Manchmal erzählt das Fernsehen Geschichten, so mitten aus dem Leben gegriffen. Etwa das TV-Movie Anna H. - Geliebte, Hure, Ehefrau. Junge Frau, vom streng katholischen tennisspielenden und mutterabhängigen Gatten geschurigelt, ungeliebt, eingesperrt und sexuell unbefriedigt, geht verzweifelt auf den Strich und trifft, verschleiert und daher unerkannt, im Edel-Bordell auf ihren Mann, den es befriedigt, von ihr mit dem Tennisschläger den Hintern versohlt zu bekommen. Bis sie sich am Ende erkennen und endlich auch den bisher ausgebliebenen Nachwuchs zeugen.
So etwas gilt heute als Film für die ganze Familie, und wer es nicht glaubt, der beachte die Werbespots. Sadomaso auf dem Set und auf den Werbeinseln Babyöl, Antidurchfallmittel und Polykur. Oder Fruchtzwerge, Mika
rge, Mika Häkkinen und die HUK: "Sie machen Klick und wir machen den Rest". Dann wieder Züchtigung mit dem Racket, gemäßigt.Werbespots also. Seit neuestem überspringt Harald Schmidt mühelos die Grenzen zwischen Programm und Werbeinsel, indem er in beiden auftritt. Kaum kippt seine Show um auf den Werbeblock, setzt er auch dort eine produktbezogene Pointe ab. Bald wird er wie bei Woody Allen herausklettern aus dem Spot auf die Bühne und später wieder mit Spott zurück in die Bildröhre.Wir werden das Phänomen im Sommer bei der Tour de France verschärft wieder erleben, dann allerdings ironiefrei. Sport ist schließlich eine ernste Sache. Also wird Jan Ulrich radeln und in den Werbepausen wird er gleichzeitig probiotische Joghurts essen, unglaublich gesunde Kraftdrinks trinken und wahrscheinlich mit seiner Mutter satellitentelefonieren. Natürlich alles in Telekom-Magenta. Denkbar wäre auch, dass Harald Schmidt mitradelt, obwohl man befürchten muss, dass doch wieder nur Scharping mit Winkewinke vor der Kamera auftauchen wird. Fehlte nur noch, dass die Telekom auch noch die Bundeswehrreform sponserte.Kaum anders verhält es sich mit dem Fußball. Obwohl man annehmen muss, dass die Agenturen sich über Ribbeck Co. die Haare raufen. Bloß mit dem Peinlich, wie sich die Profis von Sir Erich anweisen lassen ("Wir müssen zeigen, wo wir stehen") - und dann zeigen sie nichts und stehen auf dem Platz rum, als hätten sie statt Becks alkoholfrei den Kasten mit der Starkbiervariante erwischt. Zum Glück hat die Werbewirtschaft eine neue Idee entwickelt, den gesplitteten Bildschirm, bei dem, wie neulich bei Bayern gegen Dortmund, das Spielfeld auf Briefmarkengröße schrumpft und Bierwerbung die wahren Verhältnisse wieder herstellt. Jetzt muss wirklich keiner mehr hinschauen.Der geteilte Bildschirm ist erlaubt, seit Anfang April gelten neue Werberegeln. Erlaubt ist jetzt auch virtuelle Werbung, also das Überlagern realer Schauplätze mit computergenerierten Bildern, etwa dem Cola-Signet im Mittelkreis. Noch wird davon kaum Gebrauch gemacht. Kommt aber noch. Ohnehin sind derzeit computergenerierte TV-Figuren sehr angesagt. Selbst die Moorhühner, nicht umzubringen in den endlosen Büroschlachten, wurden zwischenzeitlich als Werbe-"Charakter" entdeckt.Und wieder begegnet uns Harald Schmidt, diesmal beim Telekom-Ableger. Er nimmt den Platz ein, den vor ihm Robert-T-Online besetzt hatte, der seinerseits Manfred Krug ausgeschaltet hat. Titanenkämpfe zwischen AOL und Telekom werden da ausgefochten. Erst hatte Ichbindrin-Becker mit dem literaturfähigen Satz "Äh, bin ich schon drin, oder was?" eine erfolgreiche Marktpenetration für AOL gelandet. Dann holte die Telekom mit der Kunstfigur Robert-T-Online zum Gegenschlag aus. Der muss nicht erst rein, der ist schon drin. Ein Kerl wie aus dem Computerbilderbuch: smart, clever, ein Börsenprofi. Ein Geschöpf der Cyberwelt. Sieht etwas künstlich aus - aber gerade das macht den Charme der Aktion aus. Ohnehin ist Robert-T-Online kein computeranimierter visueller Hohlkopf, wie man denken könnte. Sondern ein vom Computer übernommener wirklicher Schauspieler mit Maske, dem Grafikprogramme den nötigen Cyberlook verpassten. Der Cyberlook machts. Hightech muss es aussehen.Dann lieber Zlatko? Den halten einige Damen und Herren vom Feuilleton immer noch für einen dummen Proleten. Die Branche aber denkt bereits nach und sie denkt anders. Was kann Sladdi gut verkaufen? Kaum war er raus aus dem Container, wurde analysiert, auf welches Produkt man ihn setzen kann. Glaubwürdig für IKEA oder für AOL, sagen die einen. Andere denken an die Automarke Skoda (wie wärs mit Rover?) oder an die Suchmaschine Lykos, wo er Shakespeare hinterhersurfen kann. Und schon verwandelt sich Zlatko in einen Schauspieler, der demnächst in Serien auftritt, die von Werbesendungen durchschnitten werden, in denen er demnächst auch wieder auftritt. Oder eben Harald Schmidt.Genauso möglich ist jedoch auch, dass sich hier, altlink gesprochen, im Kosmos der Werbespots ein Verweiszusammenhang anbahnt mit der Baumarkt-Kette und ihrem Slogan "Geht nicht, gibts nicht". Zu Zlatko und Harald Schmidt gesellt sich Paul Praktiker, der sich mit der Heimwerker-Kettensäge durch den kubanischen Urwald sägt. Dazu baut uns eine Landesbausparkasse ein Holzhaus, denn bauen muss der Mensch, aber nicht Miete zahlen. Eingerichtet werden könnte es von den Wikingern, von denen wir via Werbespot endlich erfahren, wie das Regal "Ivar" und der Regieklappstuhl "Strängö" über uns gekommen sind. Weil sie nämlich anderen friedlichen Nordlichtern die Häuser überm Kopf anzündeten, zuvor aber leider noch die Möblage plündern und nach Mitteleuropa transportieren.So fügt sich im Kosmos des Werbefernsehens eins zum anderen und endet letztlich, wer weiß, auf einer Insel. Auf einer abgelegenen Insel, denn dort soll demnächst eine der Überlebens-Shows starten, selbstverständlich unter ständiger Beobachtung von Kameras, vielleicht von Zlatko von "Strängö" aus dirigiert, und unterbrochen von Werbeblocks, in denen unter anderem auftreten...Übrigens wurden im Deutschen Fernsehen 1999 zwei Millionen Werbespots ausgestrahlt und in den beiden ersten Monaten dieses Jahres bereits 2.123 Stunden. Tendenz steigend.