Gefährliche Füchse, traurige Bären und besonders dusslige Schafe

Neue Bilderbücher Gelesen und gesehen von Fritz Wolf

Bilderbücher erzählen oft von Tieren und von ihren Reisen. Die geglücktesten unter diesen Reisebildern illustrieren nicht den Text einer Geschichte, sondern erzählen ihn mit ihren eigenen Mitteln fort. Die schönsten Bilderbücher sind jene, deren Landschaften zugleich auch als Landschaften der Seele zu lesen sind, in denen die Furcht ebenso ihre Farbe findet wie die Freude, der Witz seinen lakonischen zeichnerischen Strich und das Gefühl seine angemessene Geste.

Margret Wilds und Ron Brooks´ Buch Fuchs erzählt von einer solchen Reise als äußeres und zugleich inneres Abenteuer. Dass es spannend wird, lässt sich schon am Titel sehen: der Fuchs sieht seine Betrachter an, direkt, auffordernd, bedrohlich, etwas von unten herauf. Dann ein erstes Bild, das Ängste anspricht. Ein Hund läuft mit einem Vogel im Maul. Sieht aus wie frisch gefangen. Aber das Bild zeigt in Wahrheit eine Rettung. Der Hund heißt Hund, der Vogel heißt Elster. Elster ist bei einem Waldbrand ein Flügel verbrannt. Aus der heißen Asche hat Hund Elster gerettet und bietet nun einen Deal unter Beschädigten an. Er selbst ist nämlich halbblind. So ergänzen sie sich bald prächtig. Hund rennt mit Elster auf dem Rücken so schnell durch den Wald, dass die Flügellahme das Gefühl hat, sie flöge. Dafür erzählt sie dem vierbeinigen Freund, was sie sieht.

Aufgeschrieben ist diese Geschichte in den Druckbuchstaben einer Kinderschrift. Sie hat die Direktheit einer mündlich erzählten Geschichte. Die Freundschaft geht so lange gut, bis der Fuchs auftaucht, gehetzt und mit leuchtend rotem Pelz - dem Rot der Gefahr. Das Rot wird den Leser bis ans Ende nicht mehr loslassen, denn Fuchs ist gefährlich. Aber nicht als Raubtier, sondern weil er einsam ist und eifersüchtig auf die Freundschaft der beiden. Er verspricht Elster, schneller zu fliegen und nach einigem Zögern glaubt sie ihm und verlässt ihren Retter und treuen Gefährten.

Wie die Geschichte ausgeht, sei nicht verraten. Das Buch erzählt von großen und sehr elementaren Dingen: von Wert und Haltbarkeit einer Freundschaft, von ihrer Gefährdung, vom Zusammenleben und was Einsamkeit anrichten kann. Eine Tierparabel also, aber als solche didaktisch unaufdringlich, aber intensiv visuell erzählt.


Ein großes Thema bewegen auch Dolf Verroen und Wolf Erlbruch in Ein Himmel für den kleinen Bären vor. Erlbruch ist längst der Star unter den Kinderbuchzeichnern und auch mit dieser Erzählung ist ihm ein Meisterwerk gelungen.

Sein fast unmögliches Thema ist der Tod. Dem kleinen Bären stirbt eines Tages der Großvater weg. Auf den ersten Blick sieht man, dieser kleine traurige Bär hat etwas vor. Er will in den Bärenhimmel zu seinem Opa. Dorthin kommt man als Geschöpf aus der Darwinschen Welt am schnellsten durch Gefressenwerden. Aber das Krokodil mag Bärenpfoten nicht, die Giraffe frißt nur Blätter, der Fuchs will unbescheiden noch ein Huhn dazu und der Tiger hat grade gefressen. Die Eule weiß Rat, aber sie tröstet, wie man Traurige oft tröstet, mit einer Notlüge: "Schau dich um, die Erde ist wunderbar".

Doch Wolf Erlbruchs Erde ist nicht wunderbar, es regnet, der Wind bläst kalt und der kleine Bär ist weiterhin "entsetzlich traurig" - bis, ja bis er zu der Höhle gelangt, von der er gekommen ist. Dort warten Vater und Mutter Bär schon auf ihn, wärmen und trocknen ihn. Er darf zwischen ihnen ruhen und träumen und ist jetzt doch im wahren Bärenhimmel. Zum Sterben ist es für ihn einfach noch zu früh und nun hat die Eule doch recht behalten. Wolf Erlbruch hat das sehr delikat gezeichnet und collagiert. Wir schauen seinen kleinen traurigen Bären an und können gut verstehen, was für ein Gefühl Traurigkeit ist.


Ganz anders die eigenartigen Wesen, die die schwedische Autorin Pija Lindenbaum in Franziska und die dussligen Schafe erfunden hat. Man könnte auch denken, das Mädchen habe sie sich ausgedacht. Auch Franziska ist einsam, wenn auch unter lauter erwachsenen Menschen im Urlaub, die bloß sonnen und baden wollen. Franziska will weder sonnen noch baden, ein klassisches Einzelkind. Also buddelt sie sich durch den Sand und entdeckt eine Insel mit merkwürdig wolkigen Hügelchen, die entpuppen sich als eine dusslige Schafsherde.


