FRAUEN / FEMINISMUS Frauen- oder Genderkommissarin der EU wollte niemand werden und der Frauenausschuß des EU-Parlaments steht in zweieinhalb Jahren wieder zur Disposition
Mainstreaming« ist ein genialer Begriff. Ein Wort mit klarer Signalwirkung: Es geht um positives Denken, um Mitschwimmen im großen Strom. Vielleicht sogar darum, Außenseiter mit ins Boot zu holen. »Mainstreaming« ist EU-Strategie. Überall. In jeder Richtlinie, in jedem Projekt, in jeder Haushaltsrichtlinie. Ist das nicht prima? Sie wissen gar nicht, worum es geht? Genau, das ist schließlich der Trick an der Sache.
Die Protagonistinnen des »Mainstreaming« verstanden sich selbst als Feministinnen. Auf der Vierten Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking forderten sie die unverzügliche Gleichstellung von Mann und Frau als wesentliche Voraussetzung für den Aufbau gerechter und demokratischer Gesellschaften. Ein »gender mainstrea
mainstreaming« sollte dies bewerkstelligen.Die EU-Kommission griff diese Frauenforderung auf. Bereits ein halbes Jahr später stellte sie ihre Version vor, die nur mehr »main streaming« hieß und damit noch ein bißchen weniger aneckte. Seither soll der Aspekt der Chancengleichheit für Männer und Frauen in alle Politikbereiche und Aktionen der Gemeinschaft eingebunden werden.So richtig neu war das nicht. Schon die Grundlage der heutigen EU und damaligen EG, die Römischen Verträge von 1957, sah gleiches Entgelt für gleiche Arbeit vor. Allerdings waren damals keine Feministinnen am Vertragswerk. Die Feder führte vielmehr die Furcht vor denjenigen Ländern im künftigen gemeinsamen Binnenmarkt, die auf Grund von Industrien mit einem höheren Anteil an Arbeiterinnen - welche bekanntlich weniger verdienen - von vornherein »wettbewerbsfähiger« wären. Gebracht hat der Eintrag allerdings nichts: Vor wenigen Wochen noch ergab eine EU-Studie, daß Frauen europaweit weiterhin 25 Prozent weniger verdienen als Männer. Auch der Grundsatz »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, so die Statistik, hat sich immer noch nicht herumgesprochen.Die Verkürzung der Frauenfrage auf den Aspekt weiblicher Lohnarbeit hielt sich vier Jahrzehnte lang in allen EG/EU-Vertragsnovellen. Der EU-Beschäftigungsgipfel in Luxemburg konstatierte im November 1997 in ungebrochener Logik: »Chancengleichheit ist eine Frage von wirtschaftlicher Bedeutung.« Eine EU-Ministerkonferenz zum Thema »Frauen und Beschäftigung« in Belfast hielt vor einem Jahr gleichfalls mal wieder fest, es sei darauf hinzuarbeiten, daß Frauen ihr Familien- und Berufsleben miteinander verbinden könnten. Männer brauchen dies offenbar nicht.Ein Jahr zuvor freilich, im Juni 1997, hatte sich die EU mit dem Amsterdamer Vertrag endlich des Vorwurfs frauenfeindlicher Einäugigkeit entledigt. Der Artikel 2 macht Gleichstellung von Männern und Frauen zur Aufgabe der Gemeinschaft. Artikel 3 trägt der Gemeinschaft auf, Ungleichheit zu beseitigen. Weitere Artikel gestatten Aktionen zur Beseitigung von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und sehen Chancengleichheit am Arbeitsplatz vor. Artikel 141 erlaubt sogar Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht. Das ist natürlich eine Frechheit. Natürlich geht es nicht darum, daß mehr Männer Empfangsdamen werden. Denn wenn schon, dann werden sie Empfangschef. Trotzdem war es den Verfassern zu heikel, das schlichte Wort »Frauen« zu benutzen. Kalanke läßt grüßen.Seit dem 1. Mai dieses Jahres ist der Amsterdamer Vertrag in Kraft. Der Rat kann nun »auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts ... zu bekämpfen«. Auf Einstimmigkeit im Rat dürfte frau lange warten. Welcher FachministerInnenrat über einen entsprechenden Vorschlag abstimmen sollte, ist übrigens nicht eindeutig. Denn einen FrauenministerInnenrat gibt es nicht - sonst haben selbstverständlich alle FachministerInnen ihren eigenen Rat.Das Europäische Parlament nahm die »main streaming«-Idee bierernst. Bei seinen Arbeiten an einer Ausschußreform vor wenigen Monaten schlug es in bestechender Konsequenz vor, den Frauenausschuß schlicht abzuschaffen. Die schlagende Begründung: Chancengleichheit kann jetzt in jedem Ausschuß behandelt werden. Es brauchte massive Proteste, um diese Absicht zu