"PEOPLES GLOBAL ACTION" Mit dem Forum "Gerechtigkeit oder Barbarei" solidarisiert sich die Rosa Luxemburg Stiftung mit dem Widerstand gegen den grassierenden Neoliberalismus
Die Abschlussprüfungen im Studiengang Ökonomie an der Universität in Chicago, dem bedeutendsten Think-Tank des Neoliberalismus, galten als besonders anspruchsvoll: Den Prüflingen wurde ein reales Problem geschildert, zu dem bislang nur gescheiterte Lösungsversuche vorlagen. Die Benotung richtete sich danach, wie kreativ die Absolventen mit dieser scheinbar ausweglosen Lage umzugehen in der Lage waren.
Genau in einer solchen Situation befinden wir uns heute: Die eine Lösung - mit dem Label Sozialismus etikettiert - hat versagt (die Gründe sollen hier nicht wiederholt werden). Doch die andere Lösung - von den einen "Marktwirtschaft", von den anderen "Kapitalismus" genannt - versagt ebenfalls, und das tagtäglich: ein System versagt, wenn es als Koll
s als Kollateralschaden täglich über 100.000 Menschen verhungern lässt, darunter mehr als die Hälfte Kinder. Ein System versagt, das Kriegstaktiken zur Ressourcensicherung entwirft und Rüstungsgüter verkauft, um Arbeitsplätze zu sichern. Ein System versagt, das täglich mehrere Tier- und Pflanzenarten aussterben lässt, und sich als unfähig erweist, den Kohlendioxid-Ausstoß so zu reduzieren, dass es nicht länger zu Überschwemmungen in Bangladesh kommt mit Hunderttausenden von Toten. Ein System versagt, das uns sehenden Auges in die Katastrophe laufen lässt.Gerade Marx hat deutlich gemacht, es ist nicht die Bösartigkeit von Herrschenden, die das System funktionieren lässt, sondern das System funktioniert, und die Menschen in ihm. Unternehmer handeln rational, nichts weiter. Umweltstandards können nicht beachtet werden, da die Konkurrenten dies ebenfalls nicht tun. Lebensmittel werden vernichtet, weil sonst der Preis fallen würde. Das Unternehmen Deutschland ist so reich wie nie zuvor, doch Millionen Menschen werden als "schwer vermittelbar" in die Armut getrieben. Der Kapitalismus impliziert die Banalität des Bösen. Nichts weiter.Und es gibt noch einen weiteren Bereich, in dem der Kapitalismus versagt: Im Miteinander. Der Wettbewerb macht uns alle zu Konkurrenten. Ohne Konkurrenz läuft nichts, sie ist das Öl, um das System zu schmieren. Rund 50 Milliarden Mark jährlich an volkswirtschaftlichem Verlust durch Mobbing sprechen eine deutliche Sprache - auch darüber, was zählt in dieser Gesellschaft. Nicht das damit verbundene Leid, sondern die Kosten, die dieses Leid verursacht. Nur mühsam versteckt sich die alltägliche Konkurrenz hinter den "Masken der Kooperation" (Gideon Kunda), zu sehen in Big Brother: Alle finden sich "unheimlich nett", doch was zählt, sind eigener Gewinn, letztlich das Ausschalten der anderen.Vergessen wird dabei, dass dieses System von Menschen geschaffen wurde. "Wir müssen die Welt nicht erobern", sagen die Zapatistas, "es reicht, sie neu zu schaffen!" Der erste Schritt dazu ist ihr "Ya Basta! - Es reicht!" Dieses "Ya Basta!" haben wir alle schon einmal in unserem Inneren gespürt - wenn wir uns vom Leistungsdruck erdrückt fühlen, wenn wir das Gefühl haben, nur dann eine Existenzberechtigung zu besitzen, wenn wir produktiv sind: "Wie eine Gebühr dafür, ein Mensch sein zu dürfen, setzt der Neoliberalismus das Vermögen zu kaufen und zu verkaufen", formuliert Subcomandante Marcos. Oder: Ich bin vermarktbar, also bin