Die wichtigsten Entscheidungen waren schon gefallen

Wahlen 1949 Mit der Forderung nach Sozialisierung wichtiger Industrien verlor die SPD überraschend klar die erste Bundestagswahl nach dem Krieg

Einige Jahre später hatte man es endlich begriffen: Bonn ist nicht Weimar lautete der Titel des 1956 erschienenen Polit-Bestsellers von Fritz René Allemann. 1949 schien das noch nicht völlig sicher. 1945 hatte sich die amerikanische Besatzungsmacht – eingedenk der Gründung des Ku-Klux-Klan in ihren 1865 besiegten Südstaaten – auf die Bekämpfung einer Werwolf-Guerilla eingestellt. Das blieb aus. Doch die Westalliierten bewachten argwöhnisch die Entstehung des Grundgesetzes und den Vollzug des diesem beigegebenen Wahlgesetzes. Immerhin waren die Entnazifizierten inzwischen wieder stimmberechtigt.

In stilistischen Einzelzügen mochte der erste Bundestagswahlkampf denn auch zugleich wie der letzte Reichstagswahlkampf der Weimarer Republik erscheinen. Noch wurde das Publikum nicht vom Fernsehen in Stimmung gebracht. Dies besorgten die traditionellen Saalveranstaltungen. Kundgebungen unter freiem Himmel waren seltener und brachten offenbar nicht viel. Auf dem Frankfurter Römer hatte der KPD-Vorsitzende Max Reimann größeren Zulauf als die Konkurrenz, aber an der Wahlurne zahlte sich dies nicht für ihn aus. Im Saal gab es immer wieder einmal Randale, in Niederbayern wurde ein Kommunist nach einer Wahlversammlung erstochen.

Die Frontleute der beiden größten Parteien gehörten zum Weimarer Personal: der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer für die neugegründete CDU und der frühere SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher. Beide waren Meister der Diffamierung. Schumacher titulierte Adenauer als eine Null, die von Klerus und Plutokratie aufgeblasen werde. Der so Angegriffene legte maliziös nahe, die Sozialdemokraten seien doch mit den Kommunisten verwandt. Mit seinem Hinweis, schließlich habe sich in der Sowjetischen Besatzungszone die SPD mit der KPD zur SED vereinigt, brachte er Schumacher zur Weißglut.

Die Wählerschaft sortierte sich erst. Noch gab es zwei Blöcke aus der Weimarer Zeit: die Katholiken und die Arbeiterschaft. Erstere entliefen nördlich des Mains der Zentrumspartei (sie erhielt noch 3,1 Prozent und zehn Mandate) und gingen zur CDU über. Diese hatte von jener Vorgängerin auch eine kräftige christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft übernommen. Im Süden sammelte sich der politische Katholizismus in der CSU. Die Gewerkschaften standen mehrheitlich zur SPD.

Diese alten Truppen allein reichten nicht aus. Es gab noch nicht die Fünf-Prozent-Klausel, und so schafften es elf Parteien in den Bundestag. Hinzu kamen ein paar Unabhängige. Einschließlich der FDP war der Anteil der Kleinen an den Mandaten so groß wie jeweils derjenige von SPD und Union: etwa ein Drittel.

Wer gewinnen wollte, musste der Tatsache Rechnung tragen, dass man es mit einem Volk von ehemaligen Hitler-Wählern und von früheren Mitgliedern nationalsozialistischer Massenorganisationen zu tun hatte. Ausländische Beobachter waren erschrocken über die schrillen nationalistischen Töne im Wahlkampf, besonders bei Schumacher. Die CDU dürfte wohl schon damals die meisten Ehemaligen auf sich gezogen haben.

Aber inzwischen hatte schon eine andere Zukunft begonnen, und die Bundestagswahl von 1949 wurde vor allem zum Plebiszit über Entscheidungen, die bereits vorher getroffen worden waren.

Die erste war die vorläufige deutsche Teilung, die der US-amerikanische Außenminister James F. Byrnes schon 1946 angekündigt hatte. Fortan galt: Wer sich am schnellsten auf die neue Situation einstellte, hatte gewonnen. Das war Adenauer. Zwar hatte Schumacher schon im Herbst 1945 die West-SPD von der Ost-SPD getrennt, aber er hielt länger an einer gesamtdeutschen Lösung fest und blieb hinter dem Westabmarsch der CDU immer weiter zurück.

