Die als Motor der ökonomischen Globalisierung gepriesene Welthandelsorganisation WTO stotterte von Anfang an, jetzt läuft die Maschine leer. Von den letzten drei Ministerkonferenzen sind zwei vollständig gescheitert, eine kam gerade so über die Runden. Seattle 1999, Doha 2001 und Cancún 2003 markieren keine Sternstunden. GlobalisierungskritikerInnen fühlen sich bestätigt: Alternative Konzepte werden gebraucht.
Wer das Existierende für das einzig Mögliche hält, hält auch die WTO für alternativlos. Die gescheiterten Ministerkonferenzen waren nach dieser Lesart Unfälle, nun müssen entstandene Schäden repariert und eine verbesserte Lokomotive wieder auf die Schienen gesetzt werden. Bijit Bora vom Büro des WTO-Generaldirektors in Genf sieht das jedenfalls so. Niemand, sagt er, bezweifle die Notwendigkeit von Reformen. Schließlich stünde in der Präambel noch der GATT-Text, und der sei 50 Jahre alt. Aber in Doha, dem Ort der letztgültigen WTO-Vollversammlung, sei von Reformen keine Rede gewesen. Hinzu käme, kein Vertreter eines Mitgliedslandes habe die grundsätzliche Umgestaltung der WTO gefordert. Wen wundert´s: Das Sägen am eigenen Stuhl ist eine eher seltene Übung.
In einem Brief an alle 146 Handelsminister der Mitgliedsländer mahnte der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick, man solle 2004 auf einige der kontroversen Themen verzichten - die neuen Abkommen über Investitionen und Wettbewerb zum Beispiel -, dann käme die auf die Interessen der Entwicklungsländer zugeschnittene Doha-Agenda (DDA) doch noch zu Stande.
EU-Handelskommissar Lamy hatte seiner Behörde nach Cancún eine knapp dreimonatige Einkehr verordnet. An deren Ende stand dann die eher bescheidene Formel: Wir müssen flexibler verhandeln, sonst aber zum business as usual zurückkehren. Zwischen Mai und Juli sollen nun die Modalitäten einiger Teilabkommen festgezurrt werden. Zoellick wie Lamy begaben sich auf world tours, um die neuen "Partner" der G 20 (Brasilien und Indien zum Beispiel) und der G 90 (ärmere Entwicklungsländer) von der WTO-Prioritätensetzung zu überzeugen.
Das Ziel: Auf keinen Fall die WTO demontieren. Sie sei "das einzige multilaterale Bollwerk gegen den drohenden Rückfall in Uni- und Bilateralismus", der die schwächeren Länder im Verhandlungspoker benachteilige. Die Starken, also die EU und die USA, haben indes nie auf parallele Aushandlung bilateraler Abkommen verzichtet.
Denn Multilateralismus klingt nicht in aller Ohren wie Musik. Weltbank, IWF und WTO seien zwar multilateral, aber dennoch jene Organisationen, mit denen die neoliberale Doktrin weltweit erst durchgesetzt wurde, so der alternative Nobelpreisträger Walden Bello von den Philippinen. Seine Schlussfolgerung: Man muss raus aus diesen Institutionen. Vorsichtiger formulieren das Eleonor O´Gorman vom UN-Entwicklungsprogramm und Guy Ryder, Generalsekretär des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften. Besser sei, sagen sie, bestehende Organisationen wie die UN-Umwelt und Entwicklungsagenturen UNEP und UNDP oder auch die UN-Handelskonferenz UNCTAD zu stärken.
Für eine Schwächung der WTO plädiert Michael Meacher, früherer britischer Umweltminister. Die WTO solle in ihren Zuständigkeiten schrumpfen, fordert er, und der UN unterstellt werden. Zwar säßen dann die gleichen Regierungen um den Verhandlungstisch, allerdings auch einmal die Umweltminister und nicht immer nur die Inhaber der Wirtschafts- und Finanzressorts. Gesundheit, auch nicht in Form von genetisch manipulierten Organismen, Energie und insbesondere Wasser gehörten nicht unter WTO-Regie. Wegen solcher Ansichten musste der Minister 2003 seinen Hut nehmen!
