Die über 5.000 offiziellen Teilnehmer der WTO-Konferenz von Seattle fanden zwar zum Auftakt keine Tagesordnung in ihren Unterlagen, doch hatte sich die EU buchstäblich in letzter Minute zu der Empfehlung entschlossen, den Anliegen der Zivilgesellschaft - einschließlich der Unternehmensvertreter und Konsumenten - bei den in Betracht kommenden Liberalisierungsschritten die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Spätestens beim Gipfeltreffen zwischen Europäischer Union und den USA in Köln, direkt nach der G-7-Runde vom Juni, hatte der Transatlantic Business Dialogue (TABD) - eine einflussreiche Unternehmerorganisation diesseits und jenseits des Atlantiks - Gelegenheit erhalten, ihren Forderungskatalog für die WTO-Millenniumsrunde vorzubringen. Während nicht einmal Abgeordnete oder der "Konsumentendialog" - das "zivilgesellschaftliche" Mäntelchen der sogenannten Transatlantischen Partnerschaft EU-USA (TEP) -vorgelassen wurde, parlierten die beiden Ko-Vorsitzenden des TABD mit Clinton und Schröder und tafelten anschließend mit EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Der bedankte sich artig bei den beiden - wie er sie nannte - "Prioriätensetzern", die ihre Vorstellungen zu Verhandlungspositionen der EU in Seattle entwickelt hatten.
Man muss dazu wissen, dass innerhalb der EU-Kommission bei den Abteilungen für Handel und Industrie eine Art Parallelstruktur zu den zahlreichen TABD-Arbeitsgruppen existiert. Von letzteren werden Empfehlungen für die Politik entworfen, die zuweilen den Charakter von Anweisungen haben. Der TABD, erst 1995 entstanden und damit wesentlich jünger als der europäische Unternehmerverband UNICE oder der "Europäische Runde Tisch der Industriellen" (ERT), hat in kürzester Zeit seine Einwirkung auf die Wirtschaftspolitik in der EU und in Nordamerika spürbar verstärkt. Von europäischer Seite gehören etwa Bayer, Bertelsmann, Olivetti und Siemens dazu, von US-amerikanischer Ford, IBM und Xerox. ."Die Bedeutung des TABD für die Handelsliberalisierung ist kaum zu überschätzen", meinte Timothy Hauser, US-Vizestaatsminister für Handelsfragen, schon 1997 anlässlich eines Kongreßhearings in Washington, "tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren praktisch alle Maßnahmen zur Marktöffnung sowohl in den USA als auch der EU vom TABD vorgeschlagen". Und Jerome Monod von Suez Lyonnaise des Eaux, der nach Jan Timmer von Philipps und Jürgen Schrempp von DaimlerChrysler 1999 turnusmäßig den Ko-Vorsitz des TABD übernahm, brüstete sich im März vor dem Europaparlament in Strasbourg, der TABD sei "zweifellos die in politischen Institutionen erfolgreichste Nichtregierungsorganisation (!) beiderseits des Atlantiks".
Auch EuroparlamentarierInnen lassen sich gern vor den Karren des TABD spannen. In einem von der SPD-Abgeordneten Erika Mann als Berichterstatterin vorgelegten Parlamentsbericht wird die Wichtigkeit des TABD als treibende Kraft bei den transatlantischen Beziehungen lobend in den Vordergrund gestellt. Ihr CDU-Kollege Elmar Brok - derzeit in Strasbourg Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses - ist nach Recherchen des Amsterdamer Corporate Europe Observatory selbst aktives Mitglied des TABD (für Bertelsmann). Aus Kreisen der beiden großen EP-Fraktionen - der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokraten - war denn auch in einem vom Plenum angenommenen Antrag die Rede davon, "die Existenz freier Arbeitgeberorganisationen" als Menschenrecht einzustufen.
Die EU-Parlamentarier sind in Seattle mit einer fünfzehnköpfigen Delegation vertreten - zur Selbstermutigung hatte es im erwähnten Antrag auch geheißen, die Abgeordneten betrachteten es "als die natürliche Funktion des Parlaments", in Europa "der maßgebliche Ort für die politische Meinungsbildung der Millenniumsrunde zu sein".
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