Berlin, U-Bahn-Hermannplatz, Freitag 23.00 Uhr. Ich warte auf den nächsten Zug. Es warten jungbullenähnliche Türken und rempeln sich gegenseitig an, es warten blondgefärbte Mädchen auf Plateausohlen, es warten Berauschte in allen Stadien der Bewusstlosigkeit und manche warten nicht. Sie bleiben hier und trinken Bier.
Es nähert sich ein Mann mit einem wuchernden Vollbart. Er schreitet kräftig aus, nur ein leichtes Schwanken weist darauf hin, dass er nicht ganz nüchtern ist. Er trägt ein schweres, sperriges Straßenschild, das er vermutlich gerade irgendwo abmontiert hat. Sonnenallee steht darauf. Man kann es nur lesen, wenn man den Kopf neigt. Provozierend, triumphierend sieht der Mann jedem entgegen, der ihm in die Quere kommt. Seine Augen sitzen voller Genugtuung und Stolz. Zwei Plätze neben mir fällt er auf die Bank, klemmt das Straßenschild zwischen die Beine und stützt die Hand darauf ab, als wäre es ein Pokal, den er in einem schweren Kampf errungen hat. Er sucht die Blicke der Umstehenden. Seht her, sagen seine roten Augen, was ich gemacht habe.
Er ist wohl doch betrunkener als ich glaubte, denn er hält sich nur noch mühsam gerade. Aus dem Bart dringt ein Kichern und es hat kein Ende. Dabei stampft er mit dem Fuß auf und schlägt die Hand auf die Schenkel. Er spricht zu jemandem, den ich nicht entdecken kann: »Du hast mich geärgert.« Er wischt sich Schweiß von der Stirn. Seine Stimme wird lauter: »Ich habe deine ganze Straße geklaut, einfach mitgenommen habe ich sie. Jetzt kannst du zusehen, wie du nach Hause kommst.«