Krötenschluck-Konzert im Norden

WAHLEN IN SCHLESWIG-HOLSTEIN Landesvater wird Rühe nimmermehr, und Simonis könnte doch noch auf den Hund kommen

Noch kann die CDU die Landtagswahl in Schleswig-Holstein gewinnen: Wenn vor Sonntag der Ex-Obersozialdemokrat Johannes Rau als Bundespräsident zurücktritt, wenn der scheinbar vom SPD-Vorsitzenden Schröder allein gerettete Holzmann-Konzern doch Pleite macht, wenn SPD-Schwarzgeldkonten in einem Steuerparadies ruchbar werden, dann - so beschreibt ein führender Politiker aus der Kieler CDU-Zentrale die Bedingungen - sei ein Wahlsieg möglich. Und selbst dem pflichtgemäßen Berufsoptimisten Volker Rühe entfleuchte nach dem Schäuble-Rücktritt der Satz: »Das war's wohl mit dem Landtagswahlkampf!« Um nicht wie die anderen Wasserträger des »Systems Kohl« auch in der Versenkung verschwinden zu müssen, spielt Rühe jetzt mit hohem Einsatz - auch im Landtagswahlkampf.

Dank der für ein Nordlicht eher zweifelhaften Schützenhilfe der CSU gelang es, die Neuwahl des Vorstandes der Bundestagsfraktion auf einen Termin nach der Landtagswahl zu verschieben. Allerdings war Rühes jetziger Landesvorsitzender Würzbach dagegen - ein kleiner Hinweis auf die realen Beziehungen der »Parteifreunde« im Norden untereinander. Nachdem er zuerst altgediente Parteiveteranen kaltgestellt und liebgewordnen Positionen wie die erbitterte Gegnerschaft zu Gesamtschulen revidiert hatte, begann Rühe die »Kolonialisierung« der Landes-CDU in Schleswig-Holstein: Sein »Schattenkabinett« hat er in den wichtigen Bereichen Soziales, Justiz und Finanzen mit Kandidaten aus Hamburg besetzt. Ein deutliches Zeichen, wie er das schleswig-holsteinische CDU-Personal einschätzt, womit er allerdings auch seinem Spottnamen »Volker Rüpel« weiterhin Nahrung gibt.

Nur: Rühe ist ein Zugereister - wenn auch aus dem benachbarten Hamburg. Er wies zwar oft darauf hin, dass er schon immer ein besseres Ferienhaus als Zweitwohnsitz an der Förde hatte, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm manches Mal im Wahlkampf schlicht die genaueren Kenntnisse der Gegebenheiten und Probleme im Lande fehlten. Wie abgehoben der Kandidat inzwischen ist, machte am vergangenen Wochenende die Hamburger CDU klar, lange Jahre Rühes politische Heimat: Als erster Landesverband machte sie sich für Angela Merkel als Bundesvorsitzende stark. Wenn er das Kieler Wahlergebnis von vier Jahren (37,2 Prozent) übertrumpfen kann, macht sich Rühe jetzt Mut, hat er wenigstens seine Chancen in Berlin verbessert und gilt nicht nur als aus München vorgeschlagener Statthalter.

Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) dagegen darf sich größere Hoffnungen machen, die 39,8 Prozent von 1996 deutlich übertreffen zu können. Heute kann sie aufrichtig sagen, der Wahlkampf mache »viel Spaß«, vor drei Monaten hätte das ähnlich verkrampft und unglaubwürdig geklungen wie der jetzt verordnete Zweckoptimismus der CDU. Damals lag die Simonis-Partei in Umfragen zehn Prozent hinter den Christdemokraten. Doch jetzt ist es umgekehrt, und Simonis kann ganz unaufgeregt ihre Wahlkampfthemen an den Mann bringen: mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze durch Strukturwandel, Förderung regenerativer Energie und - das als Antwort auf die Kritik Rühes an der Bildungsmisere im Lande - Ausbau des Schulsystems einschließlich 1000 neuer Lehrerstellen. Damit kann Simonis die Kritik der auch von der CDU unterstützten Elterninitiative weitgehend ins Leere laufen lassen.

Allenfalls beiläufig spricht Simonis auf ihren Veranstaltungen den Schwarzgeld-Sumpf der CDU an, für sie mehr als eine bloße Dummheit: »Die Union hat sich selbst in diese Situation hinein geritten.« Das war's. Und den Namen ihres »Gegenkandidaten« nimmt sie auch kaum in den Mund.

