Von alten Wölfen, roten Wutanfällen und dem Glück der Poesie

NEUE BILDERBÜCHER Wenn Kinder nicht auf den Großvater hören, kommt aus dem Wald der Wolf". Zu sehen ist nur der Wald, jedenfalls auf den ersten Blick. Auf den zweiten ...

Wenn Kinder nicht auf den Großvater hören, kommt aus dem Wald der Wolf". Zu sehen ist nur der Wald, jedenfalls auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick sieht man ihn denn in der linken Bildecke zwischen zwei schlanken Baumstämmen stehen, und seine Augen glühen. Jetzt weiß, auch wer die Geschichte nicht kennt, dass sich eine Bedrohung anbahnt. Alle anderen wissen ohnehin, was kommt: die Geschichte von Peter und dem Wolf, vom kleinen Ausbruch in die Gefahr und von der List, den Wolf schließlich gefangen zu nehmen und gleichzeitig auch noch vor den, allerdings ziemlich furchtsamen Jägern zu retten.

Jörg Müller ist etwas friedlicher geworden. Nach seinen vielen zeitkritischen Bilderbüchern hat sich der Schweizer Illustrator nun ein klassisches Sujet gewählt und es auch klassisch illustriert: Prokofieffs Märchen zum Mitschauen. Müller zeichnet nicht nur die Geschichte von Peter und dem Wolf, sondern auch die Aufführung selbst, also die Musiker mit ihren Instrumenten, ganz exakt nach Prokofieffs Vorgabe.

Müller erzählt wie gewohnt sehr dramatisch. Seine Bilder sind nach Comic-Manier in verschiedenen Größen und Ausschnitten komponiert. Darin wechselt er häufig die Perspektive. Wenn Katze und Vogel vor dem Wolf auf den Baum geflüchtet sind, dann sehen wir den grauen Räuber aus ihrer Perspektive, von oben, leicht in den Perspektiven verzerrt. Und wenn der Wolf die dumme Ente frisst, dann sieht das sehr räuberisch aus, wie angehalten in der Bewegung.

Angesiedelt hat Müller das Märchen in einer friedlichen Hügellandschaft. Dorf und Kirche liegen in der Mulde, die Hügel im Morgenlicht. Es sieht aus wie im vorigen Jahrhundert. Kein Auto, keine Antenne, keine Straße - normalerweise lässt Müller sich die Gelegenheit nicht entgehen, seine Geschichten in der Gegenwart anzusiedeln, sie zu modernisieren. Ganz nah bleibt der Illustrator diesmal auch zeichnerisch am Sujet, gewohnt detailfreudig und stimmig in den Bildkompositionen. Eine CD liegt bei, Loriot erzählt, Daniel Barenboim dirigiert das English Chamber Orchestra. So kann man die Geschichte gleichzeitig hören und sehen - und es passt wunderbar.

Peter und der Wolf: Ein musikalisches Märchen von Sergej Prokofieff, frei erzählt von Loriot. Bilder von Jörg Müller. Mit Musik-CD, Aufnahme des English Chamber Orchestra mit Daniel Barenboim. Verlag Sauerländer, Frankfurt 2000, 24 S., 49,95 DM

Wölfe sind auch nicht mehr, was sie waren. Jedenfalls der Wolf der Anais Vaugelade. Er hat nur noch einen Zahn, und offenbar ist auch sein Ruf schon so ruiniert, dass die Henne ihn ins Haus lässt, als er sie darum bittet, bei ihr seine Steinsuppe kochen zu dürfen. Steinsuppe? Kennt die Henne nicht. Aber sie tut Sellerie dazu. Und so tun es, eins nach dem anderen, auch die anderen Tiere. Bis sie sich selbst eine ordentliche Gemüsesuppe gekocht haben. Nur der Wolf geht dabei leer aus, denn sein Stein ist nicht recht durch. So verlässt er traurig wieder das Dorf der Tiere.

Rollenwechsel, einschneidender Autoritätsverlust und Schluss mit lustig mit dem bösen Wolf - Anais Vaugelade erzählt eine ziemlich hinterlistige Geschichte vom Untergang einer unverwüstlichen Märchenfigur und vom Schwund der Angstmacher, die auch Kinder gut verstehen können. Gezeichnet ist das wunderbar in großen zweiseitigen Bildern, mit Anspielungen auch auf die Bremer Stadtmusikanten und einem großen grauen Wolf mit gebeugtem Rücken, mit dem man wirklich Mitleid kriegen kann. Aber was will er auch - mit Steinsuppe?

Anais Vaugelade: Steinsuppe. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Moritz-Verlag, Frankfurt 2000, 40 S., 28.- DM

Wenn die britische Illustratorin Babette Cole als Titel über eines ihrer Bilderbücher schreibt: "Ich hab so Angst vor Tieren", dann bekommt man schon einen Anfangsverdacht, wie die Geschichte ausgehen könnte. Aber es gelingt ihr wieder einmal, den Leser ordentlich zu überraschen.

Jedenfalls geht es wieder um Angst. Hund und Pferd, Bulle und Schlange. Alle Tiere sind offenbar hinter Tom her. Das eine will ihn fressen, das nächste niedertrampeln, das dritte erdrücken. Dann tauchen auch noch die ekelhaften Spinnen auf. Und die Ameisen. Und die Fledermäuse. Sie kommen näher und näher, und erst im letzten Augenblick und in höchster Not fällt Tom etwas ein. Die Pointe wird nicht verraten. Sie ist political nicht correct, tierlieb ist sie auch nicht, aber sie geht natürlich für Tom gut aus.

