Seit dem 20. Januar haben die Vereinigten Staaten offiziell einen neuen Präsidenten. Der Republikaner George Walker Bush wurde in verschiedenen Phasen seines Lebens diagnostiziert als Legastheniker, Playboy, Alkoholiker und schlechter Geschäftsmann, der mit dem guten Geld von Freunden seines Vaters ein Projekt nach dem anderen in den Sand setzte, bis er dann mit Hilfe der öffentlichen Hand Inhaber des Profi-Baseball-Teams der Texas Rangers werden durfte und schließlich Gouverneur des ganzen Staates. Der Staat Texas sieht für den "Gouverneur" die Aufgaben und Verantwortlichkeiten einer Art Frühstücksdirektor vor. Es war der erste richtige Job in seinem Leben. Viele Amerikaner fragen sich, warum er ihn aufgegeben hat. Denn während man seinem Vorgä
m Vorgänger ansah, dass er nie einen größeren Wunsch hatte, als Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, machte der neue Mann bei seinen ersten Auftritten eher den Eindruck, als habe er diese aufreibende und zu ihm überhaupt nicht passende Aufgabe nur widerwillig übernommen.Er soll sich auch kein Bein ausreißen. Er soll bloß die Reste des Sozialstaates privatisieren, dem Militär drastisch die Mittel erhöhen und vor allem die Clinton'schen Steuererhöhungen für Besserverdienende wieder rückgängig machen. Die amerikanische Demokratie funktioniert gut auch ohne starke Präsidenten. Ja, je mehr die "Spendengeber" vornehmlich in die Möglichkeit gezielter Vorteilsnahme investieren wollten, desto störender ist eine selbstbewusste Person an der Spitze, denn die kann Friktionen - wie eigenen politischen Ehrgeiz, persönliche Würde oder Interesse am Gemeinwohl - mit ins Amt bringen. Freundliche Strohmänner als Präsidenten sind daher nichts grundsätzlich Unbekanntes in der amerikanischen Geschichte. Aber niemals zuvor (vielleicht mit der Ausnahme von Calvin Coolidge in den zwanziger Jahren) ist es einer politisch-ökonomischen Interessenkoalition gelungen, eine derartige Null wie George Walker Bush auf den nominell höchsten Posten der Nation zu hieven. Allerdings mussten sie dabei zu offen betrügerischen Mitteln greifen, deren hektische "Legalisierung" mit Hilfe des Obersten Gerichts von künftigen Historikern irgendwann als das bezeichnet werden wird, was sie war: ein Staatsstreich.Die Umstände seiner Wahl haben die reibungslose Installierung des derartig "gekürten" Präsidenten erheblich behindert. Seit Nixons zweiter Amtsperiode 1973 hat es bei einer feierlichen Amtseinführung nicht mehr so viele wütende Protestierer an den Strassenrändern gegeben wie letzte Woche, nur dass es diesmal nicht wie damals radikale jugendliche Vietnamkriegs-gegner, sondern auch distinguierte Demokraten aller Alters-, Bildungs- und Einkommensstufen waren, die sich um den Sieg betrogen sahen und für die der neue Präsident schlicht ein Usurpator ist. Die amerikanischen Großmedien, deren Vertreter sich gern als Hüter des inneren Friedens und verantwortungsethisch motivierte Manipulateure des Großen Konsenses sehen, haben über diese Proteste nur sehr am Rande berichtet. Schwamm drüber, lasst uns nicht nachtragend sein, war die Parole.Doch wird das nicht verhindern können, dass die USA in den nächsten vier Jahren ein politisch polarisiertes Land sein werden. Dabei handelt es sich nicht nur um die Polarisierung zwischen oben und unten, reich und arm, sondern auch um eine horizontale Polarisierung innerhalb der amerikanischen Machteliten selbst. Ein wichtiger Streitpunkt ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Das neue Sicherheitsteam mit Cheney, Rumsfeld, Powell und Rice signalisiert eine Re-orientierung amerikanischer Globalpolitik vom Ökonomischen zum Militärischen. Clintons "One-World"-Internationalismus, der die Welt sicher für den Kapitalismus machen wollte und beispielsweise sehr viel Anstrengungen darauf verwandt hat, China in das globale System zu integrieren, wird abgelöst werden durch einen neuen "Realismus", in dem wieder Staaten und Machtblöcke die Bezugspunkte sind. Als Hauptrivale gilt schon jetzt die VR China, Russland dagegen soll für das eigene Lager kooptiert werden. Der ehemalige Ford-Mitarbeiter Rumsfeld muss da nicht viel umdenken. Handelt es sich doch bloß um eine kleine Verschiebung der alten Nixon/Kissinger'schen Geo-Politik aus den siebziger Jahren: Damals "spielte man die China-Karte" gegen die Sowjetunion, heute umgekehrt die Russlandkarte gegen China. Das dahinter steckende Denken aber ist unverändert: Es ist die spieltheoretische Logik des Kalten Krieges und der militärischen Stärke als Projektionsmittel von Politik. Intern bedeutet es die Wiederaufwertung der Streitkräfte innerhalb der nationalen Rang- und politischen Hackordnung.Die beiden Sektoren aber, die im letzten Jahrzehnt nicht nur die amerikanische, sondern die Wirtschaft der ganzen Welt dominiert und die der loyale Kraftquell der Clinton-Regierung gewesen waren, nämlich Kulturindustrie und Finanz, sind in der neuen Regierung so gut wie nicht repräsentiert. Los Angeles Weekly charakterisierte sie als ein "hard ware cabinet in a software world", das vielleicht 1990 gerade noch durchgegangen wäre, aber heute nur noch anachronistisch wirke. Es verkenne die eigentliche Stärke Amerikas in der Welt.Für die Verbündeten der USA ergeben sich daraus neue politische Aufgaben. Die neue US-Linie stellt nämlich jene in den letzten Jahren unter den Achtundsechzigern an der Spitze bestimmter europäischer Länder beliebt gewordene Doktrin, nach der die Sicherung von individuellen "Menschenrechten" und die Verfolgung "terroristischer" Kriegsverbrecher die neuen Prinzipien "westlicher Sicherheitspolitik" sein sollen, wieder in Frage. Unter einem Verteidigungsminister Colin Powell wird es keine NATO-Balkankriege mit US-Beteiligung mehr geben, schon gar keine humanitären. Das ist doch schon mal ein Anfang.