Ebenso wichtig war die Akklamation zu einer Entscheidung von 1948: Zeitgleich mit der Währungsreform hatte Ludwig Erhard, der Direktor für Wirtschaft in der US-amerikanisch-britischen Bizone, die Kriegsbewirtschaftung aufgehoben und die Weichen gegen die Planwirtschaft, für die Marktwirtschaft gestellt. Er war der Star des Bundestagswahlkampfs. Als Parteiloser kandidierte er – zur Enttäuschung der FDP – für die CDU. Mit ihren 1949 beschlossenen marktwirtschaftlichen „Düsseldorfer Leitsätzen“ beförderte diese ihr Aalener Programm von 1947 ins Archiv.

Die SPD prophezeite ein Desaster und forderte stattdessen Sozialisierung und Planwirtschaft. Die Popularität dieser Idee hatte da ihren Höhepunkt längst überschritten. Den hatte sie im strengen Winter 1946/47 erreicht. Am 2. Dezember 1946 hatten mehr als 71 Prozent der Wähler in Hessen für die Sozialisierung wichtiger Industrien gestimmt. Der US-amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay suspendierte den Enteignungsartikel der Verfassung bis zu einer künftigen gesamtdeutschen Lösung. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen kämpfte Adenauer zäh, hinhaltend und listig gegen einen Beschluss zur Sozialisierung der Bergwerke. Auch hier wurde der Vollzug aufgeschoben – letztlich bis zum Sankt Nimmerleinstag. An der britischen Besatzungsmacht hatte die SPD keine Stütze. Zwar führte Labour zu Hause umfangreiche Sozialisierung durch, aber Großbritannien war infolge des Krieges faktisch pleite und musste sich ausgerechnet im Winter 1946/47 unter wirtschaftspolitisches Kuratel der USA stellen. Dann kam 1947 der Marshallplan. Als die Gewerkschaften ihn akzeptierten, wussten sie, dass dies die Entscheidung für den Kapitalismus bedeutete. Der Rest war Rhetorik.

Erhard hatte es danach leicht. Er verwies darauf, dass es seit 1948 doch schon ganz schön vorwärts gegangen sei und behauptete, Planwirtschaft habe man gerade gehabt: unter Hitler. Es gebe sie auch noch und schon wieder: in der sowjetischen Besatzungszone. Die SPD versuchte sich davon abzusetzen, hatte dann aber nichts Konkretes mehr vorzuweisen. Immerhin: in Hessen hatte es Diskussionen über die Umsetzung des Enteignungsartikels gegeben. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Harald Koch entwickelte ein flexibles Modell aus genossenschaftlichem und Landeseigentum unterhalb der Vollverstaatlichung. Schumacher aber hörte nicht auf Landespolitiker, und die Ministerpräsidenten, Landräte und (Ober-)Bürgermeister der amerikanischen Zone mussten sehen, wie sie mit der Besatzungsmacht klar kamen. Wenn der Wirtschaftspolitiker der SPD, Erik Nölting, 1928-1933 Landtagsabgeordneter in Preußen, den Dritten Weg zwischen Ulbricht und Erhard erläutern wollte, wirkte er wieder einmal wie ein Mann von gestern: Weimar.

Die Auszählung in der Nacht nach dem Wahltag (14. August) war langwierig. Am 15. vormittags erst stand fest: CDU und CSU hatten 31 Prozent, die SPD kam auf 29,2. Der Gewerkschaftsflügel der Union hätte eine große Koalition gern gesehen. Adenauer und Schumacher waren dagegen, ihnen ging es um eine grundsätzliche Auseinandersetzung für die Zukunft. Dabei hatten CDU und CSU die besseren Aussichten: Sie haben in den fünfziger Jahren fast alle kleineren bürgerlichen Parteien (mit Ausnahme der FDP) oder doch deren Wählerschaft aufgesaugt. Der Hinterhof der SPD war kleiner: die KPD hatte nur 5,7 Prozent (15 Mandate) bekommen, ein sehr überschaubares zusätzliches Potential. Dass die Kanzlermehrheit im September nur mit Adenauers eigener Stimme zustande kam, täuschte. Dahinter stand mehr.

Eine Richtungswahl? Ja und nein. Die wichtigsten Entscheidungen waren seit 1946 schon von den Westalliierten und den nur wenig ramponierten bürgerlichen Eliten getroffen worden. 1949 wurde das Volk zur Bestätigung an die Urne gerufen. Damit war allerdings die Richtung für Jahrzehnte festgelegt.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden