Ich gebe es zu: auf den verbalen Stimulus »USA«, auf den Diner seinen Amerikabegriff verengt, reagiere ich zuerst mit drei negativ gefärbten Assoziationen. Erstens denke ich an das zuckerbraune Coca Cola-Gesöff, dem weltweit kaum zu entkommen ist. Zweitens hat sich mir ein Foto eines von Napalm gezeichneten vietnamesischen Mädchens geradezu eingebrannt, das auf einer Dschungelstraße vor dem neokolonialen Krieg zu fliehen sucht. Als akustisches Pendant erinnere ich mich an den feierlichen Amtseid Richard Nixons »faithfully to execute the constitution«, den ich als Englisch-Übung lange auf Tonband hatte und dessen Heuchelei nach der Watergate-Affäre im weltweiten Hohngelächter unterging, bis Nicxon endlich zurücktrat, um einer peinl
inlichen Amtsenthebung zu entgehen.In der Weihnachtszeit neigen jedoch auch linke Soziologen zu besinnlicher und versöhnlicher Stimmung. Und so war ich schnell von der Geschenkidee zu überzeugen, mir Dan Diners Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments unter den letzten Weihnachtsbaum legen zu lassen. Dabei viel zu schnell einen Vertrauensvorschuss gewährend und sogar mit dem Vorsatz, mir auch unangenehme Wahrheiten sagen zu lassen. Nach der überzogenen Eigenwerbung des Propyläen Verlages weist der 1946 in München geborene jüdische Historiker in seinem »großen historischen Essay ... überzeugend nach, dass sich hinter diesem Ressentiment vielfältige Ängste vor der durch die USA paradigmatisch repräsentierten Moderne verbergen.«Das hätten fundierte und innovative Thesen sein können, doch daran glaubte der Autor wohl selber nicht, endet doch bereits sein Vorwort mit dem Eingeständnis, dass die auf 238 Seiten ausgewalzte »Schrift als polemisch gehaltener historischer Essay ... keinen akademischen Anspruch« erheben kann. Dan Diner begibt sich erst gar nicht auf die geliebte analytische Ebene. Statt der ungeliebten Kritik an »Gods own country« argumentativ etwas entgegenzuhalten oder als unangebracht nachzuweisen, stuft er das angeblich »fehlgeleitete(n) Bewusstsein des Antiamerikanismus« mit Freudschen Begriffen als psychopathologisch ein, spricht von Rationalisierung, projektiver Schuldzuweisung und Abwehr. Dadurch glaubt er, die von »Verrückten« vorgebrachte Kritik an Verhältnissen in den USA erst gar nicht ernst nehmen und überprüfen zu müssen. Wohl lediglich als Routineübung gibt der ansonsten als Professor für Neuere Geschichte in Jerusalem Dozierende in vier Kapiteln eine inhaltlich dürre, aber ausgiebige Chronik des »Antiamerikanismus« von der deutschen Romantik bis zur Bundesrepublik. Dabei zitiert er zumeist längst vergessene Schriften eines Nikolaus Lenau, Adolf Halfeld oder Leo L. Matthias, die sicherlich bei den heutigen intellektuellen und emotionalen Vorbehalten gegen die USA keine Rolle spielen.Der als Gegenaufklärung bereits im Gefolge des ersten Golfkrieges unter dem Titel Verkehrte Welten. Antiamerikanismus in Deutschland herausgebrachte Band polemisierte damals gegen die antimilitaristischen Proteste. Man könnte auch sagen, er denunzierte sie in bekannter Weise als angeblich antiamerikanisch. Im Zusammenhang mit dem schockierenden 11. September 2001 sah der Autor eine Vermarktungschance für eine Neuauflage, natürlich ergänzt um ein entsprechendes Kapitel. Unter der Überschrift »Apologie Amerikas« wird jedoch kaum auf die Hintergründe eingegangen, sondern eine pathetische »Verteidigungsrede« zelebriert, die quasi-religiös die USA als Reich der »wohl dynamischsten und vitalsten Variante der Moderne« preist. Es ist das einzig spannende Kapitel des ganzen Buches, denn hier offenbart der Autor seine Verklärung der USA als selbst Ressentiments schürender Ratgeber von seltener Einfältigkeit. Allen Ernstes empfiehlt er den »Traditionsgesellschaften« Europas und der übrigen Welt eine Art »am amerikanischen Wesen soll die Welt genesen«. Die USA, an universalistischen »Ideale(n) von Leben, Freiheit und Streben nach Glück« orientiert, bildeten »das republikanische, das demokratische, vor allem aber das pluralistisch verfasste Imperium der Zukunft«, dem die altbackenen Strukturen anderer Gesellschaften sozusagen als Zug der Zeit weichen müssten. Für den Autor jedenfalls ist die zwangsläufige Entwicklungsrichtung evident: »Amerika als Land der Zukunft fordert Traditionsgesellschaften also insofern heraus, als es sie sich selbst anverwandelt, sie »amerikanisiert«. Sie wiederum nähern sich dem Antlitz Amerikas schon alleine insofern an, als sie sich der Zukunft öffnen.« Und da sage noch eine/r, der marxistisch-leninistische Geschichtsdeterminismus sei tot. Nein, er ist geradezu im imperialistischen Zentrum angekommen, nur historisch gewendet!Zum Amerikaner kann dabei praktisch jeder Mensch werden, der sich »dem amerikanischen Glauben an ein selbst zu verantwortendes Streben nach individuellem Erfolg als dem eigentlichen Daseinssinn des Menschen anschließt«, denn nach Diners Glauben ist es »recht eigentlich mehr ein Land der Menschheit«. Zwar folge es einem »Primat der Freiheit auf Kosten einer sozial regulierten Gleichheit«, so als ob es noch autonom agierende Glücksritter gäbe, aber die gesellschaftliche Integration erfolge gerade über das vielkritisierte Konsumstreben. »Konsum ist nämlich die materielle Seite der amerikanischen Demokratie, zumal das allerorten verfügbare einheitliche Gut die Vielfalt und Differenz von Herkunft, Kultur und Religion in der Einheit der Konsumenten neutralisiert.« Und da Amerika als »imperiale Republik« »seinem Prinzip nach grenzenlos« und durch »Wirtschaftskraft, technologische Spitzenleistung und allgegenwärtige militärische Präsenz« längst eine weltweit wählbare Alternative ist, kann es Diner natürlich um so weniger verstehen, dass Wirrköpfe sich dieser Beglückung noch immer verweigern. Eher plausibel ist ihm, dass die führende Elite der USA ob dieser Omnipotenz prinzipiell »einem ohne weiteres denkbaren unilateralen Handeln den Vorzug vor allen schwerfälligen Mechanismen des Multilateralismus gibt«. Weshalb Kreise der US-Regierung wohl »Kriegsverbrecher« anderer Staaten von einem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung ziehen, aber ihren unilateral agierenden Bürgern keine menschenrechtlichen Fesseln anlegen möchten.Aktuell dürfte Diners Deutung George W. Bush aus dem Herzen sprechen, behinderte doch die Widerspenstigkeit der zum jüngsten Golfkrieg unwilligen Mächte im UN-Sicherheitsrat das militärische Auftrumpfen Amerikas bei der globalen »Modernisierung«. Diese als quasi geschichtsnotwendig zu legitimieren, ist ganz offenbar Diners Anliegen. Es steht jedoch zu befürchten, dass Diner damit kläglich scheitert. Halbwegs denkende Leser werden sich durch sein Pathos nicht beeindrucken lassen und Bush-Sympathisanten genügt ohnehin der O-Ton Washington ohne professorale Zugabe. Geradezu visionär und angemessener scheint mir da der Rat: »Übertriebene Parteinahme für eine fremde Nation und übertriebene Abneigung gegen eine andere lassen diejenigen, die von ihnen getrieben werden, Gefahren nur einseitig beurteilen und tragen dazu bei, die arglistige Einflußnahme der anderen Seite zu verschleiern und sogar zu begünstigen. Wahre Patrioten, die den Intrigen des begünstigten Landes etwa Widerstand entgegensetzen könnten, sind Verdächtigungen und Gehässigkeiten ausgesetzt, während seine Werkzeuge und Betrogenen den Beifall und das Vertrauen des Volkes einheimsen, um dessen Interessen preiszugeben.« Dieser Rat ist nicht anti-, sondern zutiefst amerikanisch und findet sich in der Abschiedsbotschaft des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten George Washington vom 17. September 1796.Dan Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments. Propyläen Verlag, München 2002, 238 S., 20 EUR
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