ich.Dass die Linken zu allem eine Antwort haben, wirke so abschreckend auf die Leute, hat Bertolt Brecht einmal gesagt. So ist "Antwortlosigkeit", die heute immer wieder ins Feld geführt wird, um jedes Fragen zu verbieten, auch eine Chance. Wo wir keine Antworten haben, müssen wir nach Antworten zu suchen - zusammen, kollektiv."Es kommt darauf an, eine Welt zu schaffen, nicht wie die Macht sie will, nicht wie wir sie wollen, sondern eine Welt zu schaffen, in die viele Welten passen, so viele Welten wie nötig sind, damit jeder Mann und jede Frau ein Leben in Würde führen kann und alle ihren eigenen Begriff von Würde leben können. Wenn wir nicht mehr versuchen, als das alte müde Rad der Geschichte zu drehen, kommen wir wieder an, wo wir hergekommen sind." - So riefen die Zapatistas 1996 zu einem Ersten Interkontinentalen Treffen gegen den Neoliberalismus und für eine menschliche Gesellschaft auf. Zu dieser Begegnung kamen 3.000 Menschen aus aller Welt in den Urwald. Entsprechend der dort verabschiedeten Zweiten Erklärung von La Realidad, "ein interkontinentales Netzwerk des Widerstandes zu bilden, das Ähnlichkeiten erkennt und Unterschiede anerkennt", bildete sich eine Vernetzung von Basisbewegungen aus allen Kontinenten, nachdem das Zweite Interkontinentale Treffen im Jahr darauf in Spanien stattgefunden hatte. Im Februar 1998 gründete sich Peoples Global Action. Für die folgenden zwei Jahre wurden die rotierenden Zuständigkeiten für den Informationsfluss und andere Aufgaben verteilt. Im diesem Jahr soll es die zweite Konferenz von Peoples Global Action geben - rechtzeitig zur nächsten WTO-Konferenz.Die Proteste gegen das WTO-Treffen von Seattle Ende November 1999 bedeuteten eine Zäsur, weil im Land des unbegrenzten Kapitalismus Menschen das "Ya Basta!" der Zapatistas in die Tat umsetzten. Schon während der WTO-Konferenz im Mai 1998 in Genf demonstrierten 100.000 indische Bauern in Hyderabad gegen die WTO, fand auf allen Kontinenten in 37 Städten gleichzeitig eine Global Street Party statt, wurde in Kanada eine OECD-Konferenz blockiert, während sich in Brasilien 40.000 Arbeitslose, Obdachlose und Landlose in einem einwöchigen Marsch auf den Weg machten, um das Regierungsviertel in Brasilia zu besetzen.Anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels 1999 in Köln waren 500 Menschen aus dem Süden einen Monat lang auf Tour durch Europa, um ihren Protest zu artikulieren. Wieder fand am 18. Juni ein Global Action Day statt, diesmal mit Zehntausenden in Nigeria vor den Toren von Shell und einem Straßenkarneval in Tel Aviv - dann kam der 30. November 1999 in Seattle.Nächster Ort des Widerstandes wird Prag am 26. September sein, wenn das Jahrestreffens von IWF und Weltbank eröffnet wird. Eine Woche später findet das interkontinentale Forum "Gerechtigkeit oder Barbarei" statt, mit dem die Rosa-Luxemburg-Stiftung an die Worte von Subcomandante Marcos anknüpfen möchte, mit denen er 1996 in den Lakadonischen Urwald lud: "Wir rufen Euch also auf, dass wir alle zusammenkommen, dass wir gemeinsam diesen Weg aufbauen, dass wir die Beklemmung teilen, nicht zu wissen, wie es weitergeht, aber auch den Stolz, an einem Treffen teilzunehmen, das sich allen Ernstes dem Aufbau einer Welt gestellt hat, in der alle Welten Platz finden ..."Die Autorin ist Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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