Eine musste es als erste sagen: Die Deutsche Post Gewerkschaft (DPG) kann sich seit dem vergangenen Wochenende vorstellen, "mit der DAG, der HBV und der IG Medien zunächst ohne die ÖTV das Projekt einer neuen Dienstleistungsgewerkschaft zum Erfolg zu führen". So beschloss es der DPG-Hauptvorstand einstimmig. Zwar müsse "eine enge Verzahnung von Ver.di und ÖTV" auch gefunden werden, falls bei der ÖTV-Abstimmung nicht die Vier-Fünftel-Mehrheit erreicht werde, die laut Satzung für die Gründung von Ver.di notwendig ist. Doch für die DPG kommen weder Nachverhandlungen in Betracht noch "eine inhaltliche Veränderung" der bisherigen Beschlüsse der Ver.di-Gründungsorganisation. Dass es statt zur großen Ausgabe zu einer verschlank
chlankten Version der neuen Dienstleistungsgewerkschaft kommen könnte, ist auf einem Krisentreffen der vier übrigen Gewerkschaften schon längst diskutiert worden.Dabei hatten die Gewerkschaften der Dienstleistungsbranchen so schöne Träume: Künftig sollte ihre Arbeit kraftvolles Mannschaftsspiel sein, statt mehr und mehr verzweifelten Einzelkämpfertums. Und das alles modisch abgekürzt wie ein Dot.com-Unternehmen: Ver.di.Doch Regeln für das neue Mannschaftsspiel zu finden, hat sich als ausnehmend schwierig erwiesen. Teile der ÖTV gingen davon aus, dass ihre Gewerkschaft auf der Libero-Position die Struktur auch künftig mehr oder weniger entscheidend prägen sollte. Bei den vier Mitspielerinnen kam die Befürchtung hoch, sie würden nun in eine Art ÖTV plus eingegliedert werden. Schließlich fanden die fünf Gewerkschaften - um den Bedenken aller Beteiligten Rechnung zu tragen - für die künftige Struktur von Ver.di die Kompromissformel der "Matrix" - ein vielfältiges Geflecht von Organisationseinheiten in horizontaler und vertikaler Gliederung, von "Ebenen" und "Fachbereichen".Die Ebenen sollen regional die Willensbildung im Bund, in den Landesbezirken und den Bezirken erarbeiten. Die Fachbereiche sollen die Mitgliederinteressen in 13 Branchen wie zum Beispiel Finanzdienstleistungen oder Handel beziehungsweise Kunst, Kultur und Medien organisieren. Damit Funktionäre und Gremien der künftigen Riesengewerkschaft mit rund drei Millionen Mitgliedern sich nicht zu sehr von der Basis entfernen, sollen die Fachbereiche eng am beruflichen Alltag arbeiten können, wofür so weit wie möglich autonome Handlungsmöglichkeiten vorgesehen sind - auch finanziell und tarifpolitisch - so das Konzept.Doch durch autonome Fachbereiche, erhoben sich Bedenken in den Reihen der ÖTV, werde Ver.di zu einem mehr oder weniger lockeren Verbund von 13 Fachgewerkschaften unter einem neuen Dach. Das aber gefährde die politisch einheitliche Handlungsfähigkeit der neuen Gewerkschaft. Die ÖTV akzeptierte die Matrixstruktur im vergangenen Jahr nur unter Protest einer starken Minderheit, die bei einer erneuten Basisbefragung im Frühjahr fast ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Das genügt, um Ver.di verhindern zu können. Dessen ungeachtet, zeigte sich die Führung der ÖTV einschließlich ihres Vorsitzenden Herbert Mai bis vor kurzem optimistisch, bis 2001 die notwendige Vier-Fünftel-Mehrheit zusammen zu bekommen.Inzwischen hat die Ver.di-Gründungsorganisation die Matrix in den Entwurf einer Satzung und einer Budgetierungsrichtlinie gegossen. Die gefundenen Kompromissformeln umfassen allein im Druck 40 Seiten und fast 120 Paragraphen. Die Zeit der "Satzungsfetischisten" ist gekommen, wie Kreise der Pro-Ver.di-Mehrheit in der ÖTV schimpfen. Ehemalige Befürworter der abstrakten Matrix lehnten umgehend die nun fassbar gewordenen Satzungsregeln ab: "Diese Konstruktion widerspricht der Beschlusslage der ÖTV", wetterte