Die Beschränkung des Bundespräsidenten-Amtes aufs Repräsentative gehört zu den Reaktionen des Grundgesetzes auf das Scheitern der Weimarer Republik. Ein zweiter Hindenburg - ausgestattet mit strammen Befugnissen für den Ausnahmezustand - sollte nicht mehr möglich sein.
Weil das so ist, haben die Wahlen für diesen Posten nie etwas entschieden. Sie waren Ausdruck entweder eines bereits vorher bestehenden Kräfteverhältnisses oder sich erst anbahnender Verschiebungen. Letztere ergaben sich auch daraus, dass nicht nur die zentralstaatliche Ebene beteiligt ist. Die Hälfte der Mitglieder der Bundesversammlung kommt aus den Landtagen. Diese werden oft in gegenläufiger Tendenz zum Bundestag gewählt. Erinnern wir uns: Rot-Grün hat in den Ländern seit 1998 meist verloren, 2002 im Bund aber wieder gewonnen. Die Präsidenten-Wahl ist das Ergebnis sehr gemischter Vor-Prozesse. Das gibt der Entscheidung über die Rau-Nachfolge einen zusätzlichen Geschmack von Belanglosigkeit - eine Prognose für 2006 lässt sich daraus nicht gewinnen. Immerhin zeigt die Mehrheitsverlagerung in der Bundesversammlung seit 1999, dass auf regionaler Ebene das bürgerliche Lager wieder viel Boden gutgemacht hat. Darauf, dass dies 2006 noch einmal durch ein Hochwasser, die Opposition gegen ein US-amerikanisches Kriegsprojekt und geschickte Wahlcoups wettgemacht werden kann, wird niemand wetten wollen.
Nur zweimal in der Vergangenheit hatte die Kür des Bundespräsidenten eine besondere Bedeutung.
Zunächst 1949. Die Entscheidung für Theodor Heuss (FDP) nahm die kurz darauf installierte Bürgerblock-Regierung vorweg. Eine bis dahin diskutierte Variante: Große Koalition entfiel. Beide Hauptkontrahenten der damaligen westdeutschen Politik - Adenauer (CDU) und Schumacher (SPD) - haben das so gewollt. Deshalb kandidierte der SPD-Vorsitzende demonstrativ und bewusst erfolglos gegen Heuss: es war der erste Akt seiner intransigenten Opposition.
Die zweite interessante Wahl kam 1969. Seit Anfang der sechziger Jahre hatte sich in den Ländern ein Vormarsch der SPD angebahnt, obwohl sie die Bundestagswahl 1961 und 1965 verlor. Den Ausschlag für einen Kanzler Brandt im September/Oktober 1969 brachte allerdings nicht der sozialdemokratische Zuwachs, sondern der Seitenwechsel der FDP. Dieser hatte sich bereits im März mit der Stimmabgabe der (meisten) Freidemokraten für einen sozialdemokratischen Bundespräsidenten (Gustav Heinemann) angekündigt.
2004 wirkt die FDP nicht durch eine strategische Entscheidung, sondern durch Wichtigtuerei. Ihr Fuchteln mit einer eigenen Präsidentschaftskandidatur hat allenfalls die Funktion, einen Klärungsprozess in der Union voranzutreiben. Diese hat den ersten Zugriff auf dieses Amt, kann die Chance aber noch verstolpern.
Zwischendurch war Klaus Töpfer (CDU) sozusagen der Kandidat von Gerhard Schröder (SPD). Der Kanzler machte damit wieder einmal eine politische Option sichtbar, die er auch in der Vergangenheit dann und wann hatte durchblicken lassen: eine entweder offizielle oder (wahrscheinlicher) informelle Große Koalition. Soweit unter der zweiten Variante Übereinstimmung in den wichtigsten Sachfragen zu verstehen ist, gibt es sie ja schon.
Wolfgang Schäuble wäre der Kandidat der CDU-Altkader, die dadurch eine Art Rehabilitation für den Finanzskandal von 1999 erhielten. Vielleicht geht das gerade deshalb nicht.
Ließe sich Stoiber von München wegloben, wäre das vielfältig interpretierbar. Schon dass es immerhin von der CDU-Vorsitzenden versucht wurde, kann zur Kaffeesatzleserei verführen. Angela Merkel wäre dann einen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur 2006 los. Wichtiger ist die Richtungsentscheidung. Edmund Stoiber - in Fragen der inneren Sicherheit und soziokulturell gewiss ein Rechter - steht in der Wirtschafts- und Sozialpolitik links von der Koalition. Als Ministerpräsident weiß er, dass ein Staat, dessen oberste Doktrin daraus besteht, nichts einzunehmen und nichts auszugeben, auf Dauer nicht funktionieren kann. In der Gesundheitspolitik stellte er sich gemeinsam mit Seehofer vor die gesetzlichen Kassen, die von Schröder ausgehungert werden. Der CDU-Vorsitzenden kann das nicht gefallen, denn sie ist gerade dabei, das Profil der Union neoliberal zu schärfen. Stoiber könnte dabei weit mehr stören als Blüm. Als Bundespräsident nervt er da weniger, im Gegenteil: Rau hat in seiner Weihnachtsrede dem Sozialabbau zwar nicht explizit widersprochen, aber ein bisschen warmherziges Kontrastprogramm geboten: Markt sei nicht alles. Stoiber könnte das auch.
Aber warum sollte er? Eine Imitation der FDP durch die Union gäbe das Volkspartei-Konzept preis. Die Umfrage-Tiefs der SPD zeigen, dass man das besser nicht tun sollte. Außerdem ist der Job des bayerischen Ministerpräsidenten wichtiger als der des Bundespräsidenten.
So wird die Kandidaten-Vorauswahl wohl doch nicht einmal eine Klärung in der Union bringen. Es geht diesmal buchstäblich um nichts. Das spräche dann doch für einen FDP-Präsidenten (oder eine liberale Präsidentin).
Auf jeden Fall bleibt es langweilig.
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