Gelbe Gefahr für Grüne Socken

LANDTAGSWAHLEN NRW Jürgen Möllemann stärkt den Kanzler für die Wahl 2002

Noch am Freitag vor der NRW-Wahl hatte der Kanzler im Bundestag viel gelacht. Gute Laune ist nützlich für die Prognosen, deshalb haben die Berater ihrem Klienten wohl empfohlen, er solle lustig sein. Das Pech der CDU verhieß der SPD Gutes. Die Sache mit dem Schwarzgeld wirkte immer noch, zumal die Sitzungen des Untersuchungs-Ausschusses von dessen Mehrheit zeitlich so platziert wurden, dass man vor der Wahl besonders viele CDU-Politiker in der Tagesschau schwitzen sehen konnte.

Bis Mitte Mai schien auch die Flugaffäre ihren Stachel für die SPD verloren zu haben. Wurde sie erwähnt, lag sofort der Vergleich mit jener anderen, doch so viel größeren Verfehlung nahe. Wenn die CDU Belege für irgendwelche Gefälligkeiten der Westdeutschen Landesbank verlangte, stellte sich beim Publikum je länger desto mehr der Eindruck ein, sie wolle von der eigenen Affäre ablenken. Insofern wirkten diese Angriffe nach einiger Zeit wie ein Bumerang, und man ließ sie lieber sein, allerdings zu spät.

Die Kampagne der CDU und der Grünen gegen den sogenannten roten Filz in NRW muss von einer schlecht bezahlten PR-Agentur organisiert worden sein. Damit ist schon 1980 der Spitzenkandidat Biedenkopf gescheitert. In diesem sozialdemokratisch geprägten Land haben nicht alle Menschen etwas gegen Zustände, von denen der eine oder die andere sich hier und da auch einmal einen Vorteil für sich selbst verspricht. Wer dagegen agitiert, wird dann schon einmal als Feind der kleinen Leute angesehen, der unbedingt den Betriebsprüfer in die Wohnküche schicken will. (Natürlich beruht dieses Wir-Gefühl auf einem Klischee.) Die Kommunalwahl 1999, mit der tatsächlich örtliche Korruption abgestraft wurde, erscheint eher wie eine deutliche Aussprache im Familienkreis, die Außenstehende nichts angeht.

Nahm man all dies zusammen, dann konnte man auf die Vorhersage verfallen, die SPD habe gute Aussichten, ihre absolute Mehrheit in Nordrhein-Westfalen, die sie ja erst 1995 verloren hatte, wiederzugewinnen. Die strahlende Sonne über der Berliner Reichstag-Kuppel war das Symbol ihres Wahlkampfs. Als die Stimmen ausgezählt waren, hatte sie sich leicht eingetrübt. Das Reden von der absoluten Mehrheit war nur Teil des Wahlkampfs gewesen. Die SPD konnte ihren Einbruch von 1995 nicht wettmachen, die damalige Abwärtstendenz hat sich fortgesetzt.

Gewiss hat die CDU nicht gewonnen, aber jede der beiden Regierungsparteien hatte weit größere Einbußen als sie. Möllemann und Westerwelle sagten sofort, was sie sagen mussten: Wird diese Verbindung fortgesetzt, ist es zunächst einmal eine Koalition der Verlierer. Der weitere Rückgang der Wahlbeteiligung scheint zu zeigen, dass die Leute eigentlich niemanden so recht gewinnen lassen wollten. Die FDP sammelte die Denkzettel.

Wichtiger als die aktuellen Zahlen sind ein paar allgemeinere Tendenzen, die sich im Wahlergebnis abzeichnen. Dass Rüttgers' Parole: "Kinder statt Inder!" nicht verfing, könnte Nachahmer fernhalten. Es zeigt sich, dass Kochs Masche nicht immer zieht, sondern wohl nur dann, wenn ein paar andere Voraussetzungen - etwa damals die ohnehin schlechte Performance von Fischers Erbengemeinschaft in Hessen - dazukommen.

Nach Rühe und Schäuble ist mit Rüttgers nunmehr der Dritte aus der Riege der ehemaligen potenziellen Kohl-Nachfolger verbrannt. Der personellen Erneuerung der CDU steht von daher wirklich nicht mehr viel im Weg. Es könnte aber sein, dass ihre gegenwärtige Spitze durch das jetzige Ergebnis schon wieder beschädigt ist. Dann wäre Frau Merkel nur ein Medien-Ereignis für den - nun eben verlorenen - Wahlkampf gewesen.

Noch einmal bestätigte sich eine föderale Doppelstruktur, die sich seit den fünfziger und sechziger Jahren herausgebildet hat: Was für die CDU/CSU Bayern ist, bedeutet - mit kräftigen Abstrichen - NRW für die SPD. Beides hat immer auch bundespolitische Bedeutung gehabt, wobei die Sozialdemokratie vorerst besser dran ist: In Düsseldorf sitzt - anders als in München - keine heimlich lauernde und immer wieder einmal quertreibende Konkurrenz. Rücksicht auf Berlin wird auch das Verhalten Clements in der Koalitionsfrage bestimmen.

Dass Politik kein Leistungssport ist, beweist - trotz Möllemanns Fallschirmsprüngen - der Erfolg der FDP. Nach zwanzigjähriger Abwesenheit kam sie wieder in den Landtag, ohne dass man sagen könnte, was sie dafür getan hat. Das sollte die Grünen trösten. Die haben zwar kräftig verloren (und mit ihnen Frau Höhn, deren Niederlage zeigt, dass Solidität im Wahlgeschäft wenig bedeutet); aber auf eine Baisse folgt vielleicht wieder eine Hausse. Wahlkonjunkturen erinnern inzwischen stark an das Börsen-Geschehen - dort sind Pleiten seltener als im sonstigen Leben.

Wieder einmal haben Verluste seiner Partei und der Grünen den Kanzler gestärkt. Setzt sich Möllemann in der Bundes-FDP durch, hat Schröder im Wahlkampf 2002 an jeder Hand einen potenziellen Koalitionspartner. So komfortabel lebte bisher keiner seiner Vorgänger.

Die 1,1 Prozent für die PDS könnten ein Achtungserfolg sein, brächte ihre Führung den Realitäts-Sinn auf, das selbst so zu sehen. Jedenfalls war Schlimmeres zu befürchten. Wer vom Osten her im Westen ankommen will, muss erst einmal verstehen, wie schwer, ja nahezu unmöglich das ist.

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