Drei Viertel Frau

Bildtypus Eine große Schau im Frankfurter Städel-Museum versammelt Botticelli-Bilder, die man ­so schnell nicht wieder ­zusammen sehen kann

Man kommt sich vor wie jenseits der Alpen. Knarrendes Deutsch kann sich nicht durchsetzen gegen das elegante Geschnatter italienischer Besucherinnen. Ohne statistische Erhebung; gefühlt sind weit mehr Italiener als Nordalpine in der Frankfurter Ausstellung Botticelli: Bildnis, Mythos, Andacht im Frankfurter Städel. Aber auch die Nordalpinen sind zahlreich. So ist das Gedränge groß, wenn auch nicht unerträglich. Nur vor den von den Audio-Guides als besonders wichtig empfohlenen Werken bilden sich so manches Mal Menschentrauben, die den Blick aufs Bild zugunsten akustischer Informationen unterbinden. Man muss sich durchsetzen, jetzt auch im Museum. Und wer dann mal in der ersten Reihe steht, darf nicht weichen oder wanken, um Zeuge des Fortschritts in der Kunst zu werden.

Der zeigt sich besonders deutlich in den Andachtsbildern. Zu sehen ist das förmliche Ringen zweier Florentiner Malergenerationen um eine kindgerechte Darstellung des Menschensohnes an der Brust der Madonna. Der Baby-Messias ist zwar auch bei Botticelli (1444/45 bis 1510) noch immer ziemlich ungeschlacht. Aber er ist doch längst nicht mehr der lediglich verkümmerte Erwachsene, der er noch bei Botticellis Lehrmeister Fra Filippo Lippi (etwa 1406 bis 1469) war.

In der Ausstellung wird auf die Andachtsbilder Botticellis großer Wert gelegt. Bei den Leben und Wundertaten des heiligen Zinobius, der sensationellen Zusammenführung der Tafeln aus London, New York und Dresden, fühlt man sich um ein kunsthistorisches Jahrhundert zurückgebeamt in das Zeitalter Giottos. Auf kaum absehbare Zeit wird man die Zusammenschau dieser Tafeln wohl nicht mehr sehen können. Um das Menschenrecht auf Bild geht es aber nicht nur bei der angemessen Wiedergabe eines Kindes, sondern auch der Frau. Es ist erhellend zu sehen, wie hier bei den Madonnen, bei den mythischen Idealfrauen die Dreiviertelansicht eines weiblichen Gesichtes – ein Bildtypus, der im weltlichen Portrait auch bei Botticelli dem Mann vorbehalten blieb – vermittels des Marienaltars eine mögliche, eine erlaubte Darstellungsform wurde.

Feuer des Tabubruchs

Trotzdem: Bei aller stil- und kunstgeschichtlichen Bedeutung, die Andachtsbild und Portrait im und für das Werk Botticellis haben mögen – es sind der Akt und der Beinahe-Akt der mythologisch verkleideten Frau, die jene berührenden Momente bilden, in denen das Feuer des inhaltlich wie formalen Tabubruchs von vor mehr als einem halben Jahrtausend noch immer nicht erloschen ist. Das gilt für die Geburt der Venus aus den Uffizien (die in der Frankfurter Ausstellung nicht zu sehen ist, dafür sich daran anlehnende Werkstattarbeiten aus Berlin und Turin) nicht weniger als etwa bei Minerva und Kentaur vom Ende der 1480er Jahre.

Der Katalog deutet dieses Bild in vorsichtiger Nachfolge des aus der Warburg-Schule stammenden Ernst Gombrich als Triumph der Vernunft über die Sinnlichkeit. Die Vernunft (Minerva) krault der Sinnlichkeit (Kentaur) den Schopf. Solche Versuche, die Sinnlichkeit zu bändigen, scheinen dann doch wie absehbare, gar gewollte Niederlagen der Vernunft gegenüber der Leidenschaft.

Überhaupt der Katalog! Die Farbwiedergaben sind exzellent, viele Aufsätze liefern anregende Ergänzungen und Zusatzinformationen. Nur ein Aufsatz (Rufmord mit Folgen) des Kunsthistorikers Ulrich Rehm sprengt alle Grenzen. Es geht um die Lebensbeschreibung Botticellis im Werk des Früh-Kunsthistorikers Giorgio Vasari aus dem 16. Jahrhundert. Genauer: Es geht um Vasaris Darstellung, Botticelli sei ein energischer Anhänger des nach John Wyclif und Johannes Hus wichtigstem Vorläufer der Reformation, Girolamo Savonarola (1452 bis 1498, erhängt und verbrannt), gewesen, habe mit ihm zusammen auch eigene Bilder verbrannt. Nun, wenn dem nicht so war, mag man das korrigieren, und sich darüber freuen, dass man keinen Werken Botticellis nachtrauern muss, die dieser selbst vernichtet hätte. Nicht so der Kunsthistoriker Rehm; da ist von Rufmord und regelrechter Verleumdung, von Infamie und kleineren und größeren Gemeinheiten im Werke Vasaris die Rede. Noch Aby Warburg weist „eine verdächtige Nähe zur Charakterschilderung Botticellis“ bei Vasari auf.

Dieser nicht anders als savonarolesk zu bezeichnende Furor, mit dem der Katalogautor Vasari verfolgt, hindert den Verlag indes nicht, das hintere innere Umschlagsblatt mit einem besonders warmherzigen Zitat Vasaris zu Botticelli zu schmücken.

Über solche Kuriosa mag man den Kopf schütteln, schließlich hat der Verlag Hatje Cantz einen Ruf zu verlieren. Aber das ändert nichts daran, dass die schönen Botticellis so verführerisch bleiben wie vor 500 Jahren. Und geheimnisvoll.

Botticelli; Bildnis, Mythos, Andacht Bis 28. Februar im Städel-Museum, Frankfurt/Main. Der Katalog kostet knapp 40 Euro.

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