Schwangerschaftstests vor der Einstellung seien vollkommen legal, behauptete das Arbeitsministerium des mexikanischen Bundesstaates Baja California in einer Pressemitteillung. Das ist vollkommen falsch. Es sei denn, der künftige Arbeitgeber betrachtet die Schwangerschaft als eine unheilbare und ansteckende Krankheit, die der Arbeitsaufnahme entgegensteht. Dem Ministerium ging es freilich nicht um den Buchstaben des (mexikanischen Arbeits-) Gesetzes. Es galt, für die maquiladoras in die Bresche zu springen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HWR) hatte sie in einem Bericht über geschlechtliche Diskriminierung an den Pranger gestellt.
»Lohnveredelungsbetrieb« ist laut Lexikon der deutsche Ausdruck für »maquiladora«. Eine leichte Irref
e Irreführung: Veredelt werden in den so bezeichneten Unternehmen entlang der US-mexikanischen Grenze lediglich die Firmengewinne. Die Lage der ArbeiterInnen indessen, vor allem die der Frauen, ist beschämend. Im wahrsten Sinne des Wortes.Der Vorwurf von Human Rights Watch traf die einzige Wachstumsbranche des Landes. Zwar bringen die Niedriglohnbetriebe in den mexikanischen Sonderproduktionszonen weder Kapitalsteuern noch Zolleinnahmen, aber sie schaffen Arbeitsplätze und damit den Eindruck florierender Wirtschaftsaktivität in einem ansonsten von Rezession gebeutelten Land. »Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt«, beeilte sich daher Carlos Martín Gutiérrez Ruiz, Ombudsman für Arbeitsrecht in der Maquiladora-Hochburg Tijuana, festzustellen. Na denn.Ein Urintest war für die 18jährige Silvia Rodríguez Guereca die erste Hürde für die Einstellung bei der maquiladora Siemens Sistemas Automotrices, einer Autoteilefirma im Besitz der Münchner Siemens AG, in Ciudad Juárez. Das Datum ihrer letzten Menstrua tion wurde anschließend sorgfältig notiert. Dann begann eine dreimonatige Probezeit - die ist usus in den maquiladoras, wenn auch gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Schikanen gingen derweil weiter. Silvia mußte sich regelmäßig in der firmeneigenen Krankenstation melden und ihre gebrauchten Monatsbinden vorzeigen. Auch in anderen Firmen geht es Kolleginnen ähnlich. Werden sie tatsächlich schwanger, brauchen sie ein dickes Fell. Sie arbeite jetzt zu langsam, heißt es plötzlich von der Aufsicht, an der Leistung wird herumgemäkelt. Es gibt Druck, gleich zu kündigen oder, will die Schwangere ihren Arbeitsplatz erhalten, lieber auf ihren Lohn zu verzichten, solange sie fürs Kinderkriegen aussetzt.Laut mexikanischem Arbeitsrecht erhalten Frauen im zwölfwöchigen Mutterschaftsurlaub 100prozentige Lohnfortzahlung. Das Geld kommt aus der gesetzlichen Versicherung IMSS. Haben Frauen in den letzten zwölf Monaten weniger als 30 Wochen einbezahlt, muß der Arbeitgeber für die komplette Summe geradestehen. Und das ist es, was die Firmen fürchten. »Würden wir zulassen, daß schwangere Bewerberinnen eingestellt werden«, antwortete General Motors auf einen von Human Rights Watch formulierten Beschwerdebrief, »schlichen sich sofort alle schwangeren Arbeitslosen bei uns ein. Das können wir uns nicht leisten«.Die Arbeitsbedingungen in den maquiladoras sind hart, die Produktionsraten hoch. Nur junge Frauen halten den Streß durch, wissen die Firmen. Panasonic stellt deswegen keine Frauen über 30 ein. Nur potentiell Schwangere also. Bis heute arbeiten überwiegend Frauen, meist ungelernte Arbeiterinnen ohne berufliche Alternative in den maquiladoras. Doch ihr Anteil schwankt je nach Branche: Im