Eine Generation zurück, genau: Vor 32 Jahren endete in Hamburg die große Caspar-David-Friedrich-Ausstellung. Hatte er bis dahin in weiten Teilen der Linken als frömmelnder Kitschier, wenn nicht gar als Romantiker des Deutschnationalen gegolten (mit dem Aufsatz Gott, Freiheit, Vaterland riss ihn der Kunsthistoriker Andreas Aubert zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der nahezu vollständigen Vergessenheit), so durfte man es sich danach erlauben, die suggestive Kraft seiner Bilder auf sich wirken zu lassen. Sein Eismeer aus den Jahren 1823/24 promovierte gar zu einer Art Ikone der sich damals abzeichnenden kampflosen Kapitulation der Neuen Linken vor dem aufsteigenden Neoliberalismus: Das im Packeis verlorene Schiff als Grabmal einer erloschenen Hoffnung.
Eben dieses Eismeer in seiner klirrenden Hoffnungslosigkeit begrüßt die Besucher der Schau jetzt in Essen gleich am Eingang, in seiner Wirkung aber gemildert durch das gleich daneben hängende ungemein hoffnungsvolle, geradezu lyrische Auf dem Segler aus dem Jahr 1818 (dem Jahr der Heirat Friedrichs). Gleich hier zeigt sich ein intelligentes Prinzip dieser Ausstellung, nach Möglichkeit die Bilder als Paare zu konfrontieren.
Die Organisatoren haben damit ein Verfahren aufgegriffen, das auf Friedrich selbst zurückgeht: Bildpaare zu produzieren. So fällt einem in Essen womöglich zum ersten Mal auf, dass die Böhmische Landschaft mit dem Milleschauer aus Dresden und die Böhmische Landschaft aus der Stuttgarter Staatsgalerie ein Paar bilden, das unterschiedliche Landschaftsausschnitte zeigt, wenn man den Blick nach links oder nach rechts wendet. Auch die Tageszeit unterscheidet sich auf den Tafeln: links vormittägliche Stimmung, rechts der Abend, eine Allegorie der Lebensalter wie der kundige Katalog deutet. Die Tafeln waren ein Hochzeitsbild und stellen so den Beginn und die Erfüllung einer Ehe dar. So etwas lässt sich wohl nur auf Ausstellungen demonstrieren und rechtfertigt vielleicht auch, die konservatorischen Bedenken zu übergehen, die empfindlichen Ölbilder durch die Gegend reisen zu lassen.
Das Lob des Kataloges bezieht sich nur auf die Texte, allenfalls noch auf die Reproduktion des graphischen Werkes, die Farbwiedergabe der Tafelbilder bietet kaum mehr als grobe Ähnlichkeit, und der Druck der Frau in der Morgensonne, immerhin ein Hauptwerk der romantischen Malerei, ist so verhunzt, dass der Tatbestand optischer Umweltverschmutzung erfüllt ist. Wenn man so etwas einmal mit den Druckqualitäten in den siebziger und frühen achtziger Jahren vergleicht, sieht man erst, wie viel an handwerklicher Fähigkeit seither verloren gegangen ist.
Es ist eine eigentümliche Welt, die der Maler aus Greifswald (1774 bis 1840) den Betrachtern eröffnet. Nichts ist da mehr von der heiter-bukolischen Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts, kaum etwas von der in jenem Jahrhundert neu entdeckten erhabenen Schönheit von "Gletschern, Gewittern und Revolutionen" (Jean Paul). Bei Friedrich liegt in der Ferne (um einen Vers Majakowskis aufzugreifen) "das Land der Sonne brach". Der oft ins Bild gesetzte Betrachter (keineswegs immer ein Mann und oft eine Gruppe) dieses Sehnsuchtlandes steht in einem dunklen Vordergrund, zwischen ihm und dem verheißenden Ziel klafft ein Abgrund, ist das Wasser viel zu tief.
Dies lässt sich - und im Katalog wird dies auch heftig getan - als Gegenreaktion auf den Aufklärungsoptimismus und auf den Schock der französischen Revolution deuten, man kann dies als - wenn man so will - gemaltes Luthertum (Friedrich bekannte sich zum Protestantismus, nannte seinen einzigen Sohn Gustav Adolf) sehen, dass Erlösung nur über den Tod für möglich hält. Ganz sicher ist es Ausdruck einer neuen Subjektivität, die Angst, Verzweiflung, das Gefühl des Ausgeliefertseins zulässt. Hier zeigt sich eine - durchaus auch als Bildmotiv - vergitterte Welt, in der das Tor zum Paradies verschlossen bleibt.
