Im Wahlkampf haben CDU, CSU und FDP in Aussicht gestellt, nach ihrem Sieg die Steuern zu senken, alte Schulden abzubauen und keine neuen mehr zu machen. War das ein Versprechen oder eine Drohung?
Da es immerhin eine Wahlkampf-Losung war, hat man sich offenbar ausgerechnet, die Ankündigung werde in breiten Kreisen begrüßt werden. „Mehr Netto vom Brutto“ zielte nicht so sehr auf die ganz Reichen (die wussten wohl ohnehin, für wen sie stimmen würden), sondern auf Mittelständler und Menschen in festen Arbeitsverhältnissen. Wer keine Einkommen- oder Lohnsteuern zahlen kann, weil er nichts verdient, dürfte von der Ankündigung nicht erbaut gewesen sein. Aber diese Schicht überließ man gern der Linkspartei und wusste auch: nur eine Minderheit der Armen würde eine solche Wahloption wahrnehmen. Den sozial bereits Abgehängten traut man nicht viel Einsicht in ihre eigene Lage oder gar Handlungsfähigkeit zu.
Steuern runter und gleichzeitig keine Kreditaufnahme, und doch leben die meisten Menschen besser: Geht das überhaupt? Im Prinzip ja: nämlich in Zeiten hohen Wachstums. Ludwig Erhards Reden vom „Wohlstand für alle“ bei so wenig Staat wie möglich hatte einst ein gewisses Maß von Evidenz für sich, bezeichnete jedoch auch schon damals mehr Ideologie als Realität. Lastenausgleich und Rentenreform waren Sozialpolitik, nicht nur Marktergebnisse.
Tischlein-deck-dich
2009 aber konnten die schwarz-gelben Wahlkämpfer nicht auf ein aktuell hohes Wachstum verweisen, das schon alles richten werde. Zum Glück gibt es Ökonomen. Einer von ihnen heißt Arthur B. Laffer und hat eine nach ihm benannte Kurve erfunden. Die zeigt: Sind die Steuersätze niedrig, steigen die Steuereinnahmen. Begründung: es werde viel investiert und eingekauft. In der Wirklichkeit hat man dieses Tischlein-deck-dich noch nicht so recht angetroffen. Aber auch dafür findet sich eine Erklärung: Die Steuersätze seien eben bisher fast immer zu hoch und die Staatseinahmen deshalb leider am Boden geblieben. Man sieht: An innerer Logik fehlt es der Regierung nicht völlig. Ihr Problem besteht aber darin, dass zeitlose Modelle in konkreten, oft doch recht kurzen Fristen ihre Leistungsfähigkeit beweisen müssen. 1929 rieten die Mainstream-Ökonomen, die Weltwirtschaftskrise einfach auszusitzen. Brüning in Deutschland und Hoover in den USA folgten ihnen. Keynes aber spottete: „In the long run we are all dead“ – auf lange Sicht sind wir alle tot. Der Reichskanzler und der US-Präsident scheiterten. Es kamen Hitler und Franklin D. Roosevelt.
Die Sache hat also einen demokratietheoretischen Haken: Die Wahlperioden sind so schrecklich kurz. Rosskuren, wenn sie überhaupt anschlagen sollen, brauchen etwas länger, und bis dahin sind Kahlschlag-Reformer vielleicht schon aus ihren Ämtern vertrieben. In Deutschland wird dieses Problem durch den Föderalismus verschärft. Fast ständig wird irgendwo gewählt. Dass dies 2010 etwas seltener sein wird, hat den Mut der Bundesregierung wohl noch bestärkt. Wenn nur nicht Nordrhein-Westfalen wäre! Offenbar schätzt Schwarz-Gelb aber die SPD dort inzwischen als so schwach ein, dass man meint, sich ein steuerpolitisches Abenteuer leisten zu können. Die schon seit Längerem anhaltende Tendenz zur Ausweitung der Wahlperioden von vier auf fünf Jahre in den Ländern und Kommunen zeigt eine Tendenz an, das Volk nicht mehr so oft wie früher zu fragen.
Tiefer Schluck aus der Flasche
Beim Konflikt zwischen sparsamer Haushaltsführung und Steuersenkung siegt jetzt zunächst einmal die Kreditaufnahme. Das bringt den Bundesrechnungshof, eine strukturell konservative Institution, in Rage. Offensichtlich genehmigt sich die Regierung noch schnell einen tiefen Schluck aus der Flasche, bevor ab 2011 die ins Grundgesetz eingebaute Schuldenbremse zu greifen beginnt und 2016 der Fiskus überhaupt nichts mehr leihen darf. Diese Bestimmung kann man wohl ohnehin vergessen, und das ist gut so: ein Staat, der kein Geld einnehmen und ausgeben kann, wäre abgeschafft. Genauer: die knappen Mittel reichten dann allenfalls für Polizei und Militär.
Das ist eine altliberale Utopie. An ihr wird festgehalten. Vielleicht wird der Bundesrechnungshof mit seinen Warnungen auf längere Sicht sogar der Sieger sein, und dies liegt im Interesse der Marktradikalen. Wenn die Angst vor Staatsverschuldung und Inflation erst einmal groß genug ist, wird tatsächlich gespart werden: an der Infrastruktur und den Sozialausgaben. Es beginnt sogar jetzt schon. Die Ausfälle der Einkommensteuer treffen aktuell die Länder und Kommunen. Dort werden Schulen gebaut und Lehrer bezahlt – oder eben auch nicht.
Dies ist Klientelpolitik, die Fortsetzung einer Umverteilung von unten nach oben. Als 2008 die Öffentliche Hand Zockergewinne sicherte, indem sie Verluste auffing, schuf sie die Voraussetzungen dafür, dass die Schwächeren in Zukunft dafür würden zahlen müssen. Jetzt – 2009/2010 – wird damit weitergemacht. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist ein Besserverdienenden-Selbstbedienungsgesetz. Indem der Schwanz – eine abhebende Oberschicht – mit dem Hund wackelt, stellt sich allmählich die Frage, ob die Union die Hoffnung, auf Dauer Volkspartei bleiben zu können, schon aufgegeben hat.
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