt. Es ist heiß, auf den unteren Rängen steigt der Umsatz an Cerveza und Wasser, die Fächer werden herausgeholt. Ich bewundere die kühle Gelassenheit meiner Nachbarin, die unablässig Sonnenblumenkerne knabbert, und die höfische Eleganz, mit der sie dabei den Fächer schwingt.

Der schwarze Koloss da unten wirkt tumb und benachteiligt, wenn er, gerade von einer Lanze getroffen, irritiert dem schlanken Pferd und eleganten Reiter mit gesenkten Hörnern nachtrabt. Alles ist in der Wiederholung und der Variation des Rituals auf den einen Augenblick ausgerichtet: den Moment, in dem der Torero in grandioser Dressur sein Pferd zwingt, frontal dem Stier entgegen zu galoppieren, um es wenige Zentimeter vor dem Zusammenprall seitwärts wegzureißen, sich selbst über den Nacken des Stiers zu beugen und die Banderilla, den mit einem bunten Band versehenen Spieß, exakt und dennoch mit elegantem Schwung im Nacken des Tieres zu platzieren. Fällt die Lanze wieder herunter, ertönen Buh-Rufe von den Rängen. Just in diesem Augenblick von kaum mehr als einer Sekunde ist schon mancher Pferdeleib gesprengt und mancher Torero unter die Hufe geraten.

Nachdem der Stier seinen Todesstoß empfangen hat, springt die Arena geschlossen auf, die Leute applaudieren, winken mit weißen Taschentüchern und wenden sich in meine Richtung. "Was geht hier vor?" frage ich irritiert meine Nachbarin und höre von ihr, unter uns säßen die Preisrichter, das Präsidium. "Die Menschen fordern von ihnen einen Preis, ein Ohr für eine gute Vorstellung" - sie greift mir ans Ohr - "zwei Ohren für eine noch bessere oder den ..." - ihr fällt kurzzeitig das englische Wort dafür nicht ein - "den Schwanz." Aber die Preisrichter sind an diesem Abend nicht großzügig gestimmt. Heute wird dem toten Stier kein Ohr abgeschnitten.


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