Aufbruch ins neue Jahrhundert - mit diesem Anspruch sollte das quasi Parlament der IG Metall über die künftige Richtung der Gewerkschaftspolitik entscheiden. Faktisch hat es sich allerdings selbst blockiert.
Zum Kern gewerkschaftlichen Handelns zählt die Tarifpolitik. Unter den Bedingungen anhaltender Massenarbeitslosigkeit soll sie, so die Meinung der Gewerkschaften, in Deutschland auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Als wichtigstes Instrument dazu sehen die Gewerkschaften eine weitergehende Arbeitsumverteilung in Form von Arbeitszeitverkürzung.
Doch die IG Metall hat sich bis an den Rand der Spaltung zerstritten: Soll sie eine weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 30 oder 32 Stunden befürworten - mittels Arbeitszeitkonten durchaus
tkonten durchaus flexibel gestaltet bis hin zur Erfassung von Jahresarbeitszeiten - oder eine Herabsetzung des Rentenalters und mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit im Alter fordern? Der nach Mitgliedern mächtigste Bezirk Stuttgart möchte zudem im Moment gar keine weitere Arbeitszeitverkürzung, sondern einheitliche Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte.Doch der Kongress der IG Metall vergangene Woche in Hamburg durfte für keine der umstrittenen Möglichkeiten votieren. Denn so oder so hätte die Gewerkschaft das von ihrem Vorsitzenden Klaus Zwickel erfundene und propagierte Modell eines "Bündnisses für Arbeit" gefährdet. Wie die Entscheidung auch ausgefallen wäre, die Gegenseite hätte ein Angebot für das unterlegene Modell präsentiert. Und die Gewerkschaft wäre gezwungen gewesen, entweder gegen den Beschluss der eigenen demokratischen Basis zu handeln oder aber die Schuld für die Ablehnung eines "vernünftigen Vorschlages" zu übernehmen, die das "Bündnis" zum Platzen gebracht hätte. Ohne eindeutige "Beschlusslage", wie es im Gewerkschaftsjargon heißt, hat die IG Metall allerdings keine gemeinsame Option für gewerkschaftliches Handeln außerhalb des "Bündnisses". Eine Urabstimmung über Forderungen und - gegebenenfalls - anschließendem Streik ist damit nicht legitimiert."Aufbruch" in der Tarifpolitik und im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit war also kaum festzustellen, so wenig wie auf anderen Politikfeldern. Dabei waren Probleme als Folge der "Globalisierungs" in aller Munde, beinahe eine ritualisierte Beschwörungsformel, die stereotyp in jeder Rede auftauchte. In der Eröffnungsveranstaltung hatten Gäste aus allen Kontinenten die Ausbeutung des Südens und die Missachtung von Arbeiterrechten beklagt. Doch in der Diskussion von Gegenstrategien schaute kaum ein Metaller über den nationalen Tellerrand hinaus. Nur unter fernerliefen tauchte kurz die "Vision einer europäischen Metallgewerkschaft" auf. Ansonsten war wenig von der im Grundsatzreferat Klaus Zwickels verheißenen "Neugier auf Zukunft" zu spüren. Im Gegenteil: In den fast 450 Anträgen zum Kongress war überwiegend von "Bewahren" und "Erhalten" die Rede.Aufbruch? Seit dem Hamburger Kongress gilt auch für die IG Metall eine Frauenquote: In Wahlämtern und Gremien müssen entsprechend ihrem Mitgliederanteil Frauen vertreten sein. Das hört sich gut an, aber mit einer Ausnahme gibt es für alle DGB-Bereiche längst entsprechende Regelungen; und dass der neue Beschluss das Klima in dieser größten IG verändert, glaubt sowieso keiner. Inzwischen ist die IG Metall "im Prinzip eine Organisation älterer Industriefacharbeiter", so der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Gliederung. Bei der Diskus sion über unterschiedliche Modelle von Arbeitszeitverkürzungen hatten sich dann auch 31 Abgesandte "älterer Industriearbeiter" zu Wort gemeldet, davon allerdings nur zwei Frauen. Keinem fiel ein, dass die Frauenkonferenz der IG Metall schon seit Jahren eine 30-Stunden-Woche favorisiert, und an die Probleme von Jüngeren dachte man auch nur insofern, als für sie bei den angedachten Arbeitszeitverkürzungen am Ende Arbeitsplätze herausspringen sollen. Aber: Irgend etwas läuft offenbar auf dem falschen Gleis.Aufbruch mit wem? Das mindestens muss sich die IG-Metall fragen. Das Durchschnittsalter der Delegierten ist seit den letzten Kongressen von 44,8 über 45,7 auf jetzt 46,5 Jahre gestiegen. Den Anteil jugendlicher Teilnehmer am Hamburger Kongress verschwieg die IG Metall schamhaft. Statt fast 280.000 jugendlicher Mitglieder vor vier Jahren hat sie jetzt noch knapp 200.000 - das Gewinnen jüngerer Mitglieder gilt ebenso als "besondere Herausforderung" wie die Mitgliedschaft von Frauen. Und noch etwas charakterisiert das Parlament der "Organisation älterer Facharbeiter": Sie sind die "Besserverdienenden" - wenigstens relativ. Erwerbstätige zahlen an die IG Metall in der Regel monatlich ein Prozent ihres Arbeitseinkommens. Der Durchschnittsbeitrag in der Gesamtorganisation beträgt 37 Mark, aber die Delegierten in Hamburg zahlen fast doppelt so viel, nämlich etwa 69 Mark.Die Gewerkschaft ruft zwar regelmäßig zur Solidarität mit Arbeitslosen auf. Aber ihre Abgesandten in Hamburg scheinen nicht so ganz der Erfahrung entkommen zu können, dass das Sein das Bewusstsein prägt: Arbeitslose können nur unter der Voraussetzung Mitglied werden, dass sie zuvor in einem Metallbetrieb gearbeitet haben. Ein Antrag, das zu ändern, fand wie auf vorhergehenden Gewerkschaftstagen keine Mehrheit, unter Verweis darauf, dass die IG Metall "kein Sozialverband" sei und schon unterschieden werden müsse zwischen der Politik einer Organisation - für Arbeitslose -, und dem Zugang dieser Gruppe zur Organisation. In diese Kategorie merkwürdiger Beschlüsse gehört auch, dass in Tarifkommissionen Arbeitslosen kein Stimmrecht zu erteilen ist - mangels betrieblicher Verankerung hätten sie ja keine demokratisch legitimierende Basis ... Selbst schuld!Aufbruch ins neue Jahrhundert? Eher ein Einbruch bei der Entwicklung einer demokratischen Alternative.