Kanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Auftritt vor der UN-Vollversammlung demonstrativ die Iran-Politik der USA unterstützt, um danach einmal mehr einen ständigen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat zu verlangen. Letzteres erinnerte entfernt an die Bewerbung Berlins für die Olympischen Sommerspiele 2000. Damals versicherten deutsche Regierungsvertreter und die für viel Geld angeheuerten Werbefachleute den Steuerzahlern, "die Welt" (und die großzügig betreuten Mitglieder des IOC) seien noch so gerührt von der friedlichen deutschen Wiedervereinigung. Sie könnten gar nicht anders, als die Deutschen mit den Spielen zu belohnen. Heraus kamen klägliche neun Stimmen.
Das Verbindende hierbei ist die Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und Fremd
und Fremdurteil. Indem die Bundesregierung wiederholt den ständigen Platz im Sicherheitsrat fordert, beweist sie eine doppelte Realitätsblindheit: Es gibt zum einen nicht einmal bei den engsten europäischen Verbündeten dafür ernsthaften Beistand, zum anderen wäre angesichts einer sich verändernden Kräftebalance in der Welt die Aufnahme einer weiteren westlichen Industrienation nicht sehr plausibel. Das machte indirekt auch Präsident Bush klar, als er - gleichfalls vor der UNO - von einer möglichen Aufstockung der ständigen Mitglieder sprach und dabei allein Japan erwähnte.Insofern wurde Bushs Rede als erneute Abkanzelung der Deutschen empfunden, was sie auch war. Die durften wieder einmal zur Kenntnis nehmen, dass die angelsächsischen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges - die unmittelbaren Erben jenes britischen Weltreichs, das den globalisierten Kapitalismus schon vor 200 Jahren in die Spur gebracht hat - bis auf den heutigen Tag ganz selbstverständlich davon ausgehen, die eigentlich legitimen Bestimmer in der Welt zu sein. Deutsche spielen da einfach nicht in derselben Liga, sie wurden einst als geteilte Wurmfortsätze von Supermacht-Fraktionen in die Nachkriegsordnung eingegliedert. In der Neuen Weltordnung sind sie zwar inzwischen Vollmitglied, aber nicht im Vorstand.Diese nachhaltige Erfahrung bewirkt bis heute, dass die politische Klasse hierzulande mehrheitlich glaubt, der einzige Weg in die Vorstandsetage sei der, dem Vorsitzenden auf keinen Fall negativ aufzufallen. Unterwürfigkeit ist generell unangenehm, kommt aber ein unverhülltes Streben nach Anerkennung hinzu, wird sie überaus peinlich.Dabei gibt es durchaus reale Chancen, für eine Aufnahme in den Vorstand einen anderen Weg einzuschlagen. Als Merkel in New York auftrat, sprach zur gleichen Zeit der New Yorker Journalist Seymour Hersh in Berlin. Die Blätter für deutsche und internationale Politik hatten ihm ihren "Demokratiepreis" für seine Enthüllungsreportagen über Abu Ghraib und die US-Kriegspläne gegen den Iran verliehen. In seinen Dankesworten ging er danach kurz auf die Rede der Kanzlerin vor der UNO ein. Er habe gehört, dass sie in die Kerbe seines Präsidenten geschlagen und schärfere Sanktionen gegen Teheran gefordert habe. Er könne einfach nicht verstehen, warum es die Regierungschefin eines so bedeutenden Landes wie Deutschland nicht fertig bringe, George Bush in diplomatischer Weise mitzuteilen, was die absolute Mehrheit der Europäer im Stillen von seiner Nahost-Politik halte, nämlich gar nichts. Stattdessen stelle sich Merkel vor die Vollversammlung und stimme praktisch den Vorbereitungen von Bush und Cheney für einen weiteren Krieg zu!Das liberale Amerika macht sich - Seymour Hersh hat es erneut gesagt - seit Gerhard Schröders Weigerung, mit Truppen in den Irak zu gehen, immer wieder verzweifelte Hoffnungen, dass Deutschland weitere Zeichen setzt, die eine klare Distanz von Amerikas Kriegspolitik signalisieren. Es würde nicht zuletzt die reale Geltung Deutschlands im Rest der Welt erheblich steigern, wollte die Bundesregierung die Schröder´schen Anfänge einer sich von den USA emanzipierenden Politik fortsetzen. Nur: Wie wird sie denn praktisch, die angeblich so friedfertige, historisch zur Vernunft gekommene Haltung Europas, von der unsere Groß-Philosophen geschwärmt haben? Und wo zeigt sich denn die angeblich so gewachsene politische Bedeutung des "ökonomischen Riesen" Deutschland?Schröders Emanzipationsansatz - ohnehin nur eine inkonsequente Geste - wurde brutal revidiert, das ist die traurige Wahrheit! Und das praktisch chancenlose Verlangen nach ständiger Präsenz im Sicherheitsrat ist die diplomatisch codierte Mitteilung an den Welt-Hegemon: Wir spielen uns zwar etwas auf, aber das sind Verlautbarungen für die Wähler zu Hause. Als Handelnde wollen wir weiter politischer Zwerg bleiben.