Wird in diesen Tafeln kein Glück, aber doch immerhin ein Glücksversprechen ins Bild gesetzt, so ist eine zweite Gruppe von Bildern nahezu gänzlich finster. Die Elsheimer-Tradition des Nachtbildes überbietend hat Friedrich in manchen dieser Tafeln alles Licht oder andere Hoffnungszeichen verbannt. Das erwähnte Eismeer gehört dazu, die Winterlandschaft aus dem Jahre 1811. Das berühmteste dieser Gruppe, der Mönch am Meer ist allerdings in der Ausstellung nicht zu sehen.
Darüber hinaus sind die Bezüge zur Freimaurerei, besonders in dem Skandal auslösenden Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar) aus den Jahren 1807/08, nicht zu übersehen. Mögen die Heutigen, die all´ die religiöse Erbauungsbildnerei, die auf dieser Tafel fußt, im geistigen Auge haben, mit dem Bild nicht so recht etwas anfangen können, damals war es ein ästhetischer Durchbruch.
Es ist jedoch ein Manko, dass Hubertus Gassner (allfällig noch nicht ausgestorbene Liebhaber der avantgardistischen Kunst im jungen Sowjetrussland werden sich an ihn als deren Kenner erinnern) in seinem Überblicksbeitrag des Katalogs diese Bezüge mehr andeutet als untersucht. Ohnehin steht eine Analyse der Beziehung zwischen den Zeitgenossen und (entfernten) Logenbrüdern Friedrich und Goethe, der auf Friedrich und generell auf die Romantik sehr negativ Bezug nahm, noch immer aus, auch Mozart könnte zu dem Dreigestirn Genie und Freimaurerei gezählt werden. Es sei denn, man wolle das Gegensatzpaar Aufklärung und Geheimnis auf immer so stehen lassen.
Aber mag sich auch der geistesgeschichtliche Hintergrund dieser Malerei nicht immer ausloten lassen, ohne Gefahr zu laufen, sich in Spekulationen zu verlieren, so sind seine formal neuen, ästhetisch vernetzten Bildlösungen ihrerseits bereits Ausdruck jenes kunsthistorischen Bruchs, für die sein Werk steht. Jener überraschende Kontrast zwischen einem beinahe fotorealistisch genau gehaltenen Vordergrund (Friedrich baute hier oftmals Studien der Natur, die er Jahre zuvor skizziert hatte, in einer Art Montagetechnik ein) und einer mal heiter, mal sich bedrohlich öffnenden Ferne ist sein vielleicht offensichtliches Gestaltungsprinzip.
Doch wenn in seiner Ansicht eines Hafens (1815/16) die Bugspriet des großen Schiffes links um ein Weniges aus der Parallelität zu den Fluchtlinien, wie sie die Zentralperspektive vorschreibt, herausgedreht ist, dann ist die Botschaft an die Betrachter: Hier kannst du jederzeit seekrank werden. Oder wenn, wie in der Riesengebirgslandschaft aus dem Jahre 1810, die hyperrealistisch dargestellten Furchen eines Sturzackers in gekrümmtem Gleichmaß quer zur Hauptachse der Komposition stehen, dann ist das so schwindelerregend wie das Vaginalmotiv Kreidefelsen auf Rügen (in der Ausstellung in seiner Winterthurer Fassung), das mit seiner Hyperbel-Struktur ohnehin die Unendlichkeit streift.
Der Blick auf die Ostsee, den Friedrich den Betrachtern in diesem Rügen-Bild öffnet, ist in beinahe schon impressionistisch schillernden Farbflecken aufgelöst. Wenn es denn stimmt, dass zwei Pfade in die (malerische) Moderne führen, der eine durch das Zersplittern der Form, der andere durch ihre Auflösung in Farbflächen, dann stand Caspar David Friedrich am Anfang des zweiten. Die Düsternis des Himmels über Stadt bei Mondaufgang oder Zwei Männer am Meer (beide 1817) zeigen, dass dieser keineswegs der heiterere ist. Und bis zu Malewitschs Schwarzem Quadrat (1914) sind es nur noch wenige Schritte.
Caspar David Friedrich: Die Erfindung der Romantik. Bis 3. September im Museum Folkwang, Essen. Anschließend in der Hamburger Kunsthalle bis 28. Januar 2007. Katalog, Hirmer, München 29 EUR
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