Angst vor einer neuen Republik

Kommentar "Freiheit statt Sozialismus", trompetet Westerwelle

Wenn der FDP-Vorsitzende Westerwelle sagt: "Freiheit oder Sozialismus!", dann weiß er noch genauer als einst Strauß, was er damit meint. Unter Sozialismus versteht er völlig korrekt die Verfügung einer Gesellschaft über ihre Ressourcen durch den planenden, organisierenden und verteilenden Einsatz von politischen Institutionen. Das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln ist nur eine Variante unter vielen. Ein dicht regulierter Arbeits-, Wohnungs- und Kapitalmarkt, Umverteilung durch Progressivsteuern: das könnte man durchaus auch als Sozialismus bezeichnen - die neue Partei "Die Linke" muss es sogar, wenn der von ihren Vorleuten proklamierte "Demokratische Sozialismus" kein Wortgeklingel sein soll.

Hiervor also warnt Guido Westerwelle. Auch von der Freiheit hat er einen klaren Begriff: das ist die ungenierte Entfaltung nicht nur der Privatleute, sondern auch der Wirtschaftssubjekte, also unter anderem weiterer Abbau des Kündigungsschutzes, Beseitigung der Flächentarifverträge und eine weitgehende Abwesenheit von Steuern. Diese Grundsätze werden auch von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft propagiert. Sie wird von der Metall- und Elektroindustrie bezahlt, und Angela Merkel ist ihre Vertrauensperson. Allerdings kann diese nicht so, wie sie es im vorigen Wahlkampf versprochen hat, denn sie hat dafür im September 2005 keine Mehrheit bekommen. Deshalb musste sie eine große Koalition eingehen, und da liegt das Unglück: in der SPD.

Es ist halt eine lange Reise mit Rückschlägen. Schon 1944 hatte sich der Urvater des Marktradikalismus aufgemacht: Friedrich August von Hayek. Er warnte vor dem "Weg zur Knechtschaft". 1947 gründete er die Mont-Pèlerin-Gesellschaft, und von ihr stammt dem Sinne nach der Schlachtruf "Freiheit statt Sozialismus". Ihre Mitglieder wussten, ohne Gramsci gelesen zu haben, was nötig ist: Hegemonie, nicht Putsch. Man musste die großen Volksparteien gewinnen, Sozialdemokraten wie Konservative. Liberale Überzeugungsvereine wie die heutige FDP können da nur als Ideologietrompeter nützlich sein.

In Großbritannien ist in einer mühseligen Arbeit, die mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahm, zunächst die Konservative Partei (Thatcher), dann Labour (Blair) umgekrempelt worden. Mag sein, dass Angela Merkel ihre CDU inzwischen ebenso weit hat. Man weiß es nicht genau. Deutlich schief ging das Manöver in der SPD: dem hoffnungsvollen Herrn Schröder ist es letztlich doch nicht gelungen, die ganze Partei für die Agenda 2010 und Hartz IV zu gewinnen. Der Unterschied zu Blairs zeitweiligem Erfolg liegt nicht in der inneren Beschaffenheit der beiden Parteien, sondern am Wahlrecht. In Großbritannien haben Kleinorganisationen keine Chance. Die SPD verlor schon unter Schmidt an die Grünen, jetzt hat sie die Linke am Hals.

Weil das so ist, irrt Westerwelle vielleicht, wenn er auf einen baldigen Koalitionsbruch spekuliert. Die derzeitige Mehrheit im Bundestag reicht für eine Regierungsbeteiligung der FDP nicht aus. Neuwahlen kann die SPD nicht wollen. Sie kämen nur, falls Merkel sich davon einen Erdrutschsieg versprechen könnte. Gegenwärtig ist der nicht sicher, und es gibt ein Risiko: dann käme die SPD in die Opposition, und die wäre zusammen mit den Grünen und der neuen Linken sogar stark. Man hätte zwar die Mehrheit, aber nicht die Hegemonie.

Wer mehr Geduld aufbringt, verspricht sich vielleicht etwas von einer langsamen Zerlegung der SPD, und zwar durchaus unter indirekter Nutzung der neuen Linkspartei. Vor deren Gründungsparteitag kam Oskar Lafontaine in der FAZ in zwei ausführlichen Interviews (mit Foto) zu Wort. Wird die SPD geschwächt, bliebe sie immer noch groß genug für eine neue Koalition mit der Union. Auf die Dauer wird sie das nicht wollen, aber ihr Schrumpfen ist zunächst einmal gut für die Konservativen. Die Linke würde dann im Parteiensystem wirken wie die Nieren im Körper: sie entsorgt die Abstoffe, die für den ökonomisch-politischen Kreislauf des Kapitalismus nicht benötigt werden.

Dass es auch eine andere Option gibt, ließ sich ebenfalls der FAZ entnehmen: nach der Wahl zur Bremer Bürgerschaft rechnete sie vor, Grüne, SPD und Linke hätten jetzt schon eine Mehrheit. Fänden sie zusammen, gäbe es eine neue Republik. Statt einer Niere haben wir es dann mit dem Motor einer Wende in den "demokratischen Sozialismus" zu tun. Lafontaine sagt es poetischer: Das Herz schlägt links. Welche Variante ist wahrscheinlicher? Hierüber macht sich jetzt so mancher seine Gedanken und behält sie für sich.

Georg Fülberth ist Buchautor und Politikwissenschaftler.


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