Ein Trojanisches Pferd

Politisch Unkorrektes über mögliche US-Raketen in Polen und Tschechien Damit soll besonders das "alte Europa" gezügelt werden

Wer regelmäßig wissen will, was die maßgeblichen außenpolitischen Eliten der USA denken beziehungsweise was sie wollen, dass wir denken sollen, der braucht bloß einmal pro Woche in den Berliner Tagesspiegel zu schauen. Jeden Montag beantwortet dort der Mit-Herausgeber der Zeit, Josef Joffe, unter der selbstbewussten Überschrift Was macht die Welt? Fragen zur weltpolitischen Lage, die ihm vom Leiter des Washingtoner Büros, Christoph von Marschall, im Namen von uns ratlosen Ignoranten vorgelegt werden. Joffe genießt den ihm zugebilligten Status als autorisierter praeceptor imperii mit zwischen den Zeilen lesbarer Wonne.

Weniger bekannt ist möglicherweise, dass ausgerechnet dieses Musterexemplar eines transatlantischen Karrieristen seit kurzem auch Mit-Herausgeber eines Buches ist, das vorgibt, eine Art Anthologie von "politisch unkorrektem" Denken zu sein, (Josef Joffe, Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner, Michael Miersch: Schöner denken. Wie man politisch unkorrekt ist, München 2007) Unter "politisch unkorrektem" Denken verstehen Leute wie Joffe vorzugsweise die von einer kleinen, unerschrockenen Geisteselite tapfer unter die Leute gebrachten Einsichten in den ethischen Wert unserer Weltordnung und Amerikas als Weltmacht Nr. 1, die aber gegenüber den "politisch korrekten", von den Linkseliten gnadenlos überwachten anti-amerikanischen und natürlich anti-semitischen Sprach- und Denkvorschriften auf verlorenem Posten stehen.

Der russischen Lesart angeschlossen

Seit den Zeiten des Kalten Krieges verstanden die politischen Führer Amerikas die Weltpolitik in Kategorien der Spieltheorie. Die Welt war unzweideutig geteilt in Freund und Feind, jeder "Gewinn" des Einen wurde als "Verlust" des Anderen gedeutet, man rang um "Einfluss", sandte "deutliche Signale" und kämpfte gegen "Glaubwürdigkeitsverluste". Nuklearstrategie nannte man das damals. Joffe verkauft seinen Lesern bis heute eine Weltsicht nach diesem Muster, obwohl die Frage des Feindbildes inzwischen viel komplizierter ist. Das ficht ihn nicht an, denn klar bleibt für ihn stets, wer Freund ist.

Gerade informierte er uns nun in seiner Rubrik, wie man das aufgeregt debattierte Thema "US-Raketenabwehr auf mittel-osteuropäischem Territorium" zu sehen habe. Er kommt ohne Umschweife zur Sache: Die Deutschen, erläutert er seinem Interviewer, hätten sich in dieser Frage "erstaunlich schnell" der "russischen Lesart" angeschlossen, allen voran Außenminister Steinmeier - der warne lächerlicherweise vor einem "Wettrüsten" und das bloß, "weil die Polen eine Handvoll Anti-Raketen haben wollen!" Dabei wisse doch erstens jeder, fabuliert er ohne jeden Beleg, dass Moskau "längst wieder aufrüste" und zweitens die "polnischen Systeme Putins globales Angriffspotential nicht einmal ankratzen können". Außerdem bauten Franzosen und Deutsche ebenfalls Abwehrsysteme. Vor allem aber wäre es unverantwortlich, wenn die Amerikaner in Osteuropa keinen Raketenschild errichteten, angesichts der Atomrüstung Irans und seiner kommenden Nachahmer. Also noch mal: Erstens rüsten die Russen gleichfalls auf, zweitens können die geplanten Systeme russische Raketen gar nicht abwehren, drittens bauen andere auch Abwehrsysteme, viertens sind sie gegen die Iraner gedacht. Wer wissen will, was uns derartige Sophismen über ihren Urheber sagen, der schaue nach in Freuds Schrift Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten.

