Die Besten kommen aus Biberach

Baden-Württemberg Die CDU hat auf dem Land ein felsenfestes Fundament. Ihr Spitzenkandidat Oettinger aber spricht als Modernisierer die Städter an

Die Sängerin haucht gerade ihre Version des Nat King Cole-Hits Get your kicks on Route 66 ins Mikrofon, als sich Günther Oettinger auf die Bühne schwingt. Der "Jazz-Brunch" im Wahlkreis eins, Stuttgart-Mitte, ist die zweite Station seiner Tagestour. 12,50 Euro kostet das Buffet pro Person - dafür könnte man in einem oberschwäbischen Wirtshaus drei wagenradgroße Salatteller mit lauwarmen Maultaschen bestellen. Doch die "Rosenau" gilt als großstädtische Adresse. Ein wenig Kabarett, ein bisschen Musik in kleinen, feinen Combos. An diesem Samstag aber sitzen hier Frauen und Männer mit orangefarbenen Schals, der neuen Erkennungsfarbe der CDU. Neues Image, neues Gesicht: Günther Oettinger ist seit einem Jahr Nachfolger Erwin Teufels im Amt des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Die Übergabe im April 2005 war eine unfreiwillige, erzwungen von dem unbedingten Wunsch mancher Teile der Südwest-CDU nach einem Wechsel an der Spitze.

Nun braucht Oettinger zu ersten Mal auch das Votum des Volkes. Wenn an diesem Sonntag Landtagswahl ist, weiß in Baden-Württemberg jeder, wie es ausgeht: Oettinger wird auch in der neuen Legislaturperiode Ministerpräsident sein. Die Frage ist nur, ob er die 44,7 Prozent seines erfolgreichen Vorgängers erreichen wird oder nicht, ob er die bösen Stimmen endlich zum Schweigen bringen kann, die noch immer daran zweifeln, dass es nötig war, den ehrenwerten Vorgänger aus dem Amt zu drängen. Noch immer haftet Erwin Teufel der Ruf des untadeligen Gutmenschen an. Dass er ebenso berechnender Machtmensch war, der eiskalt abservieren konnte, wird gern verdrängt. Auch, dass er ohne Not die Schulden dieses reichen Bundeslandes in die Höhe trieb und den Landeshaushalt bis zur letzten Sekunde seiner Amtszeit auspresste, als wäre es ihm nur darum gegangen, dem ungeliebten Nachfolger bloß keinen Cent zu hinterlassen.

Die hippe "Rosenau" kenne er, startet Oettinger seinen Auftritt, Rezzo Schlauch habe ihn seinerzeit zur Eröffnung hergeschleppt. Schwarz-Grün, aha! Der dicht bevölkerte Stuttgarter Westen mit seinen Szene-Kneipen und Gründerzeithäusern ist klassisches Rot-Grün-Revier. Die grüne Fraktionsvize im Landtag, Brigitte Lösch, holte hier das letzte Mal 18 Prozent. CDU-Kandidatin Andrea Krueger wird es schwer haben. "Spannendes Gebiet", sagt Oettinger in der ihm eigenen Kasernendiktion des Stakkato. Doch er fremdelt nicht. Lässig versucht er sich zu geben, der dunkelbraune Cord-Anzug steht ihm gut, macht ihn weicher.

Seit 1984 ist Oettinger Landtagsabgeordneter. Er war 14 Jahre lang Fraktionsvorsitzender und wurde Regierungschef - eine Parteikarriere, in der alles zwangsläufig erscheint. Beim Wahlkampf in Stuttgarts Innenstadt spricht er über Stadt-Themen: Arbeit, Steuern, Streik und Kinderbetreuung. Oettinger versucht witzig zu sein. Doch sein Humor erinnert an die Zotensprüche von Burschenschaftern beim Altherrenabend. Asiaten nennt er schon mal "Schlitzaugen", Norddeutsche "Fischköpfe". Als Ministerpräsident eines Geberlandes wettert er gegen den Länderfinanzausgleich, besonders gegen das kleine Saarland: "Wenn dort Schlecker und Lidl je eine große Filiale aufmachen, reicht das für zwei Prozent Wachstum." Dafür bekommt er Lacher. Frauenpolitik sei Betreuungspolitik, definiert der CDU-Spitzenmann dann wieder ernst. Die Frauen und Männer vor ihren Latte Macchiato-Gläsern nicken.