Was einem gelangweilten Kind einfallen kann, wenn Phantasie und Kommandierlust erwachen, erzählt Pija Lindenbaum sehr witzig und ins Surrealistische verrückt. Schön, dass eine Bilderbuchheldin einmal nicht ausnehmend patent sein muss und besonders clever. Sondern einfach nur Kind, das völlig losgelöst an einem heißen Sommersonnentag sich einem Spiel hingibt, von dem Erwachsene nicht einmal ansatzweise etwas verstehen.


Damit durchaus mithalten kann ein Klassiker unter den Kinderbuchautoren, nämlich Lewis Carroll mit seinem bekannten Nonsens-Gedicht vom Jabberwocky aus Carolls zweiten Alice-Buch Alice hinter den Spiegeln. Der "Jabberwocky" kommt "whiffling" durch den "tulgey wood" und "burbled" dabei mächtig. Neu übersetzt haben das Gedicht Liselotte und Martin Remane und sie kommen dem lautmalerischen Gestus von Caroll ziemlich nahe, jedenfalls für Leser im Bilderbuchalter. Ihr Jabberwocky heißt etwas ostpreussisch der "Brabbelback", rennt "feuerfauchend" durch den "Dusterwald" und wird vom Helden mit dem "schwuchtelnden Schwert" "ermurkst".

Illustriert hat das witzige Abenteuer Joel Stuart als eine phantastische, heimelig-skurrile Bilderwelt mit merkwürdig schräg aussehenden Elfen und spitznasigen Lurchen. Und wenn auch der Held des Buches den grässlichen Brabbelback um einen Kopf verkürzt, hat Stuart mit einem witzigen Einfall den Schrecken herausgenommen: im Inneren des Ungeheuers stecken Zahnräder - eine Puppe also. So ist das eine Geschichte geworden, wie man sie sich am besten an dunklen Dezembertagen ausdenkt und erzählen lässt, um sich dabei zeitweise nach Phantasia retten zu lassen: "Es sunnte Gold / und Molch und Lurch / krawallten rum im grünen Kreis."


Nicht chaotisch, sondern sehr diszipliniert geht es dagegen zu in den Holzschnitten von Frans Haacken, mit denen er die Geschichte von Peter und der Wolf illustriert -das Buch zu Prokoffiefs Musik. Der Verlag präsentiert hier kein neues Buch, sondern hat ein fast vergessenes ausgegraben, mit der Illustrationstechnik des kolorierten Holzschnitts, die auch weitgehend aus den Bilderbüchern verschwunden ist. Haackens feine Illustrationen zeigen, wie ausdrucksvoll diese mit starken Gegensätzen von Schwarz und Weiß arbeitende Form sein kann - und wie delikat auch. Sogar über das Unglück der Gans, die so dumm ist, sich vom Wolf fressen zu lassen, können wir schmunzeln. Frans Haacken hat ihr im Augenblick, da sie zwischen den spitzen Zähnen verschwindet, ein paar melancholische, weltschmerzhafte Tränen ans Auge gezeichnet. Seine Bilder strahlen bei aller Dramatik des Geschehens eine große Ruhe aus und man kann sie sich sofort neben Prokofjews bekannter Musik vorstellen, als Ergänzung und als eigene Sicht auf das Geschehen.

Margret Wild, Ron Brooks: Fuchs. Aus dem Englischen von Zoran Drvenkar. Carlsen, Hamburg 2003, 40 S., 16,50 EUR

Dolf Verroen, Wolf Erlbruch: Ein Himmel für den kleinen Bären. Hanser, München 2003, 32 S., 12,90 EUR

Pija Lindenbaum: Franziska und die dussligen Schafe. Moritz, Frankfurt/M. 2003, 40.S., 13,80 EUR

Lewis Carrol, Joel Stewart: Der Brabbelback. Ins Deutsche übertragen von Lieselotte und Martin Remane. Sauerländer, Düsseldorf 2003, 32 S., 14,90 EUR

Sergej Prokofjew: Peter und der Wolf. Illustriert von Frans Haacken. Nach der Originalausgabe von1958. Beltz Gelberg, Weinheim 2003, 64 S., 22,- EUR


Immer wieder gezeichnet und interpretiert worden ist Carlo Collodis unsterbliche Geschichte von Pinocchio, dem hölzernen Jungen, dem mit dem Lügen die Nase im Gesicht wächst. Jetzt legt Sauerländer eine Ausgabe vor mit Illustrationen von Sara Fanelli. Die italienische Künstlerin entwirft einen collagierten Pinocchio, wie ausgeschnitten aus dem Bastel und Zeichenbuch. Und sie setzt ihn immer wieder in die Landschaft der Toskana, aus der Collodi kommt und wo er seine Geschichte auch angesiedelt hat.

Carlo Collodi, Sara Fanelli: Pinocchio. Sauerländer, Düsseldorf 2003, 192 S., 19,90 EUR

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