Es war ein Wochenblatt für Intellektuelle, Künstler und Anhänger zuletzt vor allem der Friedensbewegung: die Deutsche Volkszeitung (DVZ), die sich die DKP leistete. Um diesen Anspruch einigermaßen glaubwürdig ausfüllen zu können, wurde der Zeitung eine gewisse Eigenständigkeit gewährt. Wie weit sie reichte, war über all die Jahre Gegenstand teils heftiger Auseinandersetzungen. Das Maß an Eigenständigkeit zu sichern und auszudehnen, hatte ich mir vorgenommen, als ich 1983 Chefredakteur der vereinigten Deutsche Volkszeitung – Die Tat wurde. Die Tat war das Blatt der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes. Von der Fusion hatte sich die DKP-Spitze – neben Sparmaßnahmen – eine Pazifizierung manchen Freigeist
azifizierung manchen Freigeistes in der DVZ erhofft. Schon nach einem Jahr lud mich das Präsidium der Partei ein und kritisierte, dass es zu wenig Beiträge von DKP-Autoren und eine zu geringe antifaschistische Berichterstattung gab – ein klassisch kommunistisches Totschlagargument. Dass die Zeitung diese und spätere Kontroversen durchstand, ist klugen, engagierten Redakteuren aus der DVZ und hinzugekommenen Kolleginnen wie Tissy Bruns zu verdanken. Und den Zeiten.Einladung an Berthold BeitzDenn die begannen, so jedenfalls unser Gefühl, in den 80er Jahren zu rotieren. Auf die damals einsetzende und sich beschleunigende Computerisierung reagierten wir mit einer eigenen Seite „Computerzeit“. Die Friedensdemonstrationen führten zu einer ausgiebigen Berichterstattung. Mit der Einladung an Berthold Beitz, den Krupp-Bevollmächtigten, als Redner oder Demonstrant an den Ostermärschen teilzunehmen, löste die DVZ eine heftige Debatte aus. Wer die Vernichtung der Welt durch den Atomkrieg fürchtete, konnte doch niemanden von den Anstrengungen zu seiner Verhinderung ausschließen. Und Beitz repräsentierte schließlich den Part in der Industrie, der Osthandel und Ostpolitik vorantrieb.Mit dem Antritt von Michail Gorbatschow im März 1985 begannen Perestroika und Glasnost das Blatt zu prägen. Ein letztes Mal kam die Hoffnung auf, Sozialismus und Demokratie ließen sich vielleicht doch miteinander verbinden. Die chinesische Protestbewegung des Sommers 1989, die im Tian’anmen-Massaker erstickt wurde, ernüchterte die Redaktion. Plötzlich begriffen wir, dass das auch in Osteuropa möglich sein könnte. Während sich dort die sozialistischen Staaten veränderten, schien die DDR zu erstarren. Die Redaktion diskutierte Anfang 1989, ob die DDR auch als kapitalistischer Staat weiter bestehen könne. Das war keine weitblickende Voraussicht, sondern noch ein intellektuelles Spiel. Ich stellte die Frage Günter Gaus, mit dem ich mich seit längerem zu Gesprächen traf. Er plädierte in einem großen Interview über den Zusammenbruch der Weltordnung von Jalta engagiert für den Erhalt der beiden Staaten auch unter kapitalistischen Vorzeichen. Damals begann die Verbindung, die ihn später zu den Herausgebern des Freitag führte.Placeholder infobox-1Im Gegensatz zu Gaus hatte unser Redakteur Hans Brender die Idee einer deutschen Vereinigung nie aufgegeben. Er hatte die Nazizeit als „Halbjude“ in der Rüstungsindustrie überlebt und kam aus dem kommunistischen Teil des gesamtdeutschen „Heinemann-Rau-Bündnisses“ für die Bundestagswahlen 1953. In den Diskussionen der Redaktion focht er für die Reize der Einheit mit der ihm eigenen höflichen Hartnäckigkeit. Diese Diskussionen mögen dazu beigetragen haben, dass die Volkszeitung auf die sich anbahnende Vereinigung nie mit der panischen Furcht vieler Linker reagierte. Das mag später das Zusammengehen mit dem Sonntag erleichtert haben, eine von Einheitsphobie befallene Redaktion hätte sich wohl kaum als Partner angeboten.Besuch von drübenDie Politik Gorbatschows stand auch Pate, als sich ab 1986 in der DKP „Erneuerer“ formierten, was die Volkszeitung intensiv begleitete. Die Reformer wiederum empfanden unsere Perestroika-Berichterstattung als wichtige Unterstützung. Nach den drei Jahren andauernder Spannungen mit der DKP-Spitze erwartete ich einen Bruch der Partei mit der – wie ich hoffte – Mehrheit der Redaktion.Für diesen Fall suchte ich 1987 mit Hilfe von Kurt Weidemann, der die Schrift für die erste ökumenische Bibel entworfen hatte, den Daimler-Stern gestylt, aber auch der Volkszeitung ein elegantes Layout verpasst hatte, nach Verlagspartnern. Aber Weidemann behielt Recht mit seiner Skepsis: „Du wirst keinen Erfolg haben. Nicht weil ihr von der DPK kommt, sondern weil ihr von ihr weg wollt. Die Verlage werden fürchten, damit ihr eigenes Ostgeschäft zu gefährden, Lizenzen und Druckereiverträge mit der DDR.