In diesem Fall erkennen wir Joffes Absicht ohne Freud: Er will um jeden Preis von den wirklichen Motiven der US-Regierung für den Aufbau von Raketenabwehrsystemen in Osteuropa ablenken. Es handelt sich dabei nämlich gar nicht um ein militärisches, sondern ein politisches Manöver. Seit Beginn des Irak-Krieges unterscheiden die Bush-Leute zwischen einem "alten" und einem "neuen" Europa. Mit dem alten meinen sie Länder, die sich der "solidarischen" Teilnahme am Irak-Krieg verweigerten, mit dem neuen Europa sind Staaten, vorrangig im Osten, benannt, die sich als willige Helfer zur Verfügung stellten. Das alte Europa gilt als jene Fraktion des Kontinents, die gewisse Emanzipationsambitionen gegenüber den Amerikanern hegt, angeführt von Frankreich und Deutschland. Umgekehrt fühlen sich einige osteuropäische Staaten von Paris und Berlin zu sehr dominiert. Folglich wurde die Möglichkeit gern ergriffen, ein Gegengewicht aufzubauen - und sei es um den Preis einer unpopulären Kriegsteilnahme.

Im gleichen Boot?

Während des Kalten Krieges waren die Nukleararsenale der Supermächte inklusive aller mit ihnen verbundenen Abwehrsysteme mitnichten vorgesehen, damit wirklich Kriege zu führen. Sie dienten vielmehr zur Machtprojektion, um jederzeit in durch Nuklearsuperiorität abgesicherte konventionelle Kriege ziehen zu können.

Diese Strategie wird unbeirrt fortgeführt, etwa mit den Plänen der Bush-Regierung, eine neue Generation von Wasserstoffbomben zu entwickeln. Bei der geplanten Raketenabwehr dagegen geht es um etwas Spezielles: Wenn nämlich die Amerikaner in Polen oder Tschechien eine solche installieren sollten, verfügen sie damit über ein gewichtiges Einflussinstrument auf EU-Territorium. Es hat allein politischen, keinen militärischen Wert. Nicht einmal ein ausgesprochener Idiot dürfte ernsthaft glauben, dass irgendwer im Iran einen Atomangriff auf Westeuropa vorbereite.

Also sind auch die geplanten US-Systeme in Polen zur Machtprojektion gedacht. Nur gegen wen soll die sich richten? Doch gegen Russland? Wohl kaum, dessen Interkontinentalraketen auf Amerika würden nicht über Europa fliegen, und Angriffe auf Polen könnte der vorgesehene Raketenschild gar nicht abwehren. Was bleibt dann übrig? Nichts Geringeres als die Projektion amerikanischer Macht gegenüber Frankreich und Deutschland! Wenn die USA im neuen Europa hoch gezüchtete Militärinstallationen unterhalten, ist das alte Europa vorläufig eingedämmt bei seinen Versuchen, eine EU-Einheitsfront gegen die USA aufzubauen. Das möchte die deutsche Regierung gern verhindern, deshalb beklagt ihr Außenminister einen "möglichen Rüstungswettlauf". Tatsächlich meint er - aber das wäre nun wirklich "politisch unkorrekt", würde er das laut sagen - ein Trojanisches Pferd der USA!

Die Gefahr, dass sich die Europäer irgendwann selbstständig machen, haben die außenpolitischen Eliten der USA bereits unmittelbar nach Abdankung der Sowjetunion 1991 heraufziehen sehen. In den Richtlinien für die Verteidigungsplanung 1994 bis 1997, verfasst unter dem damaligen Verteidigungsminister Cheney, heißt es: "Unser oberstes Ziel muss sein, den Wiederaufstieg eines neuen Rivalen zu verhindern - sei es auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder sonst irgendwo auf der Welt -, der eine Bedrohung von der Größenordnung der ehemaligen Sowjetunion darstellen würde." Dass damit perspektivisch auch die sich seinerzeit (1992) gerade über eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verständigende EU eher als das demoralisierte Russland gemeint war, ist so nahe liegend wie den meisten Deutschen unangenehm. Es geht nämlich nicht mehr um konkurrierende Gesellschaftssysteme, sondern um Ressourcen - die Stoffe, aus denen das gute Leben ist. Da hört, wie beim Geld, auch in so genannten Wertegemeinschaften die Freundschaft auf. Aber wir sollen, ginge es nach Leuten wie Joffe, gar nicht auf die Idee kommen, dass die amerikanischen Freunde uns gegenüber andere denn atlantisch fürsorgliche Absichten hegen. Schließlich sitzen wir doch alle im gleichen Boot, oder?


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