Mehr Freistellungen wagen

KOMMENTAR Müller und Riester streiten um Mitbestimmung

Tritt Wirtschaftsminister Werner Müller wirklich ab, weil seine Kritik am Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes im Kabinett wirkungslos bleibt? Die Antwort ist allenfalls unter dem Aspekt interessant, dass die Regierungsparteien seinen Rücktritt den Gewerkschaften als Argument andienen könnten, wieweit insbesondere die SPD ihnen angeblich entgegengekommen wäre und wie standhaft sich Berlin gegen Angriffe der Wirtschaft gezeigt hätte. In Wirklichkeit geht es bei den nur inszenierten Konflikten zur Betriebsverfassung um anderes: die Anpassung der Paragrafen an eine veränderte Arbeitswelt, Stärkung der Motivation der Beschäftigten und mehr Effizienz des Betriebsrates, so die offizielle Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfes. Und Betriebsräte seien notwendig, um Öffnungsklauseln "in modernen Tarifverträgen" ausfüllen zu können. Da bedarf es gar keiner ausdrücklichen Abschaffung des Günstigkeitsprinzips mehr, wie unbedarftere Teile der Bündnisgrünen immer noch meinen (Wahlkampf halber zur Zeit nur im Verborgenen).

Die Gewerkschaften haben - durch Kräfteverhältnisse gezwungen wie aus freiwilliger Anpassungsbereitschaft - schon so viele Tarifverträge ausgehöhlt, dass das Verbot, schlechtere Betriebsvereinbarungen abzuschließen als der Tarifvertrag vorgibt, bei Betriebsräten nur noch wenig greift. "Mehr Demokratie wagen" - Regierungsparole eines SPD-Kanzlers zu Zeiten der letzten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 - davon ist nichts geblieben. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf bringt den Betriebsfunktionären neue Aufgaben - Frauengleichstellung, Umweltschutz, Beschäftigungssicherung, Fortbildung -, doch so gut wie kein einziges neues Mitbestimmungsrecht. Zugestehen will Berlin den Betriebsräten gerade einmal den Anspruch, statt einer Schreibmaschine endlich im Jahr 2001 auch einen Rechner und E-Mail-Anschluss zu erhalten, auch bessere Arbeitsmöglichkeiten für Betriebsräte durch mehr bezahlte Freistellung von der Arbeit und einfachere Wahlverfahren in kleineren Betrieben.

Doch selbst hier bleibt die Bundesregierung hinter den ohnehin schon gedämpften Erwartungen der Gewerkschaften zurück. Weitere Abstriche sind im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu erwarten - um die Arbeitgeber im "Arbeitsbündnis" zu halten, das Bundesland Brandenburg im Bundesrat gewogen zu stimmen, die Minister Müller, Riester etc. nicht zu verlieren ... was auch immer politisch gerade opportun sein sollte. Und wenn Müller jetzt bleiben sollte? Wetten, dass der Kanzler und seine spin doctors flugs nichts Besseres zu tun haben werden als gerade das als Beweis dafür zu nehmen, dass sich im Geiste des "Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" gesellschaftliche Probleme am besten und wirkungsvollsten im Einvernehmen zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften lösen ließen.

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