Immer, wenn es etwas stärker regnet, reicht das städtische Kanalsystem nicht aus, und große Mengen Abwasser gelangen in die Themse. Im vergangenen Jahr waren es 57,4 Millionen Kubikmeter. Für die britische Hauptstadt ist die stinkende Brühe nicht nur ein lokaler Skandal. Auch die Europäische Union möchte mittlerweile wissen, weshalb eine elementare Dienstleistung in London nicht funktioniert. Vor allem aber gefährdet das ungeklärte Abwasser die Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012. Dass Fäkalien und tote Fische während des Mega-Events die Themse hinuntertreiben könnten, ist den Herren des Internationalen Olympischen Komitees nicht verborgen geblieben und sorgte für Minuspunkte bei der ersten Prüfung der Kandidatenstädte.
London ist ein besonders krasses Beispiel für Privatisierungsfolgen. Denn zuständig für Wasser und Abwasser ist das Privatunternehmen Thames Water. "Das riesige Potenzial des Marktes lockt Unternehmen an, die an der weiteren Verknappung der Vorkommen verdienen wollen." So beschrieb das Wirtschaftsmagazin Focus-Money den "Megatrend Wasser-Aktien". Die einfache Formel lautet: "Knappes Gut - riesige Nachfrage". Die Leserinnen und Leser erfahren, dass der Wassermangel in Entwicklungsländern schon heute groß sei und weiter zunehme. Daraus werden glänzende Geschäftsaussichten abgeleitet.
Die Hoffnung ist nicht neu und hat Ende der neunziger Jahre Konzerne wie RWE veranlasst, Milliardenbeträge zu investieren, um zu einem der global player des Wassermarktes zu werden. Bisher beträgt der Anteil privater Konzerne an der weltweiten Wasserversorgung allerdings nur zehn Prozent. Die übrigen Wasserwerke werden von den Kommunen selbst betrieben. Das war auch in England und Wales so, bis Premierministerin Margret Thatcher 1989 die Privatisierung durchsetzte. Es entstanden zehn regionale private Monopole. Das Geschäft mit dem Wasser wurde zu einem großen Erfolg, allerdings nur für private Anleger und auch nur für einige Jahre. Die Kunden mussten hingegen drastisch steigende Wasserpreise hinnehmen. Das eingenommene Geld sollte angeblich in die Sanierung des Leitungsnetzes investiert werden, diente aber tatsächlich zur Erhöhung der Dividenden und der Managergehälter, ebenso der internationalen Expansion. Die Daily Mail sprach deshalb schon 1994 von einem "großen Wasserraubzug".
Die Konsequenzen dieses Raubzuges sind unübersehbar. In London geht etwa ein Drittel des Wassers zwischen Wasserwerk und Wasserhahn durch Leckagen verloren. Mit dem versickerten Wasser ließe sich eine 2,5 Millionen-Stadt versorgen. Zum Vergleich: Bei den kommunalen Hamburger Wasserwerken beläuft sich der Wasserverlust auf deutlich weniger als fünf Prozent. Thames Water wird zwar immer wieder wegen Umweltvergehen bestraft, und die Aufsichtsbehörden fordern, dass die Wasserverluste drastisch reduziert werden. Das Unternehmen ist dazu aber nur bereit, wenn es den Wasserpreis weiter erhöhen darf, was aber nicht im geforderten Umfang genehmigt wird.
Weil die Geschäfte mit dem "blauen Gold" in Großbritannien nicht mehr so richtig liefen, waren die Aktionäre vor fünf Jahren hocherfreut, dass der Essener RWE-Konzern den Wasserversorger Thames Water kaufte. RWE war vor allem an den internationalen Aktivitäten des Unternehmens interessiert. Als die Gewinne noch reichlich flossen, hatte Thames Water seine Geschäftsaktivitäten auf 44 Länder ausgedehnt, von Chile bis China, von den USA bis Indonesien. Der Kauf von Thames Water sowie des US-Konzerns American Water Works sicherte RWE einen Platz in der Spitzengruppe der internationalen Wasserkonzerne.
Ausbau verweigert
Aber die erhofften Gewinne im Süden der Welt blieben aus. Dafür "erbte" man eine Reihe von Konflikten, vor allem in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Dort hatte Thames Water in den neunziger Jahren gemeinsam mit dem ältesten Sohn des Diktators Suharto ein Unternehmen gegründet, das 1997 prompt den Zuschlag für die Wasserversorgung in einer Stadthälfte von Jakarta erhielt. Die asiatische Wirtschaftskrise machte allerdings alle Gewinnprognosen hinfällig, und der Sturz Suhartos ließ die Zusammenarbeit mit seinem ältesten Sohn zur Belastung werden. Also wurden neue Geschäftspartner gesucht und gefunden. Seither ist der Wasserpreis mehrfach erhöht worden, was Unmut und Proteste in der Bevölkerung auslöste. Allerdings stieg der Preis nicht so stark, dass Thames Water davon die hohen Gehälter der europäischen Manager zahlen und Gewinne erzielen konnte. Nach eigenen Angaben machte das Unternehmen Ende 2003 einen monatlichen Verlust von 1,5 Millionen Dollar. Deshalb weigert man sich bis heute, den vertraglich vorgesehenen Ausbau der Versorgungsnetze vorzunehmen. Die Bevölkerung von Armenvierteln anzuschließen, lohnt sich für den Wasserkonzern mangels Kaufkraft der Kunden ohnehin nicht.
