In schwindelnde Höhen

Reliquienschrein Die Ausstellung "Summer of Love" in der Frankfurter Schirn

Nicht nur bei den Plänen für den Wiederaufbau der Altstadt aus dem Geist des spätbarocken Fachwerks: Der Retro-Geist grassiert allenthalben in Frankfurt am Main und nun auch in monumentaler Absicht. Und zwar mit der Ausstellung "Summer of Love - Psychedelische Kunst der 60 Jahre".

Mir sind diese späten sechziger, frühen siebziger Jahre in schöner Erinnerung, ich sage nur Pril-Blumen, Umma Gumma, Farbfernsehen, Musik aus "Studio B", rasend laute Konzerte, Alk, Hasch, LSD und noch ganz andere Drogen, sexuelle Revolution! Deren leidenschaftlicher Parteigänger war ich umso bereitwilliger, als ich damals biographisch die Schwelle vom ursprünglichen Sexualleben zu seiner arbeitsteiligen Form überschritt. Die psychedelische Feier der "Boddies in Love" bot dann doch eine so weitreichende Perspektive, dass ich den geforderten Preis (endlose Gitarrensoli, Lichtgewitter, die zu einem epileptischen Anfall zu führen schienen, versiffte Matratzen), wenn schon nicht gern, so doch zu entrichten bereit war.

Von all dem handeln die kenntnisreichen, informativen und in vielen Passagen klugen Beiträge des Katalogs. Für mich sind sie eine schöne, obgleich nur nachholende Bestätigung, mit meiner damaligen Kritik an der optischen wie akustischen Ästhetik der psychedelischen Kunst doch nicht ganz allein gewesen zu sein. Oder, was weit schlimmer gewesen wäre, nur in Gesellschaft von Spießern.

Gesellschaft von Spießern - das hieß etwa, Mitglied in einer damals in Westdeutschland durchaus noch florierenden schlagenden Studentenverbindung zu sein. Das hieß, die Droge Alkohol nur unter strengem Kommers und umso massenhafter zu sich zu nehmen. Das hieß, ein auf eine Galerie verbannte Damenrunde, die dem Treiben der Verbindung zusah. Das hieß Marschmusik statt Rockrhythmen (dass es heute umgekehrt ist, das ist gewiss ein großer Fortschritt der demokratischen Kultur, aber ist es auch einer der Musikgeschichte?). Das hieß Abschlussball oder Immatrikulationsfeier, hieß panische Furcht vor ungewollter Schwangerschaft, hieß Anstand, Geschmack und Angst vor der Roten Armee.

Spießer, Geschmack oder auch Kitsch, das sind inzwischen Begriffe, die hallen wie aus einer fernen, einer anderen Zeit. Ohnedies ziemlich unzureichende Kriterien eines Urteils, scheinen sie mit dem oder auch wegen des "Summer of Love" untergegangen zu sein. So ist dann wohl das Faszinosum dieser gerade von jungen Leuten (sehr schön, wenn Eltern ihre Kinder in dieser Ausstellung in die Abgründe ihrer jugendlichen Exzesse blicken lassen) viel besuchten Ausstellung die Dokumentation eines Zeitenbruchs.

Die einzelnen Exponate - von höchst unterschiedlicher Qualität - haben die ästhetische Anmutung eines - sagen wir - spätromanischen Reliquienschreins. Das gibt alles nicht viel her. Eine starke Ausnahme bildet die makellose Schön- wie Nutzfreiheit der Plastik Ohne Titel von Craig Kauffman aus dem Jahre 1967. Und dennoch handelt es sich um die unverzichtbare Dokumentation stilistischer Entwicklungen, die sich in den Entwürfen für den Alltagsgebrauch (Plakate, Zeitschriften-Lay-out, Plattencover, Ausstattungen von Filmen) manchmal augenfälliger manifestieren als in den Kunstwerken.

Es stimmt schon: Zum größten Teil macht den Reiz dieser Ausstellung ein amüsierendes Wiedererkennen und Erinnern aus. Und obwohl - gerade in Deutschland - nicht wenige Avantgardekünstler (etwa Günther Uecker und Gerhard Richter) sich am Durchsetzen der psychedelischen Kunst beteiligt haben, ist nicht viel geblieben, wozu man noch heute "Donnerwetter!" sagen würde.

Das hängt auch damit zusammen, dass diese Kunst eine alle Sinne ansprechen wollende Aktionskunst war, deren Appell so lange dauerte wie die Performance, und insofern auch etwas Unwiederbringliches, nicht Reproduzierbares hat. Zudem sind der größte Teil der Form- und Farbensprache psychedelischer Kunst Versuche, visionäre Eindrücke in der Ekstase, besonders der des LSD-Rausches ins Diesseits zu transponieren und die Eingeweihten (also jene, die diese Bildwelten wiedererkannten) zum erneuten Bachanal, zur Freundes- und Freudenfeier, zur immer währenden Agape einzuladen. In diesen schwindelnden Höhen verlor sich freilich der Rausch, wenn er das in der Ekstase Geschaute auf den Begriff hätte bringen sollen.

Im immer neuen Trip entzündete sich stattdessen das eigentümlich spirituell-mystische Ostinato dieser Kunst (samt der späteren Bereitschaft ihrer Adepten, allen möglichen Gurus hinterher zu rennen). In der Agape findet sich die Nähe der Kunst zur Revolution, zumindest zu deren freundlichem Antlitz bei der Verschmelzung der Massen.

Vielleicht ist vor diesem Hintergrund das nur schwer nachzuvollziehende Phänomen zu verstehen, dass in den einst mit psychedelischer Kunst geschmückten Wohngemeinschaften wenige Jahre, ja, Monate später plötzlich muskelbepackte Arbeiter, Scharfschützen der Volksbefreiungsarmee und ins Offene schreitende Volkskommunenbäuerinnen von den sinostalinistischen Plakaten grüßten ...

Dieser "Summer of Love" war sowohl (dies macht vor allem der ausgezeichnete Katalog deutlich) ästhetischer Stil wie wirkmächtige historische Bewegung. Aber war er eine Epoche oder blieb er Episode? "Summer of Love", das war vor allem die Kennlinie von Trennungen (durchaus auch schmerzhaften), zu deren Dynamik sich unterschiedlichste Kräftelinien ganz überraschend und in dieser Konstellation wohl einmalig bündelten. Damals, als man das, was heute cool ist, heiß nannte.



Summer of Love. Psychedelische Kunst der 60 Jahre. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 12. Februar. Katalog, Herausgegeben von Christoph Grunenberg, Hatje Cantz, Stuttgart 2005, 29,80 EUR


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