Die Sozialisten und ihr Zar

Bulgarien nach der Wahl Eine heterogene Koalition will das Land europatauglich machen und die radikale Rechte klein halten

Gott hat uns den König geschickt, um uns zu bestrafen", zitierte die bulgarische Tageszeitung Standart vor kurzem Hochwasseropfer. Sie monierten, die vom scheidenden Ministerpräsidenten und Ex-Zaren Simeon Sakskoburggotski zugesagte Katastrophenhilfe käme nicht schnell genug und fiele zu gering aus. Bulgarien wurde in den letzen Wochen von mehreren schweren Unwettern heimgesucht, bei denen 17 Menschen starben, Tausende Haus und Hof verlassen mussten und die Infrastruktur des Landes schwer geschädigt wurde.

Zur gleichen Zeit traf sich die politische Klasse immer wieder zu ergebnislosen Koalitionsverhandlungen. Obschon führende Politiker noch am Wahlabend unisono die Notwendigkeit einer zügigen Regierungsbildung erklärt hatten, dauerte es schließlich fünfzig Verhandlungstage und drei Versuche, bis eine mehrheitsfähige Koalition stand. Am 16. August wählte die Bulgarische Nationalversammlung schließlich ein Mitte-Links-Bündnis aus Sozialistischer Koalition für Bulgarien, Nationaler Bewegung Simeons II (NMS II) und der Bewegung für Rechte und Freiheit (BRF), der Vertretung der türkischen Minderheit. Der Sozialist Sergej Stanischev muss nun als Ministerpräsident die von der EU angemahnten Reformen in Justiz und Verwaltung umsetzen, um die drohende einjährige Verschiebung des für den 1. Januar 2007 avisierten EU-Beitritts zu vermeiden.

Für die zähe Regierungsbildung machen die Bulgaren vor allem Sakskoburggotski verantwortlich. Seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren ist der ehemalige Zar stetig in ihrer Gunst gesunken. Vor der Wahl schloss er eine Unterstützung seiner Partei für eine sozialistisch geführte Koalition unter Stanischev kategorisch aus und beharrte danach gewohnt wortreich nichtssagend auf diesem Standpunkt. Gleichzeitig ließ er aber seine Leute genau darüber verhandeln und am 10. Juli sogar ein gemeinsames Koalitionsprogramm von Zaristen, Sozialisten und Türken verabschieden. Schließlich ließ Sakskoburggotski den ersten Versuch zur Bildung der links-zentristischen Dreier-Koalition im letzten Moment effektvoll platzen.

Simeons Regierungsbilanz ist zwiespältig: Ausländische Beobachter loben die positive makroökonomische Entwicklung: seit einigen Jahren liegt das Wirtschaftswachstum zwischen vier und fünf Prozent, bleibt die Inflationsrate moderat und ist die Staatsverschuldung rückläufig. Mit 10,9 Prozent ist die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand seit neun Jahren gesunken. Die Bevölkerung allerdings misst den Zar an seinem vollmundigen Wahlversprechen "Wählt mich und in 800 Tagen wird es Euch spürbar besser gehen!". Für Enttäuschung sorgt nicht zuletzt die verhältnismäßig schwach gewachsene Kaufkraft bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 300 bulgarischen Lewa (150 Euro). Im Straßenbild der großen Städte ist sowohl der protzig zur Schau gestellte Reichtum der "Neuen Bulgaren", aber auch die erschütternde Armut in Gestalt der sich aus Mülltonnen ernährenden Obdachlosen zu sehen.

Die Sozialisten dürfte so vor allem ihr Versprechen, der sozialen Frage künftig stärkeren Stellenwert einzuräumen, zur mit 31 Prozent der Stimmen stärksten Partei im Parlament gemacht haben. Nun muss sich zeigen, wie sie ihre Wahlversprechen umsetzen wollen: den Abzug der bulgarischen Soldaten aus dem Irak oder die Überprüfung umstrittener Privatisierungsgeschäfte des Zaren-Kabinetts. Umstritten dürfte in der neuen Koalition auch die Wiederverstaatlichung der Ländereien des Zaren im Rila-Gebirge - Wert: 170 Mio Dollar - sein, die sich dieser als Ministerpräsident zurückübertragen hatte. Im Vergleich zu den unterschiedlichen Positionen in tagespolitischen Fragen wiegen sogar die nicht unerheblichen geschichtlichen Altlasten dieser Regierung leichter. Sergej Stanischevs Vater Dimiter hatte als Partisan in den vierziger Jahren gegen Simeons Vater, den mit den Nazis paktierenden Zar Boris III, gekämpft. In den späten achtziger Jahren trug er dann als ZK-Mitglied Mitverantwortung für die aggressive Bulgarisierungskampagne, die Hunderttausende bulgarischer Türken zur Emigration in die Türkei trieb.

Nun haben sich Sozialisten, Zaristen und Türken gemeinsam zur Regierung "des wirtschaftlichen Wachstums, der sozialen Verantwortung und der Integration Bulgariens in die EU" erklärt. So konnten wenigstens vorgezogene Neuwahlen vermieden werden, von denen wohl hauptsächlich die zum ersten Mal im Parlament vertretene Koalition Ataka profitiert hätte. Das Wahlprogramm dieser als rechtsradikal geltenden, vom Journalisten Volen Siderov angeführten Protestpartei besteht im Wesentlichen aus wütenden Angriffen gegen die herrschende "Polit-Mafia" und aus fremdenfeindlicher Agitation gegen die bulgarischen Minderheiten der Türken und Roma. Vor wenigen Tagen forderte die Roma-Partei Evroroma den staatlichen Medienkontrollrat auf, gegen Siderovs tägliche Polit-Sendung Ataka in dem privaten Fernsehkanal SKAT-TV vorzugehen, die er konsequent zur Stimmungsmache gegen Roma und Türken nutzt.

Von den Parlamentswahlen ist eine Belebung der politischen Szene in Bulgarien ausgegangen - und mit dem Auftauchen des Phänomens Ataka auch eine Radikalisierung. Bereits im Oktober werden unter anderem in Sofia Kommunalwahlen abgehalten. So ist davon auszugehen, dass die neue politische Dynamik bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr anhalten wird.


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