Alexander Osang, der Reporter, wählt als Hauptfigur seines ersten Romans einen Fernseh-Nachrichtensprecher, Jan Landers. Medienmenschen schreiben über Medienmenschen. Das ist, möchte man denken, wenigstens ein Sujet, bei dem sie sich auskennen. Der Autor hat gleich ein paar tragende Rollen aus dem Gewerbe versammelt. Die Tagesschau, bei der Landers Sprecher ist. Der Spiegel, der eine Redakteurin mit Jagd- und Killerinstinkt auf eine Stasi-Story, nämlich Landers angeblicher IM-Vergangenheit, ausschickt. Eine Ost-Provinz-Zeitung in Gestalt eines Reporters, der an diesem Fall die Chance seines Lebens wittert. Wenn man den Verlautbarungen glauben darf und weil sich Authentizität heutzutage immer gut macht, hat Osang auch einige Zeit zum Studium der Rituale in der Tages
Rituale in der Tagesschau-Redaktion zugebracht. Eingeweihte wollen deshalb in diesen oder jenen Figuren reale Vorbilder erkennen. Auch Uli Wickert soll auf diese Weise verewigt sein, was ihn zu der Bemerkung veranlasst hatte, in Wirklichkeit sei alles viel schlimmer. Da wusste noch niemand etwas vom lila Jackettfutter.die nachrichten heißt der Roman vieldeutig und meint damit nicht nur das TV-Ritual, sondern ebenso die Nachrichten, wie sie Landers in Gestalt von Stasi-Akten aus der DDR-Zeit nachfolgen. Gemeint ist natürlich auch das Buch selbst, diese Flaschenpost zwischen Buchdeckeln mit Nachrichten aus dem wiedervereinigten, dem ost-westlichen Land, zehn Jahre danach. Viele Reizthemen aus diesem Feld sind ausgebreitet. Die West-Karriere und der IM-Verdacht, die Treibjagd der Medien, aber keiner kennt hier Erich Strittmatter. Dann die Liebe. Ostmann trifft Westfrau, die Reederstochter Margarethe, und mit ihr den anderen Lebensstil, der Landers schwer verunsichert. Dann Landers, der Angepasste. Der alles ausprobiert und akribisch notiert, wenn er wieder neben dem Lifestyle liegt. Der auf Feten die falsche Flasche Wein mitbringt und nicht weiß, wie man fingerfood isst. Der sich einen Loft zulegt, um damit auszudrücken, was aus ihm geworden ist: "Die Wohnung würde die richtige Geschichte über ihn erzählen."Jedenfalls schaut Osangs Held auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch genau hin, wie es die Wessis machen - um es ihnen nachzumachen. Minderwertigkeitskomplexe jede Menge: "Sein Lieblingswort war ziemlich". Auch der Sprecherjob hat etwas Minderwertiges; man braucht ein Gesicht, nicht unbedingt eine Meinung. Am Ende wird Landers seinen Job behalten können, die Enthüllung zerfällt in nichts und der Held ist selbst bei der Suche nach seiner aus dem Gedächtnis verschwundenen Vergangenheit etwas schlauer geworden.Osang erzählt multiperspektivisch. Abwechselnd stellt er bestimmte Personen in den Vordergrund. Er ist ein Beobachter, ein sehr guter, ein Liebhaber des Details, der aber manchmal nicht recht zu wissen scheint, wozu ihm die Details eigentlich dienen sollen. Ein literarischer Faktograph, dem leider die Menschen flach geraten. Man hat nicht das Gefühl, dass er seinen Figuren nahekommt, dass er sie möglicherweise sogar liebt. Er schreibt wie ein Mann, der bei Parties am Türbalken lehnt, das Glas in der Hand und, während er den Menschenhaufen beobachtet, bereits seine Skizzen schreibt, en detail und sarkastisch. Eine schöne Haltung, die man aber mögen muss, jedenfalls ein ganzes Buch lang.Osang schreibt auch viele Seiten lang eine Sekundenprosa. Er häuft Assoziationsmaterial, dehnt die Augenblicke durch ihre Beschreibung, Und hängt immer eine Selbstreflexion der Figur dran, die selbst bewertet, was sie da grade tut. In diesem Sinn sind Osangs Figuren nie bei sich. Der Autor schaufelt sie uns ständig von Neuem vor die Füße. Dieses ständige Bescheid und Überbescheid-Wissen macht die Lektüre anstrengend. Der Test hat wenig Ruhestellen, wenige Oasen, dafür an der langen Wegstrecke manche gekünstelte Aufregung. Wenn Landers vergeblich auf die Postkarte einer Frau wartet und an seine eigene Postkartenschreiberei denkt, liest sich die Banalität so: "Wenn er sie dann einwarf - was selten geschah - lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Für immer weg. Die schwingende Klappe des Briefkastens schloss sich wie das Maul eines Wals. Eine Karte einstecken war wie eine Beerdigung." Eine Nummer kleiner hätt's auch getan.In der Schilderung der Medienwelt geht Osangs sarkastisch-beobachtende ganz gut auf. Der Medienmensch schildert die Medienmenschen als ein Volk von Wichtigtuern, von überschätzten Figuren. Wer sucht, wird viele schöne und böse Bemerkungen über das Gewerbe finden. Ziemlich gut getroffen ist wohl die strukturelle Feigheit großer Apparate, in denen die Vollzugsangestellten vorauseilend jeden Verdacht - in diesem Fall auf eine Stasi-Vergangenheit - behandeln wie eine Tatsache. Aber auch Klischees erspart uns Osang nicht. Immer diese besoffenen Journalisten, diese verkaterten, aus dem film noir entsprungenen Gestalten mit ihren blassen Morgengesichtern, den Aldi- Flaschen, den überlaufenden Aschenbechern und dem allmählich dank Gehirnzellenschwund versagenden Gedächtnis. Nicht ganz neu.Die Welt dieser "nachrichten" ist eine eng begrenzte, auch wenn Osang wohl gerne möchte, dass sie als Teil fürs Ganze gelten soll: so wie sie funktioniert, so funktioniert der Westen. Aber das Abbild ist zu verkürzt. Man sieht es schon daran, dass hier die Welt außerhalb des Berufsfeldes hauptsächlich aus Feten besteht. Der große Gesellschaftsroman und der lang erwartete ultimative Ost-West-Roman ist deshalb nicht daraus geworden. So bleibt auch der Ausblick begrenzt, obwohl die Angst vor der Leere des Nicht-Medialen durchaus verallgemeinerbar ist: "In diesem Moment war die Einspielung aus Bangladesch zu Ende. Kurze schaltete auf Landers. Landers starrte auf den Kontollmonitor, er war nicht zu sehen. Er war weg. Er sah nur ein leeres Studio, einen Nachrichtensprechertisch ohne Nachrichtensprecher. Er trat nochmal auf das Pedal und schaute dann direkt in die Kamera. Einen Augenblick lang sahen zwölf Millionen Zuschauer seine Angst. Dann glättete sich sein Gesicht."Alexander Osang: die nachrichten. Roman. S. Fischer, Frankfurt/M. 2000, 448 S., 39,90 DM
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