“ Immerhin nahm uns Gruner & Jahr in seinen Kiosk-Vertrieb auf, damals ein wichtiger Schritt für die Verbreitung. Eine andere Variante war eine Art taz-Modell mit Lesern als stillen Teilhabern. Obwohl ich mir nur schwer vorstellen konnte, so auf Dauer eine Zeitung zu finanzieren, ließ ich ein Beteiligungsmodell für die DVZ entwerfen. Das kam zum Zuge, als der von der Zeitung begrüßte Fall der Mauer deren Untergang einzuleiten schien. Die meist ganzseitigen Anzeigen aus der DDR, vorwiegend von Ostsee-Werften und aus dem Maschinenbau, blieben aus. Ohne sie war die Zeitung nicht zu finanzieren. Der Verlag meldete Insolvenz an. Die Resonanz auf das Beteiligungsmodell übertraf mit gezeichneten Anteilen von fast einer Million DM alle Erwartungen. Eine Projektgruppe bildete sich.Um einen echten Neuanfang zu ermöglichen, zog ich mich zurück. Doch überraschend fragte im Januar 1990 die Projektgruppe an, ob ich nicht doch die neue Volkszeitung in Berlin führen wolle. Die den Neustart bis dahin vorangetrieben hatten, waren offenbar in letzter Minute abgesprungen. Über sechs Jahre hatte ich diese Zeitung, für die Leser nun eine Million DM aufbrachten, geleitet und in ihr geschrieben. Dem konnte ich mich schwer entziehen. Wir starteten mit einem sehr kleinen Team. Bald stellte sich heraus, dass wir das nicht lange durchhalten würden, selbst für eine Autorenzeitung könnte es eng werden.Placeholder infobox-2Zu Volkszeitungs-Zeiten hatte ich den Sonntag meist mit Verspätung erhalten. Das machte nichts, weil die oft klugen und bemerkenswert gut geschriebenen Texte häufig zeitlos wirkten. Deren Chefredakteur Hans Jacobus besuchte mich einmal im Jahr in Düsseldorf. In Berlin erfuhr ich, dass die Redaktion des Sonntag 1990 Gespräche mit der Zeit führte. Wäre nicht die Volkszeitung ein geeigneterer Partner? Aber wie sollten wir mit der Zeit konkurrieren? Vielleicht lag gerade darin unsere Chance. Denn der Sonntag würde in der Zeit untergehen. Bei den ersten Kontakten stellten wir schnell fest, dass zwei Welten aufeinandertrafen: die mehr oder weniger Linken der Volkszeitung und die Sonntag-Kollegen, die den politischen Raum tunlichst gemieden hatten.Ausgiebig diskutierten wir den Namen. Nachdem wir über all die Jahre erklären mussten, dass die Deutsche Volkszeitung kein rechtsradikales, sondern ein linkes Blatt sei, hatte ich nur ein Anliegen: Der neue Name sollte kein Programm sein und keinen Hinweis auf das Profil des Blattes geben. Ziemlich früh hatten Jutta Voigt vom Sonntag und ich den Namen Freitag spielerisch erwähnt. Nach langem Hin und Her plädierten die Kollegen vom Sonntag für den Freitag mit dem Hinweis, nun seien sie im gesamtdeutschen Alltag angekommen – keine Sonntags-Zeiten mehr. Damit fiel die Entscheidung.Die Redakteure des Sonntag mussten aus ihrer geliebten heruntergekommenen Redaktion am Hausvogteiplatz mit den abgenutzten Möbeln und schweren Schreibmaschinen in unsere Räume in dem wunderschönen alten Fabrikgebäude in der Oranienstraße ziehen, direkt unter dem Dach, nur mit einem Lastenfahrstuhl ohne Türen zu erreichen. Kreuzberg brachte den Sonntag-Redakteuren die Ankunft im neuen Deutschland, auch wenn sie türkisches Gebäck und den von türkischen Händlern betriebenen ladenschlussfreien Verkauf schnell schätzen lernten. Die Sonntag-Redakteure kamen früh und tauschten sich in der schmalen Kantine über ihre persönlichen Welten aus. Wir kamen spät und widmeten uns vorwiegend den politischen Welten. Der gebildete und witzige Detlev Lücke erzählte anschaulich, wie er zu Sonntag-Zeiten über Wochen mit Jutta Voigt in eigene Rollenspiele eintauchte und mit Vergnügen in Restaurants oder anderswo den adligen Reaktionär spielte.Aus der Traum. Wenige Wochen nach dem Start erschütterte der Golfkrieg 1991 auch die Redaktion des Freitag. Legitimiert durch die UNO und getragen von einer breiten Koalition, wurde der Irak aus dem von ihm eroberten Kuwait vertrieben. Einzelne Autoren drängten die Redaktion, sich positiv zu dieser Intervention zu verhalten. Nach heftigem Streit starb einer von ihnen zu Hause an einem Herzinfarkt. Dass es überhaupt zum Streit, wenn auch unter geringer Beteiligung der Ex-Sonntag-Kollegen, kam, zeigte, dass alte Selbstverständlichkeiten nicht mehr selbstverständlich waren. Die Redaktion entschied, gegen den Krieg Stellung zu beziehen. Eine Redakteurin erklärte, nachdem sie sich schon von der Idee des Sozialismus habe verabschieden müssen, wolle sie doch an der des Friedens festhalten. Im Freitag zog der Alltag ein.Placeholder authorbio-1
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