Pflichtgemäßer Optimismus dagegen, wenn es um ihren bisherigen Koalitionspartner Bündnis90/ Die Grünen geht: »Noch sind sie nicht verloren«, wiederholt Simonis stereotyp angesichts von Umfrageergebnissen um die fünf Prozent für die Partei, die 1996 erstmals mit 8,1 Prozent in den Kieler Landtag eingezogen ist. Sollten die Grünen scheitern, hat Simonis noch einen »netten Notanker«: den Südschleswigschen Wählerverband SSW. Für die Vertretung der dänischen Minderheit gilt die Fünf-Prozent-Hürde nicht, angesichts von Umfrageergebnissen von vier Prozent (und damit bei einigen Demoskopen gleichauf mit den Grünen) wird er möglicherweise noch ein drittes Mandat erhalten. SSW-Spitzenkandidatin Anke Spoorendonk will zwar keine Koalition mit der SPD, aber zu einer Tolerierung nach erprobten skandinavischen Vorbildern wäre sie bereit, zumal sich Volker Rühe jüngst den letzten Rest an Sympathie auch noch verscherzte. Sollte der SSW das Zünglein an der Waage zwischen einer schwarz-gelben Koalition und einer roten Regierung werden, hatte Rühe nämlich kategorisch gefordert, er »erwarte« vom SSW, dass der »nicht das Mehrheitsvotum der deutschen Wählerschaft verfälscht«. Spoorendonk beschied ihn knapp: »Unsere Wähler leben in Schleswig-Holstein, haben einen deutschen Pass und zahlen hier ihre Steuern. Ihre Stimme zählt nicht weniger als die anderer Wähler.«

Einer wird am Sonntag wahrscheinlich kräftig gewinnen und womöglich trotzdem verlieren: der FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki. Er ließ früher gern durchblicken, dazu beigetragen zu haben, dass Volker Rühe als CDU-Spitzenkandidaten nach Kiel geholt wurde, um Simonis liberale Wähler abspenstig zu machen, die für die konservativen Wahlkämpfer der Vergangenheit nicht erreichbar waren. Von Anfang an hatte sich deshalb auch Kubicki der CDU als Koalitionspartner versprochen und einen Konfrontationskurs zur SPD als Wahlkampfstrategie festgelegt. FPD-Plakate zeigen deshalb eine hässliche SPD-Dogge mit Hut und den Spruch: »Zwölf Jahre mit Hut - nun ist's gut.« Und bis Ende vergangenen Jahres sah es ganz so aus, als wenn Kubicki seinen Traumjob ergattern könnte: Vorsitzender einer FDP-Regierungsfraktion zu werden.

Gerade in dem festen Willen, Regierungsmacht zu erringen, ist Kubicki seiner hessischen Parteifreundin Wagner verbunden. Noch dementiert der smart-alerte Rechtsanwalt Lockerungsübungen gegenüber der SPD zwar genauso so wie umgekehrt Simonis, die Kubicki ersparen möchte, auf den »Hund zu kommen«. Doch vor vier Jahren nannte die SPD-Frau eine Koalition mit den Bündnisgrünen eine »Kröte«, die zu schlucken sie nicht bereit sei. Das galt jedoch nur bis zum Wahltag. Nach dem Verfehlen der erhofften absoluten Mehrheit saßen Rot und Grün schnell gemeinsam am Koalitionstisch.

Hinter vorgehaltener Hand sprechen auch dieses Mal Sozialdemokraten von der Hoffnung auf eine absolute Mehrheit: Scheitern die Grünen und bleiben Schwarz und Gelb deutlich hinter dem SPD-Ergebnis, dann könnte Simonis' Partei wirklich die Mehrheit der Mandate erringen. Doch vielleicht kommt ohnehin alles ganz anders: Vor vier Jahren lagen die Demoskopen mit ihren Umfragen ziemlich neben dem Wahlergebnis. Und dieses Mal haben die Wählerinnen und Wähler im Land zwischen Nordsee und Ostsee erstmals zwei Stimmen bei der Landtagswahl: eine Direktstimme für den Wahlkreiskandidaten und eine Parteistimme, um zu entscheiden, mit welcher Stärke die Parteien künftig ins Parlament einziehen sollen. Die Folgen dieser Neuerung genauer abzuschätzen haben die Demoskopen genau so viele Schwierigkeiten wie die Wahlbeteiligung vorherzusagen.

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