So verrückt Babette Cole ihre Geschichten auch zeichnet, mit anarchischem Strich und leider manchmal auch ein wenig putzig, so steckt doch dahinter, dass sie die Ängste von Kindern ernst nimmt. Sie erzählt ihre Geschichte in Doppelbildern. Auf dem linken Bild sehen die Tiere so harmlos aus, wie sie sind, auf dem rechten so, wie Tom sie ihn seiner Angst sieht. Das setzt die kleinen Leser nicht nur in ein Wechselbad der Gefühle, sondern hilft ihnen auch, die Geschichte von der Angst, die sie auch als eigene kennen, von zwei Seiten anzuschauen. So können sie immer ein wenig Distanz halten. Zu fürchten und befürchten gibt es nichts.

Babette Cole: Ich hab so Angst vor Tieren. Aus dem Englischen von Nicola T. Stuart. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2000, 32 S., 24,80 DM

Wer den verschwundenen Kater suchen will, muss denken wie er, sich bewegen wie er, lautlos sein wie er. So jedenfalls machen es Hanna und Tim, als ihr kleiner Kater Pepé plötzlich verschwunden ist. Leider nutzt die Anverwandlung nichts, doch da es sich um ein Bilderbuch handelt, geht die Geschichte gut aus. So plötzlich, wie er verschwunden war, sitzt Pepé hinter ihnen, weiß von nichts und putzt sich die Pfoten.

Eine typische Bilderbuch-Story, wie man sie in vielen Bilderbüchern finden kann. Geschrieben hat sie der berühmte amerikanische Lyriker Charles Simic, und diesen Umstand merkt man schnell an dem federleichten Ton in der Sprache. Klar, durchsichtig, und nichts wirkt kindisch.

Wesentlich tragen dazu die Zeichnungen von Wiebke Öser bei. Sie sind ganz kunstvoll in der Manier von Kinderzeichnungen ausgeführt, mit Buntstift, nicht naturalistisch, aber schön beobachtet in den Haltungen der Kinder. Ein ungewöhnlicher Strich, eine neue zeichnerische Handschrift. Wie im Text von Simic ist auch hier alles auf Kinder ausgerichtet und nichts, was sich ihnen anbiedert. Am Chaos im den Räumen, das bei der Suche nach Kater Pepe überall durchscheint, kann man sehen, dass hier mit Lust gelebt wird. Dass man letztlich nicht erklären kann, warum Katzen tun, was sie tun, das ist ohnehin eine alte immer neue Geschichte.

Charles Simic, Wiebke Öser: Wo steckt Pepe. Aus dem Amerikanischen von Uwe Michael Gutzschahn, Hanser Verlag, München 2000, 32 S., 24,80 DM

Robbis Wut ist rot. Rot und groß fährt sie aus ihm raus wie der Geist aus der Flasche. Und dann tut die Wut, was sie will. Wirft Kissen durch das Zimmer, schmeisst das Bücherregal um, knallt die Nachttischlampe auf den Boden. Aber als die Wut sich an die Spielzeugkiste ranmacht, wird es Robbi zu viel. Er verscheucht den blöden roten Kerl, der trollt sich beleidigt, wird kleiner und kleiner, bis er in die kleinste unter den Spielzeugkisten passt.

Was Mireille d'Allancé hier zeichnet, kennt jeder. Dazu muss man nicht klein sein. Nur einen blöden Tag haben, an dem alles schiefläuft, dann noch das falsche Essen auf dem Tisch und aus die Maus: Ab ins Zimmer. Wie es Robbie dabei geht, das kennt auch jeder, der schon einmal neben sich gestanden hat und, sich selbst dabei erstaunt zugesehen hat, wie die Gefühle drüberrollen und über den Kopf wachsen. Glücklich, wer es wie Robbie fertig bringt, wieder runterzukommen von Hundertachtzig, die Wut kleinzukriegen und sie endgültig besiegen mit der unscheinbaren Frage: "Papa? Krieg ich noch Nachtisch?". Mireille d'Allance ist eine ganz einfache Bilderbuchgeschichte gelungen, die ganz genau ihr Thema trifft. Hilfreich für den nächsten Wutanfall kann sie allein schon deshalb sein, weil man jetzt eine Vorstellung davon hat, wie mächtig die Wut sein kann, aber auch wie dämlich sie schauen kann, wenn man bloß zu ihr sagt wie Robbie: "Hau ab, du Trottel".

Mireille d'Allancé: Robbi regt sich auf. Aus dem Französischen von Markus Weber. Moritz-Verlag, Frankfurt 2000, 32 S., 19,80 DM

Die See ist tief, kurz ist der Hund, / Wer kurz ist, reicht nicht bis zum Grund". Deshalb muss Trulli, der übermütige Köter, ziemlich paddeln, damit er nicht ersäuft. Als er es endlich geschafft hat zum Strand zurück, steht da seine Hundefreundeschar und feixt: "Und alle Hunde schrein: ‚Sieh da! Wie wars denn in Amerika'". Dumm gelaufen.

Was Robert Gernhard, da reimt und Philip Waechter zeichnet, kitzelt vom ersten Moment an den Lachnerv auf höchst angenehme Weise. So kann es gehen, wenn einer das Maul zu voll nimmt. Deshalb könnten auch Erwachsene das Buch glatt jemandem schenken, der als sein eigener Ich-Verkäufer durch die Gegend läuft. Denn kaum richtet man, wie Philip Waechter im letzten Bild dieses wunderschönen Buches, den Blick aus etwas größerer Distanz aufs dramatische Geschehen, zeigt sich, dass der Große Teich, über den einer mit großer Geste aufbricht, nicht mehr ist als ein mittelgroßer Badeteich.

Philip Waechter / Robert Gernhardt: Die Reise nach Amerika. Ellermann Verlag, Hamburg 2000, 24 S., 19,80 DM

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