Leutheusser wer? – so fragte ein Politiker, dessen Name sich mittlerweile kaum noch ermitteln lässt, als 1992 die FDP-Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Bundesministerin der Justiz ernannt wurde. Die Neue – erst seit 1990 war sie Abgeordnete – verschaffte sich schnell Respekt: durch ihre Amtsführung und durch ihren Rücktritt 1995. Sie war gegen die Bundestagsmehrheit und den CDU-Innenminister Kanther unterlegen, die den Großen Lauschangriff durchsetzten. Am bittersten für sie war, dass sie auch in ihrer eigene Partei bei einer Mitgliederbefragung über dieses Thema in der Minderheit blieb. Das Ende der FDP als Bürgerrechtspartei schien gekommen. Sie profilierte sich in der Folgezeit stattdessen als marktradikale pressure g
e group für die Besserverdienenden.Sabine Leutheusser-Schnarrenberger klagte zusammen mit den ebenfalls inzwischen in den Hintergrund geratenen FDP-Politikern Gerhart Baum und Burkhard Hirsch vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz über den Großen Lauschangriff und gewann 2004. Im Übrigen arbeitete sie als politische Trümmerfrau: 1998 wurde sie zur Vorsitzenden der bayerischen FDP gewählt, die in einer Finanzaffäre unterzugehen drohte, 1994 aus dem Landtag geflogen war und ohne Chance auf Wiederkehr war. 2008 aber waren beide wieder da: die Partei und ihre Landesvorsitzende. Die FDP zog nicht nur in den Landtag ein, sondern sogar ins Kabinett, und bei den Koalitionsverhandlungen nach dem Sieg bei der Bundestagswahl 2009 machte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine bessere Figur als ihr Vorsitzender Westerwelle und der Finanzexperte Solms. Sie vertrat ihre Position gegen Wolfgang Schäuble, und in dieser Arbeitsgruppe hat es wenig geknirscht. Einer der Gründe: es musste nicht um Geld gestritten werden. Die FDP-Unterhändlerin ist dabei, ihr Comeback zu vollenden.All dies ließe sich als die erstaunliche Karriere einer standhaften Person beschreiben, und ein Thema für Emma ist es allemal. Zugleich geht es um die Chance für eine Erneuerung der FDP. Es könnte nämlich sein, dass diese Partei am 27. September einen Pyrrhus-Sieg errungen hat. Sie gewann Prozente und steht in Gefahr, das Gesicht zu verlieren: Ihr marktradikales Programm ist utopisch. Falls es überhaupt Steuersenkungen geben wird, werden sie weit hinter dem zurückbleiben, was Westerwelle trompetend verlangt hatte. Dass er irgendwann einmal die Einschränkung der gewerkschaftlichen Mitbestimmung gefordert hatte, möchte er derzeit wahrscheinlich am liebsten vergessen machen. Auch an den Kündigungsschutz wird nicht gerührt. Die Kanzlerin hat nämlich andere Prioritäten: Jürgen Rüttgers soll 2010 die NRW-Landtagswahl gewinnen. Die Aufstockung des Schonvermögens für Dauerarbeitslose wird ihm gefallen. Sie ist allerdings auch ein Bonbon für die FDP: wenn Lebensversicherungspolicen von Hartz IV-Betroffenen nicht mehr aufgebraucht werden müssen, dann kann die einschlägige Finanzdienstleistungs-Branche weiter für den Abschluss kapitalgedeckter Altersvorsorge werben, indem sie auf die Lücken im Rentensystem hinweist. Die Neuregelung wird nur 0,2 Prozent aller Bezieher von Arbeitslosengeld II erreichen. So klein ist der Spielraum für einvernehmliche Lösungen, sobald es um haushaltswirksame Entscheidungen geht. Für die Bezahlung der großen Ankündigungen der FDP ist kein Geld da, und die CDU will Volkspartei bleiben.Die Lage der liberalen Wahlsieger ist also gegenwärtig keineswegs komfortabel. Ihre Zugewinne verdankt sie marktliberalen CDU-Anhängern, die ihrer angeblich sozialdemokratisierten Kanzlerin einen Denkzettel verpassen wollten. Erfüllt Westerwelle deren Hoffnungen nicht, werden sie ihm den Kredit entziehen. Verluste an dieser Flanke werden sich kaum vermeiden lassen.Da empfiehlt sich die Wiederentdeckung eines lange Zeit etwas vernachlässigten Fachgebiets der FDP: liberaler Rechtsstaat und Bürgerrechte. Leutheusser-Schnarrenberger könnte hier etwas zurückgewinnen. Sie wollte – zusammen mit Baum und Hirsch – auch gegen das von der großen Koalition beschlossene Gesetz zur Vorrats-Datenspeicherung klagen. Jetzt muss sie das vielleicht nicht mehr: sie hat Schäuble ein bisschen davon wegverhandelt. Die Neuprofilierung der FDP als Rechtsstaats- und Bürgerrechtspartei ist für diese Politikerin gewiss keine taktische Angelegenheit, aber sie ist auch aus Konkurrenzgründen sinnvoll. Nicht nur die Grünen haben sie hier zuweilen überholt, es gibt jetzt auch die Piratenpartei mit ihren zwei Prozent. Sie hat die höchste Kompetenz für die Sicherung individueller Freiheiten im Internet. Leutheussser-Schnarrenberger drängt ebenfalls in diese Lücke. Sie ist gegen Zensur, die Kinderpornografie zum Vorwand nimmt.Zwar ist sie eine Links-, aber sie ist keine Sozialliberale. Der Freiburger Kreis, dem sie angehört, erinnert an die Freiburger Thesen der FDP von 1971, in denen unter anderem kommunale Bodenvorratspolitik gefordert wurde. Hierzu wird man von Leutheusser-Schnarrenberger aber nicht viel hören. Wirtschaftspolitisch ist sie ähnlich marktliberal wie Westerwelle. Das passt durchaus zusammen. Der Wiederaufstieg der Bürgerrechtlerin wäre gar nicht möglich gewesen ohne den Zulauf von Neoliberalen, der ihre Partei – und damit auch ihren linksliberalen Flügel – unter Westerwelle nach oben getragen hat.