Kann es sein, dass es den Schriftstellern nicht gefällt, Romane zu schreiben, in denen Schwarze die Hauptpersonen sind, oder ist es etwas anderes?", fragt Reyita ihre jüngste Tochter Daisy. Reyita, wie María de los Reyes Castillo Bueno genannt wird, lernte schon als kleines Mädchen, dass Schwarzsein Diskriminierung bedeutet. An Reyes, dem Dreikönigstag, war ihr Geburtstag. Aber Geschenke gab es nie für sie, die nicht nur arm, sondern zu allem Unglück auch noch die schwärzeste der Töchter Isabels war. Geboren wurde sie in Kuba am Anfang des 20. Jahrhunderts. An dessen Ende ist sie endlich eine Hauptperson, dank Daisy, der sie ihr Leben erzählt. Eine Familiengeschichte? Oral history? Ein weibliches Pendant zur "Biografía de un Cimarr
#243;n" von Miguel Barnet, dem 1963 erschienenen klassischen Werk der Testimonal-(Zeugnis-)Literatur? All das und viel mehr.Selbstdarstellungen von Schwarzen, zumal aus der Zeit der Sklaverei, sind selten, in Kuba so gut wie nicht vorhanden. Reyita wundert sich, dass auch nach der kubanischen Revolution nie jemand nachgefragt hat, wie denn ihresgleichen - und gerade die Frauen - den Gang der Ereignisse erlebten. Sie erinnert sich noch, als eine der letzten, an die Schilderungen der 1917 verstorbenen Grossmutter Tatica, an deren Gefangennahme im heutigen Angola, die Überfahrt, das Sklavinnendasein auf den Zuckerplantagen Kubas. Von ihr lernte sie, dass frau sich wehren muss.Als junges Mädchen suchte Reyita den Kontakt zur Schwarzenbefreiungsbewegung des Jamaikaners Marcus Garvey. Das Gemetzel an den Separatisten der PIC, der Unabhängigen Farbigenpartei, im Jahre 1912 kann sie aus hautnahem Miterleben heraus beschreiben und benennt damit einen bis heute wunden Punkt für das offizielle, auf Rassenintegration bedachte Kuba, den Barnets Biographie vorzieht zu "vergessen". In den 50er Jahren trat Reyita der Sozialistischen Volkspartei bei, denn: "Das war alles sehr schön: für die Gleichheit kämpfen, für die Brüderschaft und für die Rechte der Frau." Die Rechtlosigkeit von Schwarzen und von Frauen liegen bei ihr immer eng beieinander. Gegen beide Arten kämpft sie, auch mit Listen der Ohnmacht. So heiratete sie bewusst einen in sie verliebten Weißen, Rubiera, "weil es für schwarze Menschen kaum Wahrscheinlichkeiten der Entwicklung gab". Doch ihr Mann enttäuscht sie, will sie ans Haus fesseln. Sie beschließt daher, ihr Leben auf eigene Faust durchzuziehen, auch wenn sie Rubiera zeitlebens nicht verlässt. Neben ihren acht Kindern sorgt sie für 13 weitere, damit auch sie vorwärtskommen. Sie gibt Grundschulunterricht, näht, verkauft Essen über die Straße, richtet zu Hause ein kleines Esslokal ein, schafft sich einen Ruf als heilende Spiritistin, und beginnt unentwegt wieder von vorn, wenn ihr Mann - mal wieder - entscheidet umzuziehen. Reyita gibt die Plackerei nie auf, denn "wirtschaftliche Unabhängigkeit ist die einzige Weise, frei zu sein". Sie bringt das Geld für Strom im Haus zusammen, für den ersten Kühlschrank, für ein Auto - und muss erfahren, dass ihr Mann es hinterrücks wieder verkauft.Als einige ihrer Söhne in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre in die "Bewegung des 26. Juli" Fidel Castros eintreten, deckt Reyita deren illegale Aktivitäten. Nach der Revolution, erfahren wir, ist sie zeitweilig in der Alphabetisierungskampagne aktiv. Doch die relativ chronologische Darstellung bricht hier ab. Wie Reyita beinahe 40 Jahre Castro-Kuba erlebt hat, ist kaum mehr als angedeutet.Die ordnende Hand der Biographin setzt der "Authentizität" des Zeugnisses, unterstrichen noch durch die dialogische Textform, Grenzen. Das "Testimonio" ist kein historisches Dokument, es kann dieses nur bereichern, Lücken - besonders im Hinblick auf weibliche Erfahrung - schließen. Wie Barnet mit seinem "Cimarrón" die Schwarzen in den Kampf Kubas um die Unabhängigkeit einschrieb, verfolgt auch die Kulturwissenschaftlerin Daisy Castillo eine eigene Absicht. Es war offenbar nicht Zurückhaltung vor dem heiklen Thema Kuba heute, die sie die Beschreibung des Lebensweges hat abbrechen lassen. Die Tochter interessiert etwas anderes: das seltsam schillernde Verhältnis des weißen Vaters zur schwarzen Mutter. Das ist legitim und wird von ihr im Nachwort auch gar nicht verheimlicht. Den Versuch, persönliche Wurzeln des Rassismus zu begreifen, startete die Kulturwissenschaftlerin zusammen mit anderen Frauen aus dem Kommunikationsbereich in dem autonomen Projekt "Magín". 1996 wurde "Magín" nach drei Jahren Arbeit von offizieller Seite "desaktiviert". Ist Frauengeschichte wirklich so subversiv?Daisy Rubiera Castillo, Ich, Reyita. Ein kubanisches Leben, aus dem Spanischen von Max Zeuske, Rotpunktverlag, Zürich 2000, 220 S., 36,- DM.
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