Textilbereich sind sie unverändert weitaus in der Mehrzahl. Ein Mitarbeiter des Sekretariats für Wirtschaftsentwicklung in Baja California erklärt das so: »Frauen haben ihre schwersten Körperteile zwischen Knien und Taille, Männer zwischen Taille und Hals. Deswegen können Frauen besser sitzende Tätigkeiten ausüben«. Darauf muß man erst kommen!Inzwischen wenden sich mehr und mehr maquiladoras höheren Technologien wie Elektronik zu. Das drückt den Frauenanteil. Waren 1975 noch 78 Prozent Frauen, sind es heute noch 57 Prozent. Das bedeutet rund 450.000 von insgesamt 875.000 Arbeitsplätzen in 2600 Betrieben. Als sich Mitte der sechziger Jahre die ersten maquiladoras mit ausländischem Kapital an der borderline ansiedelten, spekulierten sie vor allem auf den zollfreien Zugang zum US-amerikanischen Markt. Nach der Errichtung der NAFTA, einer Freihandelszone zwischen USA, Kanada und Mexiko, fällt der Zollvorteil weg. Es bleiben der Lohnvorteil und die ungleich schwächeren Arbeitsgesetze. Nach der Wirtschaftskrise 1975 und Abwanderungsdrohungen von seiten der maquiladoras hatte Mexiko sie damals schon von einer Reihe Verpflichtungen ausgenommen.Sich gegen die entwürdigenden Prozeduren zu wehren, ist für die Frauen ungemein schwierig. Die Angst vor schwarzen Listen mit den Namen der »Aufmüpfigen« ist groß. Für Frauen, die in der Bewerbungsphase diskriminiert wurden, kennt Mexikos Gesetzgebung keinerlei rechtlichen Beistand. Casa de la Mujer - Grupo factor X ist eine Frauengruppe, die in Tijuana mit Frauen aus den maquiladoras arbeitet. Ob sie sich denn bei Diskriminierungen nicht an eine örtliche Gewerkschaftsvertretung wendeten, wurde Reyna Montero von Factor X 1997 bei einem Frauentreffen in Brüssel gefragt. Die Mexikanerin blickte befremdet. Auch Gewerkschaften, antwortete sie, schickten schwangere Frauen auf Arbeitssuche fort. Gewerkschaften in der maquiladora-Zone fungieren nämlich als Arbeitsvermittlungsbüros. Im Land der institutionalisierten Revolution herrschen andere Sitten.Auf die erste Human Rights Watch-Studie über geschlechtliche Diskriminierungen 1996 in den maquiladoras reagierten die meisten Firmen überhaupt nicht. Einige versteckten sich hinter der offiziellen Haltung des Ministeriums von Baja California. Human Rights Watch unternahm daher eine zweite Untersuchung und veröffentlichte sie. Ein Zusatzabkommen über Arbeitsrechte im Rahmen der NAFTA erlaubte zudem eine Klage bei einer zuständigen US-Dienststelle. Die hat letzten Oktober zumindest neunmonatige Konsultationen über die arbeitsrechliche Lage für Frauen in Mexiko beschlossen. Ein reichlich verwässerter Ansatz, aber immerhin.NAFTA hat europäischen Firmen in Mexiko einen heftigen Einbruch an Marktanteilen beschert. Der Export hat sich zwischen 1990 und 1996 von elf auf 6 Prozent halbiert. Um so verbissener wird derzeit um die handelspolitischen Kapitel des neuen Globalabkommens EU-Mexiko gefeilscht. Ein Zusatzabkommen über Arbeitsrechte ist darin nicht vorgesehen. Bloß nicht noch mehr Probleme, wehren die Europäer ab. Ohnehin verbitten sich die Mexikaner bekanntermaßen immer jedwede Kritik an der menschenrechtlichen Lage in ihrem Land. Einmischung in innere Angelegenheiten sei das. Schön für Siemens und andere europäische Mutterfirmen. Sie brauchen nicht mal handelsvertragliche Konsultationen zu befürchten. »In Mexiko gibt es drei unangreifbare Instanzen«, zitiert HWR eine Menschenrechtlerin, »die Jungfrau von Guadalupe, den Präsidenten und die maquiladoras«. Scheint tatsächlich so.