Braut zu verkaufen

Chefredakteurswechsel bei der "Frankfurter Rundschau" Der journalistische Erfolg war von der Geschäftsführung offenbar nicht gewollt

Am 16. Mai wurde der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau (FR), Wolfgang Storz, mit sofortiger Wirkung von seinem Amt entbunden. Nachfolger wird Uwe Vorkötter von der Berliner Zeitung. Nach zwei Stunden Showdown verließ Storz das Haus, sein E-Mail-Account wurde gekappt. Eine Mitteilung, die die Geschäftsführung ins Blatt rückte, enthielt die Bemerkung, die Beteiligten hätten vereinbart, "keine weiteren Erklärungen abzugeben".

Die Redaktion lehnte sich auf. Im Konflikt mit der Geschäftsleitung setzte sie den Abdruck einer eigenen Stellungnahme durch: sie billige die Entlassung des Chefredakteurs nicht. Er habe die Frankfurter Rundschau mit großem Engagement und erfolgreich durch die schwierigste Zeit ihrer Existenz geführt. Ihm gelte Dank und Respekt der Redaktion. Damit war allerdings zugleich auch schon gesagt, weshalb er gehen musste. Mehrheits-Eigentümerin der Frankfurter Rundschau ist die SPD-Holding "Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft" (DDVG). Ihr ist längst nicht nur dieser Chefredakteur zu viel, sondern das ganze Blatt.

Als Storz im Oktober 2002 die Leitung der Frankfurter Rundschau übernahm, war diese einerseits in einer ähnlichen Krise wie andere Printmedien auch, andererseits steckte sie noch tiefer in der Tinte. Anspruch und Leistung passten an mehreren Ecken und Enden nicht mehr zusammen. Storz sagte seinen Kollegen, dass er ihnen fast nichts zu bieten habe außer Einschränkungen - und einem Konzept. Dies war allerdings interessant: Die regionale Komponente sollte gestärkt werden, nicht nach einem kommunalpolitischen Gießkannenprinzip, sondern mit lokalen und thematischen Schwerpunkten: die fünf hessischen Hochschulorte und das, was dort gedacht und experimentiert wird. Bundesweit sollten die Segmente links von der Mitte angesprochen werden. Jeden Tag gab es eine Themen-Beilage.

Nicht nur Revolutionen, sondern auch scharfe Reformen haben den Nachteil, dass man zwar neue Anhänger gewinnen kann, aber zugleich alte verprellt. Da gerät man zwischendurch auch einmal dicht ans Kentern. Die Frankfurter Rundschau musste sich mit einer Bürgschaft der CDU-geführten Landesregierung helfen lassen. Schließlich übernahm die SPD-Holding 90 Prozent der Anteile. Sie versicherte: die Unabhängigkeit des Blattes bleibe schon deshalb gewahrt, weil man mit ihm nur Geld verdienen wolle. Das Aufatmen, welches daraufhin einsetzte, war verfrüht.

Wer langfristig aus einem krisengeschüttelten Unternehmen nachhaltigen Gewinn ziehen will, muss zunächst einmal investieren. Die DDVG aber verstand unter "Geld verdienen" etwas anderes: sie wollte die Frankfurter Rundschau möglichst schnell mit einem Plus wieder verkaufen. Als Müntefering von Heuschrecken sprach, hätte er im eigenen Einflussbereich eine entdecken können. Der tüftelnde Wolfgang Storz störte enorm. Die Links-Öffnung seiner Zeitung war das Gegenteil dessen, was man unter Finanzleuten meint, wenn man sagt, vor dem Verkauf müsse "die Braut geschmückt" werden.

2005 konnte eine leichte Zunahme der abgesetzten Exemplare der Frankfurter Rundschau erzielt werden. Das wäre doch etwas zum Vorzeigen gewesen. Die Triumphmeldung blieb aus, weil Storz schon seit längerem dafür gesorgt hatte, dass eine Unehrlichkeit früherer Zeiten korrigiert wurde. Nicht nur Insider wissen Folgendes: Bei manchen Zeitungen ist die offiziell bekannt gegebene Auflage höher als die verkaufte. Sollen die Anzeigenkunden hinters Licht geführt werden, druckt man zwar viele Exemplare, gibt sie aber anschließend in den Schredder oder legt sie in Flugzeugen und Hotel-Foyers aus. Storz näherte stattdessen in Fünftausender-Raten die deklamierte Auflagenhöhe der realen an. Zuletzt wurde diese dann mit 161.301 angegeben - de facto mehr als früher, aber weit unterhalb der einstigen Fiktion. Das freut keine Heuschrecke.

Dass die Frankfurter Rundschau unter Wolfgang Storz schon eine richtig gute Zeitung geworden wäre, wird er selbst nicht behaupten. Seine Abneigung gegen Kampagnen-Journalismus war fast schon übertrieben. Dass innerhalb eines als "linksliberal" bezeichneten Spektrums nahezu jede präsentierte Meinung mit einer Gegenposition ausbalanciert wurde, konnte als beliebig erscheinen. Entscheidend aber ist etwas Anderes: der journalistische Erfolg wurde von der Geschäftsführung nicht gewollt. Sie war nur an einer Abwicklung interessiert.

Jetzt aber soll sich doch wieder etwas ändern. Vorbild ist das sogenannte "Stuttgarter Modell": ein Regionalblatt, das auswärts allenfalls noch durch eine abgespeckte Berliner Redaktion präsent ist. Da die bundesweite linke Diaspora sich nicht in Frankfurt konzentrieren lässt, wird man auf sie wohl verzichten.

In Stuttgart - dort war Uwe Vorkötter vor seiner Berliner Zeit - funktioniert das. Für Frankfurter Lokalpatrioten aber gibt es jetzt schon die Frankfurter Neue Presse. Und wenn die FR überhaupt nicht mehr links ist, könnte für Anspruchsvolle die konservative FAZ am Ende sogar das kleinere Übel sein.


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