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Postdemokratie Vielleicht gilt das nicht für die Parteien, die sich jetzt um eine Regierungsbildung mühen – für „die Märkte“ allerdings ist Italien durchaus regierbar
Ausgabe 10/2013

Der Ausgang der italienischen Wahlen hat das ethnologische und politologische Vokabular in Deutschland enorm erweitert: Die FAZ schrieb von einer „Grillokratie“. Italien sei ein Paradies, das von Teufeln bewohnt werde. Peer Steinbrück bezeichnete Berlusconi und Grillo als Clowns und wurde damit erstmals ein bisschen populär. Vornehm stach die Kanzlerin von ihm ab: Sie sagte nichts. Und doch meinten alle zu wissen, was sie dachte. Sie hatte schon vor einiger Zeit dem Begriff der Demokratie ein Adjektiv hinzugefügt: Marktkonform müsse diese sein. Das italienische Resultat wurde einer solchen Bedingung angeblich nicht gerecht: Irgendwie demokratisch mag es zustande gekommen sein, die Besonderheiten des dortigen Wahlrechts (relative Mehrheit der Stimmen gleich absolute Mehrheit der Mandate) hinderte die Menschen nicht daran, so zu votieren, wie ihnen zumute war. Aber war Volkes Wille, der so chaotisch erscheint, auch marktkonform? Kommt darauf an, was man darunter versteht.

Fragen wir zunächst, wie demokratisch die allgemeineren gesellschaftlichen Bedingungen sind, denen sich die Wähler seit einiger Zeit ausgesetzt sehen, und das nicht nur in Italien. Sind sie demokratiekonform? Seit den griechischen Ereignissen vom November 2011 gibt es da gewisse Zweifel. Man erinnert sich: Premier Papandreou wollte ein Referendum über das Rettungspaket für sein Land – genauer: über die harten Bedingungen, unter denen es gewährt wurde – ansetzen. Die „Märkte“ – was das ist, müssen wir noch erörtern – und leitendes Politikpersonal nördlich der Alpen reagierten ungehalten. Als Papandreou seine Ankündigung zurückzog, mochte kaum jemand ohne Augenzwinkern dementieren, dass dies unter Druck geschehen sei. Im selben düsteren November 2011 wurde Mario Monti italienischer Ministerpräsident. Wie demokratisch ging es dabei zu? Monti wurde vom Parlament bestätigt, hatte sich aber – anders als sogar Berlusconi – vorher nicht einer allgemeinen Wahl stellen müssen. Im Februar 2013 war er Parteiführer und fiel durch. Warum?

Allemal marktverträglich

Da man in der Bundesrepublik derzeit nur als Italien-kompetent gilt, wenn man sich über den dortigen Volkscharakter äußert, soll jetzt von dem in diesem Land angeblich verbreiteten Dietrismo die Rede sein. Dies sei ein paranoider Argwohn, wonach hinter (dietro) einer offiziellen Fassade immer auch noch etwas anderes stecke. Das ist ein überhaupt nicht auf Italien beschränkter Aberglaube mit investigatorischem Anspruch, der besonders in Krisenzeiten blüht. Also: Was schien hinter Monti zu stecken? Er war Berater bei Goldman Sachs. Als EU-Kommissar hatte er sich mit Microsoft angelegt, aber auch das war eine landfremde Tätigkeit.

Noch abträglicher war für Monti die Art seiner Bestallung: Nur schwach demokratisch legitimiert, schien sie letztlich von übernationalen Instanzen herbeigeführt: EU-Kommission, EZB und IWF. Und wenn sich dies nicht nachweisen ließ, dann konnte er doch als deren Wunschkandidat gelten. Zweck: Sanierung des Etats, um die Gläubiger der römischen Staatsschulden vor Ausfällen zu bewahren. Mittel: Steuererhöhung und Sparen. Besonders Letzteres wird als marktkonform dargestellt. Für das Scheitern einer solchen Politik gilt das aber ebenso. Sollte infolge des Wahlergebnisses der Wert der Italien-Anleihen sinken, wird eine neue Gruppe von Gläubigern aktiv: Schnäppchenjäger, die sie wohlfeil aufkaufen und später teurer veräußern werden, nachdem – vielleicht durch neue Stützungsmaßnahmen – der Kurs wieder gestiegen ist. Die Wähler können machen, was sie wollen: Marktverträglich ist es allemal.

Die beiden Formationen, die Italien angeblich unregierbar machen, gehören nicht in den gleichen Topf: auf der einen Seite, bei Beppe Grillo, teils radikaldemokratische, teils anarchistische Wutbürgerei – auf der anderen ein Plutokrat. Der ist keineswegs aus der Zeit gefallen. Berlusconi hat das politische System seines Landes auf die Höhe der ökonomischen Tatsachen gebracht. Hier musste ein Milliardär nicht mehr auf Umwegen bei Parlament und Regierung seinen Einfluss geltend machen – er wurde gleich selbst Ministerpräsident.

Die falsche Frage

Auch das ist keine italienische Abweichung von marktliberaler Normalität. In den US-Wahlkämpfen verweisen Kandidaten darauf, dass sie große Spenden von Unternehmen eingeworben haben, und stellen dies als eine Art zusätzlicher politischer Legitimation dar. Da es keinen Zweck hat, gegen das große Geld zu regieren, ist der ein erfolgreicher Politiker, bei dem nicht zu befürchten ist, dass seine Vorhaben an ökonomischer Sabotage scheitern. Intime Nähe der Politik zu wirtschaftlicher Macht imponiert auch (und gerade) dem sogenannten kleinen Mann. Es wurde ja auch schon ein Wort für diesen Zustand gefunden: Postdemokratie.

Gewiss, es gibt ein Gegenkonzept: Bändigung der Finanzmärkte. Hierfür stehen – bei allen sonstigen Unterschieden – Monti, Merkel, Steinbrück, auch die Professoren Bofinger, Habermas, Nida-Rümelin. Letztere haben ein hübsches Papier zu diesem Thema vorgelegt. Das gemeinsame Problem all dieser Wohlmeinenden: Offenbar sehen sie keine Möglichkeit, die Umverteilung von unten nach oben, die seit 30 Jahren stattfindet, rückgängig zu machen. Dadurch sind erst die Finanzmassen freigesetzt worden, die jetzt an den Börsen vagabundieren und die Staatshaushalte als Geiseln nehmen. Wer die Etats vor ihnen retten will, ohne die bestehende Ungleichheit wenigstens zu mildern, hat als einzige Möglichkeit nur noch Sparpolitik mit Abbau sozialer Standards. Stabile Mehrheiten dafür lassen sich vielleicht im Norden, wo inzwischen ein selbstzufriedener Mittelstandsbauch gewachsen ist, gewinnen, aber nicht so leicht in den armen Ländern des Südens.

Kann Demokratie marktkonform sein? Die Frage ist falsch gestellt. Es geht nicht abstrakt um irgendeinen Markt an sich, sondern um einen Plural: „die Märkte“, und gemeint sind die Finanzmärkte. Wenn diese sich die Politik unterworfen haben, lassen sie sich kaum reformieren. Und gegen Wahlergebnisse – egal, wie diese ausfallen – sind sie letztlich immun. Für „die Märkte“ zumindest ist auch Italien nicht unregierbar.

Georg Fülberth hat jüngst den politischen Auftakt des deutschen Wahljahres kommentiert

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