Aber Oettinger auf dem Land? Dort springt der Funke zu den Menschen nicht so leicht über. Steif wirkt er da und ernst - ganz wie bei Christiansen, wenn ihm vor jeder Antwort das Kieferscharnier zum Nussknackerlächeln rostet. Eine "gewisse Beklemmung" gab Oettinger nach seinem Talkshowauftritt neulich selbst zu. Doch nicht nur vor der Kamera wirkt er wie einer, der sich nicht ganz sicher ist - immerhin gab es auch Vorfälle, die ihm eingefleischte CDU-Wähler verübeln: der Machtkampf mit dem konservativen Teufel, der Wirbel um die Schirmherrschaft des Stuttgarter Christopher-Street-Days, die Affäre seines Sozialministers Andreas Renner, der einen Bischof harsch angefahren hatte und schließlich zurücktreten musste. Als spüre er den Druck einer dauerhaften Bewährungsprobe, konstruiert er gezirkelte Sätze, die unangreifbar sind. Vor allem die Wählerschaft auf dem Land, wo Bischöfe als unantastbare Autoritäten gelten und Schwule als irgendwie krank, beäugt Oettinger misstrauisch. Doch im ländlichen Raum hat der Ministerpräsident seine Statthalter, die für die Fast-Staatspartei trommeln. Getreue wie den Biberacher Landrat Peter Schneider. Vor fünf Jahren holte der 47-Jährige 57,2 Prozent für die CDU - der absolute Spitzenreiter in Baden-Württemberg. Schneider, ein studierter Jurist, ist eine große Nummer im Land: der neue Sparkassenpräsident und bis vor kurzem Chef des Aufsichtsrates beim Energiekonzern EnBW. Die 40 gestandenen Mannsbilder im Bräuhaus Ummendorf scheint dies nicht zu beeindrucken. Und Schneider legt es auch nicht darauf an, damit zu prahlen. Im Schwäbischen protzt man nicht. Der hoch gewachsene Mann mit Bürstenhaarschnitt und Brille ist im benachbarten Riedlingen geboren, er schwätzt wie seine Zuhörer. Die Ehe ist intakt. Das ist wichtig. Und dass auf der Steuerkarte römisch-katholisch steht.

Vor jedem der 40 Zuhörer steht ein Bier, ein stattliches. Unter einem halben Liter läuft hier nichts. Das ist halt noch ein richtiges Wirtshaus. Mit Wollstores vor den Fenstern und gusseisernen Lampen ans Holzjoch montiert. Die Männerrunde, kaum einer von ihnen unter 60, wartet darauf, dass der Landrat "zu uns spricht". So heißt das hier auf dem Land, fünf Kilometer von der alten Reichsstadt Biberach entfernt. Ein paar Dörfer weiter, in Zell-Bechingen, wo die Musikkapelle noch 21 Jungmusikanten zählt und das Dorfleben in freiwilliger Feuerwehr, Landjugend, Kirchenchor und Reservistenkameradschaft stattfindet, erlangte Schneider vor fünf Jahren 99 Prozent. Den einen, der ihn nicht gewählt hat, kennt man wahrscheinlich mit Namen. "Mir von der CDU sind die Partei der Landschaft", hebt Schneider an. Hier im Oberschwäbischen ist die CDU konkurrenzlos. Wahlkampf in Ummendorf heißt, die allerwichtigsten Themen beackern: Geld und Landwirtschaft. Mit der Mangelwirtschaft im fernen Stuttgart, dem Loch im Landeshaushalt, hält sich Schneider gar nicht lange auf. Auch nicht mit den anderen Parteien.

Die mitregierende FDP nennt er knapp das "kleinere Übel". Auch das nicht Gesagte verrät, dass er das liberale Personal für eine ziemliche Gurkentruppe hält. Die SPD-Spitzenkandidatin Ute Vogt ("zu dere kasch fasch nix sage") und deren Partei dienen dem volksnahen Landrat höchstens als Sparringpartner für gespielte Dialoge über Agrarförderung, an deren Ende die CDU super dasteht. Was nicht so gut läuft, wie zum Beispiel die Landesfinanzen, wird als geradezu schicksalhafte Fügung beschrieben. Hier zählt anderes: Erstens wie man selbst dasteht, und zweitens, wie der Nachbar wirtschaftet. Weil der Kreis Biberach mit seinen 2.300 Agrarbetrieben und seinen Industrieschwerpunkten Biotechnologie und Biopharmazie Deutschlands zweithöchste Wachstumsrate um die 18 Prozent aufweist, ist der CDU-Landrat eine unangefochtene Autorität. Und obwohl in seinem Landtagswahlkreis der medienpopuläre Grüne Oswald Metzger antritt, hat Schneider nichts zu befürchten.

Die absolute Mehrheit ist für die Südwest- CDU zum Greifen nah - wenn die WASG nicht in den Landtag einzieht. "Es gibt kein Megathema gegen uns", sagt ein selbstbewusster Oettinger, der versucht hat, seine CDU von der etwas barocken Performance eines Erwin Teufel zu befreien - und die ersten Dämpfer hinnehmen musste. Vom neuen Kurs mit mehr Ganztagsschulen, Sprachförderung im Kindergarten oder Schuldenabbau, der bislang mehr Rhetorik denn Fakt ist, will er sich dennoch nicht abbringen lassen. Oettinger kenne das Land, sei fleißig und "ohne Alternative", verteidigt Schneider seinen Parteichef im oberschwäbischen Wirtshaus. Aber klar sei: Die "Schubkraft" komme aus Biberach. "Wenn´s auf Mannheim oder Stuttgart ankäm, dätet ihr hier net sitze". Und weil es auch im Landkreis Sigmaringen, in Ravensburg, in Kehl oder Villingen-Schwenningen solche tapferen und erfolgreichen Schneiders gibt, die immer gut 50 Prozent holen, ist an Machtwechsel im Südwesten nicht zu denken.


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