zum Beispiel die ÖTV Saar und sparte auch nicht mit starken Worten wie "Kulturbruch" und "Exzesse", die es zu korrigieren gelte. Denn künftig hätten - darin gipfelt die Befürchtung der Saarländer - die Vorstände der Landesbezirke und der Bezirke "keine Weisungsrechte" mehr gegenüber den Fachbereichen, die allein den Zielen der Gesamtorganisation verpflichtet wären."Ich sehe keine Chance mehr für Ver.di." So wird inzwischen auch der ÖTV- Vorsitzende Herbert Mai trotz offizieller Dementis zitiert. Denn nur noch in den kleineren Landesbezirken der ÖTV scheint eine 80-Prozent-Mehrheit einigermaßen sicher. Lieber jetzt ein Ende mit Schrecken statt eines sich noch länger hinziehenden Schreckens ohne Ende: Schon auf seiner jüngsten Sitzung Ende Juli sollte der ÖTV-Vorstand den Ausstieg aus der Ver.di-Gründung beschließen. Vor allem ehrenamtliche Funktionsträger verhinderten jedoch eine abschließende Entscheidung und vertagten sie auf die nächste Sitzung Ende September. Seitdem streitet sich die ÖTV intern um so heftiger.Gegen die "Verweigerung durch Minderheiten" sollte eine für Ende August anberaumte Funktionärskonferenz "ein deutliches bundesweites Signal" setzen: "Habt Mut zur Vorläufigkeit und Vertrauen in unsere Kraft, die strittigen Fragen im weiteren Prozess Schritt für Schritt zu klären", heißt es im Entwurf einer Einladung des Hamburger ÖTV-Landesvorsitzenden Wolfgang Rose. Seine Berliner Kollegin Susanne Stumpenhusen sollte eine Grundsatzrede zum Titelthema "Ver.di ist Zukunft" halten. Sie sieht den Organisationsbereich der ÖTV kleiner werden; Bund, Länder und Gemeinden verringerten Beschäftigungszahlen. Bei privaten Dienstleistern wachse zwar die Zahl der Arbeitsplätze, doch in diesen Sektoren gebe es entweder die Konkurrenz mehrerer Gewerkschaften oder die Unternehmen seien "gewerkschaftsfrei". Der ÖTV drohe der Weg in die "Bedeutungslosigkeit".Inzwischen hat Wolfgang Rose die Organisation der geplanten Veranstaltung ausgesetzt. Für Dienstag - nach Redaktionsschluss - hatte Herbert Mai (der eigentlich im Urlaub ist) eine weitere Krisensitzung der ÖTV-Spitzenfunktionäre einberufen, um erneut die Lage zu diskutieren. Dort will Rose seinen Vorschlag in veränderter Form einbringen. Denn "blankes Entsetzen" sei die Reaktion vieler Mitglieder in Hamburg auf die scharfe Ablehnung von Ver.di in Teilen der ÖTV gewesen. Fast unverhüllt geht das Gerücht, beim endgültigen Ausscheren der ÖTV aus dem Ver.di-Prozess könnten sie ganze Gruppen von Mitgliedern verlassen.Die Spitzen der vier anderen Gewerkschaften appellierten an die ÖTV, sich weiterhin an der Ver.di-Gründung zu beteiligen, und entwarfen gleichzeitig einen Plan B. Dabei soll der ÖTV die Tür weiter geöffnet bleiben, wie die HBV-Vorsitzende Margrit Mönig-Raane nochmals betonte. Eine mögliche Form der Zusammenarbeit wäre das so genannte 4+1-Modell, wobei schon Unstimmigkeiten auftauchen, ob man es bei einem Kooperationsvertrag bewenden lassen oder eine gemeinsame Kartellgewerkschaft gründen solle, also ein Dach über Ver.di und ÖTV auch mit einem gemeinsamen Vorstand und weiteren Verbundgremien wie Tarifkommissionen.All diese Notfallpläne hat Herbert Mai inzwischen als "kontraproduktiv" zurückgewiesen. Doch wenn in seiner Organisation keine 80 Prozent zusammenkommen, kann er nicht nur die Hoffnung auf Ver.di und auf die Übernahme des künftigen Ver.di-Vorsitzes begraben. Selbst sein Posten an der Spitze der ÖTV ist in Gefahr, im November muss er sich erst einmal in der eigenen Organisation der Wiederwahl stellen. Der Kongress könnte dann nicht nur das Ende seiner Gewerkschaftskarriere beschließen, sondern auch das endgültige Aus für Ver.di.