Es fehle, sagt er heute, eine Weltumweltcharta mit einem Weltumweltgerichtshof, offen auch für Eingaben von Gruppen öffentlichen Interesses, für die ein ständiger Umweltuntersuchungsausschuss arbeiten müsse. Der wiederum könne sich über auferlegte Strafgelder selbst finanzieren. Aus Spekulationssteuern, der sogenannten Tobin-Tax, könnten Kompensationen für immer häufiger auftretende unternehmensgemachte Umweltkatastrophen gezahlt werden. Was soll ein international anwendbares Regelwerk aber darüber hinaus leisten?
Unspektakuläres, aber zentrales Ziel einer gerechten Welthandelsordnung müsste die Durchsetzung und Garantie von Menschenrechten für alle sein. Diese Forderung findet sich weder in den WTO-Statuten noch in der Doha-Agenda. Wenn denn die Rede von der Entwicklungsrunde wirklich ernst gemeint gewesen wäre, ist das nicht zu erklären. Selbstverständlich für ein akzeptables Handelssystem sollte Armuts- oder genauer: Verarmungsbekämpfung sein. Auf diesem Auge ist die WTO als Regelsystem jedoch blind. Sie listet Fortschritte bei der Öffnung von Märkten auf, jedes Jahr werden neue Tonnenrekorde an Fisch zwischen den Kontinenten ex- und importiert. Wieviele Kleinfischer dabei ihre Boote für immer an Land ziehen und aufgeben müssen, ist dagegen nirgends aufgelistet. Das seien "notwendige Anpassungskosten". Notwendig? Der Nachweis, dass Kleinbauern- oder Fischersterben unvermeidbare Restrukturierungen für spätere Wachstumsschübe seien, wurde bislang nicht erbracht.
WTO-Befürworter halten Regelungen im Weltmaßstab für unumgänglich, da auch die Probleme - siehe Klimakatastrophe - weltweite Dimensionen haben. Dem widersprechen die Verfechtern einer De-Globalisierung. Nicht, weil sie die Klimakatastrophe leugnen, sondern weil sie die regionale Perspektive zurückholen wollen. Die heimische Landwirtschaft für den heimischen Markt solle Priorität haben, nicht die Exportwirtschaft. Heute dumpen die EU und Amerika Lebensmittelüberschüsse auf den Weltmarkt.
Zusätzlich angeheizt wurde die Debatte um alternative Regelungen im Handel durch ein internes Diskussionspapier aus dem Hause Lamy. Darin wird argumentiert, dass jede Gesellschaft selbst bestimmen dürfe, was sie für besonders schützenswert halte. In Europa seien das zur Zeit soziale Rechte, öffentliche Dienstleistungen, Umwelt und Biodiversität. Da sie finanzielle Interessen berührten, müsse man eben über die WTO Kompensationen zahlen. Wer jedoch bemisst soziale Kosten? Wer kann sich organisieren, um seine Präferenzen zu schützen? Wer kann zahlen? Doch wieder nur die reichen Länder und deren Wirtschaftsmultis.
Trotz des arroganten Untertons im EU-Diskussionspapier: Das Thema "guter Protektionismus" ist spannend, sofern alle ein Anrecht darauf haben. "Guter Protektionismus" bedeutet, sich grundsätzlich vom Prinzip des "one size fits all" abzuwenden - Universalgrößen funktionieren nicht mal bei Jeans. Das mächtigste Instrument der WTO, der Streitbeilegungsmechanismus mit Sanktionsgewalt, müsste anderen Gerichten untergeordnet werden. "Kollektive Präferenzen" würden eine breite, öffentliche Debatte in den Gesellschaften über Schützenswertes voraussetzen. Dann wären wir aber schon meilenweit weg von der derzeitigen EU-Handelspolitik, die keine demokratische Entscheidungsfindung vorsieht. Das wäre doch immerhin etwas.
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