vereiteln. Das Ergebnis der zähen Verhandlungen: Der Frauenausschuß wird zunächst für zweieinhalb Jahre, eine halbe Legislaturperiode, bestätigt - alle anderen Ausschüsse gelten selbstverständlich fünf Jahre. Danach wird erneut über seine Fortexistenz entschieden. Außerdem handelt es sich um einen sogenannten »grauen«, also neutralen Ausschuß. Die Mitgliedschaft ist »umsonst«, hindert nicht an einer Vollmitgliedschaft in einem anderen »wichtigeren« Ausschuß. Ausschlag für die Entscheidung gab offenbar die Befürchtung, andernfalls würden sich keine Abgeordneten für den Frauenausschuß bereitfinden.Das alte Europaparlament verabschiedete sich soeben mit 27 weiblichen Abgeordneten, im neuen werden 29,9 Prozent vertreten sein. Das übertrifft immerhin die Verhältnisse in der EU-Kommission. Dort arbeiten zwar exakt 51,7 Prozent Frauen, 80 Prozent davon allerdings in den unteren Diensträngen. Chefinnen gibt es kaum. Unter den absoluten Spitzenbeamten, neun A1-besoldeten Generaldirektoren, ist keine Frau. Unter den 23 Direktoren sind es gerade einmal vier. Das bleibt auch so, denn bis zum Jahre 2004 wird auf dieser Ebene kein Posten mehr frei.Nach dem Rücktritt der EU-Kommission Anfang dieses Jahres verkündete der neue Kommissionspräsident Prodi im März 1999, er wolle als neue Kommissare »starke Männer um sich scharen«. Eine Nachfrage, ob er dabei auch an Frauen dächte, verstand er anfangs überhaupt nicht. Ihm ginge es doch allein um Qualifikation. Nur zwei bis drei Kandidatinnenvorschläge tröpfelten daraufhin aus den Mitgliedsländern. Schließlich deklarierte Prodi die Erhöhung des Frauenanteils »seiner« Kommission zumindest den Medien gegenüber doch noch als Chefsache. Mindestens genausoviele Kommissarinnen oder mehr als in der alten Kommission sollten es werden. Es wurden genauso viele: fünf. Das sind exakt 25 Prozent. Und wie zuvor ist wiederum kein spezifisches Ressort »Frauen- und Genderfragen« vorgesehen. Daß irgendjemand sich um den Posten der/s FrauenkommissarIn beworben hätte, ist nicht bekannt.»Mainstreaming«-Idee und Praxis klaffen meilenweit auseinander. Der erste kommissionseigene Bericht zu den Ergebnissen der Strategie sucht mühselig positive Projekte zusammen. Ein Grundproblem: Niemand weiß so richtig, wo anzusetzen wäre. Es gibt kaum geschlechtsdifferenzierende Statistiken auf EU-Ebene. Zudem hat die Strategie keine Bedienungsanleitung. Es fehlen Evaluierungskriterien, und vor allem: Es gibt keinerlei Sanktionsmechanismen. Wer der höflichen Aufforderung, doch bitte, bitte ein bißchen mehr die Belange von Frauen zu berücksichtigen, nicht folgt, tut's eben nicht. Punkt. Aus.Stattdessen bot das »mainstreaming« in vielen Bereichen den Vorwand, explizite Frauenförderung abzuschaffen. Haushaltsrichtlinien und Frauenprogramme fallen weg, weil es ja allenthalben die Gleichstellungsstrategie gibt. In den - unzureichenden - Aktionsprogrammen fehlt überdies zwar nicht der gute Wille, aber die (wo)manpower. Tja, wenn wir mehr wären, seufzt frau ...Doch des Übels Wurzel liegt nicht in der dünnen Personaldecke. Die Medizin selbst ist zu schwach. Mit dem »mainstreaming« schrieb sich die EU ein Konzept auf die Fahnen, das der Modernisierung der Verhältnisse im Erwerbsleben dient, ohne die Verhältnisse insgesamt in Frage zu stellen. Das Konzept klingt feministisch, weil es aus dem Feminismus stammt. Aber die feministischen Standbeine sind ihm in den Kommissionsfluren abhanden gekommen. Mainstreaming in der EU-Version will Frauen in das System einbauen, ohne Männerprivilegien abzubauen. Das Geschlechter- als Machtverhältnis steht nicht zur Debatte.Ist die Frauenfrage einmal unsichtbar geworden, klappt es am Ende nicht einmal mit der symbolischen Vertretung. Nach dem Umzug des Europaparlaments in neue Gebäude galt es im letzten Jahr, diesen Gebäuden Namen zu geben. Die Fraktionen präsentierten auf ihren Vorschlagslisten lauter große Europäer. An große Europäerinnen hatte man(n) nicht gedacht. Allein die Grünen-Fraktion wartete aus Protest mit einer reinen Frauenliste auf. Nun sind wenigstens zwei Frauen, Berta von Suttner und Louise Weiss, mit von der Partie. Ansonsten ist die Institution ein Herrenhaus geblieben.
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