Status und Standards

BÜNDNIS FÜR ARBEIT Die Gewerkschaften entwickeln eigene Konzepte

Arbeit, Arbeit, Arbeit« - so oder so ähnlich hatten sozialdemokratische Parteien in Europa, SPD, SPÖ und Labour, während vergangener Wahlkämpfe auf Plakaten Bürgerinnen und Bürger für sich einnehmen wollen. Dabei beachteten die Parteien nicht, daß Teile der als Bündnispartner beanspruchten Gewerkschaften differenziertere Vorstellungen haben. Nicht »Hauptsache Arbeit« sei das Ziel, faßte jüngst Detlef Hensche, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Medien, zum Abschluß einer Tagung über »gesellschaftspolitische Perspektiven für mehr Beschäftigung« zusammen. Zu den Traditionen der Gewerkschaften gehöre auch der Blick auf die Qualität von Arbeitsplätzen.

Beschäftigungsmöglichkeiten und Standards also. Dazu zählt der Schutz vor unverschuldeten Risiken durch entsprechende Sozialversicherungssysteme, die Sicherung minimaler Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge, die Möglichkeit einer gemeinsamen Interessenvertretung im Betrieb und vor allem ein Einkommen »zum Leben in Würde bei einem angemessenen Lebensstandard«, denn das sei »ein Stück Freiheitsverbürgung« und »Schutz für den aufrechten Gang der arbeitenden Menschen«.

Hensche stellte seine Forderungen im Rahmen einer Tagung auf, die die fünf »Ver.di«-Gewerkschaften (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) gemeinsam als öffentliches Signal gegen Vorstellungen aus dem Kanzleramt organisierten, einen staatlich bezuschußten Niedriglohnsektor in Deutschland einführen zu können. Es ging nicht allein um Kritik an Plänen des Kanzleramtsministers Bodo Hombach und seines Schreibers Wolfgang Streeck. Der Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftswissenschaften bestimmte, energisch vom Spiegel vermarktet, die Vorschläge für die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Billigjobs in der Dienstleistungsbranche und damit einiges von dem, was kurze Zeit später als Schröder-Blair-Vorschlag gehandelt wurde.

Die Ver.di-Tagung wollte Alternativen zu den Streeckschen Strickmustern aufzeigen. Voraussetzung dafür ist die Kenntnis, wer eigentlich arbeitslos ist. Das Gros machen Männer und Frauen mit »Vermittlungsproblemen« wegen Alter, gesundheitlichem Verschleiß und - als wesentlich kleinere Gruppe - wegen ungenügender Ausbildung und mangelnder oder verweigerter Weiterbildung aus.

Erste Schlußfolgerung daraus: eine Qualifikations- und Weiterbildungsoffensive. Denn die vielfach unterstellte geringe Qualifikation für »personenbezogene Dienstleistungen« - vor allem von Frauen bei der Pflege Kranker und Alter - wird nur behauptet, so der Wissenschaftler Gerd Bäcker. Wirkliche Ursache dafür, daß diese schlecht Ausgebildeten keinen Job finden, sei, daß deren Tätigkeiten von besser Qualifizierten übernommen werden, oder von Männern.

»Arbeitsumverteilung« ist tragendes Element aller gewerkschaftlichen Ansätze, aber auch sie nicht um jeden Preis. Detlef Hensche lehnt es ab, Vorschläge wie die Verkürzung von Wochen- und Lebensarbeitszeit oder die Einführung von Sabbatjahren allein mit der Aussicht auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu rechtfertigen. Dazu zählten auch der Kampf um kürzere Arbeitszeiten, die Verringerung gesundheitlicher Belastungen und die Verbesserung der Lebensqualität. Die Frage ist, soll der Mann Muster gesellschaftlicher Entwicklung sein, der sich in einer 60-Stunden-Woche verschleißt und einen Ausgleich nur in stetig gesteigertem Konsum findet, oder sollte gesellschaftliches Ziel sein, Muße und kulturellen Genuß einzuschließen und mit zu bewerten? Eine nur rhetorische Alternative?

Wenn Gewerkschaften nicht mehr nur Arbeitsplätze ins Zentrum ihrer Forderungen stellen - wie können sie ihre Vorstellungen dann durchsetzen? Wollen sie es überhaupt? Der Berliner Politikwissenschaftler Bodo Zeuner vertitt die These, die politischen Möglichkeiten der Gewerkschaften hätten sich so geändert, daß eine prinzipielle Neubestimmung ihrer Strategie nötig sei. Wie sich die SPD 1959 von der Orientierung auf sozialistische Ziele verabschiedet habe, so habe sie es 1999 von keynesianischen Vorstellungen mit der Konsequenz getan, daß der DGB einen vorrangigen Ansprechpartner verloren habe. Deshalb müßten die Gewerkschaften künftig autonom ihre Ziele durchzusetzen versuchen, auch gegen die Regierungspolitik der SPD.

Damit fand Zeuner keineswegs Anklang beim Leiter der politischen Grundsatzabteilung der Gewerkschaft, Klaus Lang. Der fürchtet als Ergebnis einer Abwendung der Gewerkschaften von der SPD eine lang dauernde Regierungsübernahme durch konservative Parteien. Vor diesem Hintergrund hält Lang die bisherige Mitarbeit der Gewerkschaften im »Bündnis für Arbeit« für gerechtfertigt und hat auch keine Probleme mit der Erweiterung der Ziele um das der »Wettbewerbsfähigkeit«. Allenfalls mehr öffentliche Beteiligung hätte sich Lang gewünscht. Damit steht er ziemlich allein. Andere plädieren für eine Änderung der Strategie der Gewerkschaften innerhalb des »Bündnisses für Arbeit«. Die großen Bündnisrunden müßten von einer Mobilisierung in den Betrieben begleitet werden, um die verloren gegangene »Gegenmachtfähigkeit« wieder herzustellen.

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