RWE hat angekündigt, sich auf einige lukrative Wassermärkte in Europa und Nordamerika zu konzentrieren. An Jakarta besteht kein Interesse mehr. Das ist symptomatisch für die Branche. Der französische Suez-Konzern ist ebenfalls auf dem Rückzug aus ärmeren Ländern und möchte die Wasserversorgung der philippinischen Hauptstadt Manila und der argentinischen Metropole Buenos Aires aufgeben. Die Kommunen müssen einen mühsamen Übergangsprozess verkraften, bis wieder eine geordnete Versorgung aufgebaut ist. In anderen Ländern wie Bolivien, Ghana und Südafrika gibt es nicht nur lokalen Widerstand gegen die jeweilige Privatisierungspolitik. In Uruguay stimmten am 31. Oktober 2004 mehr als 64 Prozent der Bevölkerung für einen Verfassungszusatz, der die Privatisierung der Wasserversorgung untersagt.
Auch in Deutschland haben sich vielerorts Initiativen gegen einen Verkauf der Wasserbetriebe an private Betreiber formiert. In Hamburg zum Beispiel war ein Volksbegehren gegen die Privatisierung der Wasserwerke erfolgreich. Um Haushaltslöcher zu stopfen, sind viele Kommunen dennoch zum Verkauf bereit. So verkaufte das Land Berlin 1999 knapp die Hälfte der Anteile an den Berliner Wasserbetrieben und musste erleben, dass es immer wieder zu Konflikten zwischen den Managern der beiden privaten Betreiber RWE und Vivendi (heute Veolia) kam, so dass in einem Fall der damalige Wirtschaftssenator Gregor Gysi vermittelnd eingreifen musste. Wie in anderen Städten werden auch in Berlin die Wasserverbraucher geschröpft. Im vergangenen und in diesem Jahr sind die Preise um insgesamt mehr als 20 Prozent gestiegen. Weil sich die Kunden mit einem geringeren Verbrauch gegen den Preisanstieg wehren, machen die Berliner Wasserbetriebe im operativen Geschäft eher Verluste als Gewinne. Das allerdings stört die privaten Betreiber nicht unbedingt. Denn ihnen sind acht bis neun Prozent Gewinn vertraglich garantiert, die der Senat aus Haushaltsmitteln abdecken muss. Der Vergleich zu den Hamburger Wasserwerken ist auch in dieser Hinsicht interessant: im selben Zeitraum sind die Preise in der Hansestadt nur um knapp 1,5 Prozent gestiegen.
Verbraucher geschröpft
Dass trotz solcher Erfahrungen die Privatisierung der Wasserversorgung weiter vorangetrieben wird, hat vor allem zwei Gründe. Die Wasserkonzerne sehen nach wie vor Gewinnchancen in lukrativen Regionen, und die Verfechter der neoliberalen Wirtschaftsideen wollen nicht hinnehmen, dass ihr Glaubensgrundsatz, private Unternehmen würden überall besser arbeiten als öffentliche Betriebe, im Wasserbereich auf eklatante Weise widerlegt worden ist. So übt die Weltbank weiterhin massiven Druck auf die Regierungen von Ländern wie Ghana und Tansania aus, die Wasserwerke zu privatisieren.
Auch bundesdeutsche Entwicklungshilfe wird für diesen Zweck mobilisiert. Das Stichwort heißt "Public Private Partnership". Das Engagement privater Unternehmen in armen Ländern wird so großzügig mit Entwicklungshilfegeldern bedacht, dass es sich lohnt. Folgerichtig geriet beim Alternativen Weltwasserforum FAME 2005 in Genf, einem Treffen von Wasserinitiativen aus aller Welt, die staatsnahe "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" (GTZ) in die Kritik. Sie hatte in der bolivianischen Großstadt El Alto die Privatisierung der Wasserversorgung massiv gefördert. Preiserhöhungen, schlechte Versorgungsleistungen und Widerstand der Bevölkerung ließen nicht lange auf sich warten. Im Januar 2005 wurden schließlich nach Demonstrationen und Straßenblockaden die Verträge mit dem französischen Wasserkonzern Suez gekündigt und die Wasserbetriebe rekommunalisiert.
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