Sommerschlussverkauf

Wunschlos unzufriedene Wähler Kanzlerin Merkel kann nur hoffen, dass sich ihre Politik weiterhin als alternativlos anbieten lässt

Die Umfragewerte für die Große Koalition sind im Keller. Nur eine recht kleine Minderheit des Publikums - so lesen wir - ist mit ihr zufrieden. So schnell hat sich der Bonus, den sie nach ihrer Gründung bekam, aufgebraucht. Aber das ist normal. Seit es die Bundesrepublik gibt, geraten ihre Regierungen und Kanzler oft bald nach ihren Wahlerfolgen in ein Tief. Schon Adenauer kannte dies: Landtagswahlen, die im Jahr nach seinen jeweiligen Triumphen stattfanden, brachten große Erfolge der Opposition. Brandt schien im November 1970 verloren. Kohl galt während der gesamten achtziger Jahre zwischendurch immer wieder als Auslaufmodell. Die Talfahrt der Schröder-SPD begann jeweils nach ihren Siegen von 1998 und 2002.

Was ist also jetzt anders? Vielleicht dies: Der Absturz der Regierung verband sich in der Vergangenheit mit der Hoffnung für die jeweils andere hauptsächliche Oppositionspartei. Selbst bei einer Großen Koalition schien dies einmal möglich: Zwischen 1966 und 1969. Die SPD hatte sich den Zugang in die Bundesregierung erkämpft, aus der sie 17 Jahre lang ferngehalten worden war. Die Teilhabe an der Macht war die erste Etappe eines Aufstiegs. 2005 aber fanden sich zwei Verlierer.

Kommen wir vom Image zum Inhalt, dann hat die jetzige Regierung allerdings viel getan, um ihren Abstieg zu beschleunigen. Die Eckpunkte zur so genannten Gesundheitsreform sind so innovationslos zusammengeschustert, dass es wie eine Provokation wirken musste. Als Merkel und Müntefering ihr Werk auch noch als "Durchbruch" feierten, schienen sie überdies von allen guten PR-Geistern verlassen. Dies ist dann schon wieder das Positive: Die Regierung verzichtet auf die genialische Blenderei, mit der sich einst Schröder und Fischer zu helfen wussten. Sie und der Bundespräsident haben die Public Relations deshalb inzwischen anderen überlassen, zum Beispiel für ein paar Wochen den Fußballern. Unvergesslich - und hoffentlich von den Kabarettisten immer wieder einmal hervorgeholt - die Weihnachts- und Silvesterauftritte 2005 von Köhler und Merkel: Deutschland wird Weltmeister. Vom 9. Juni bis zum 9. Juli 2006 musste von der offiziellen Politik kaum noch die Rede sein. Allerdings: Dabei wurde fast vergessen, dass es neben Klinsmann und Podolski auch noch eine Regierung gab, und als die Meinungsforscher nach ihr fragten, kam die irritierte Antwort: Weiß nicht, vier minus.

Danach wurde der Fußball durch die Eskalation des Nahost-Konflikts abgelöst. In Berlin war man zunächst wohl froh, dass der Blick dorthin abgelenkt wurde. Jetzt wird man doch irgendwie teilnehmen müssen und kann sich nicht, wie einst Schröder, einen außenpolitischen Entlastungseffekt organisieren. Und irgendwann geht die Ferienzeit zu Ende. Sie hat dieses Jahr, wegen der WM, viel früher begonnen und dauert deshalb länger. Steinbrück sieht hier schon wieder eine Einspar-Möglichkeit.

Es gibt noch einen zweiten Umfragebefund: Mögen die Bürgerinnen und Bürger mit der Regierung unzufrieden sein - mit ihrer persönlichen Lage sind sie es oft nicht. Dies gilt immerhin für viele, nicht für die hoffnungslosen Fälle. Sie interessieren so lange nicht, wie ihre Zahl nicht signifikant zunimmt.

Ein Grund für das relative Behagen bei der Einschätzung der individuellen Situation liegt in der konjunkturellen Erholung. Die ist - einschließlich der bescheidenen Besserung der Arbeitsmarktdaten - das zyklische Business as usual. Frank-Jürgen Weise, der Chef der zuständigen Nürnberger Agentur, verfiel kurzzeitig sogar in die alte PR-Sünde und deutete an, es handele sich vielleicht um eine neue Tendenz. Er weiß selbst, das ist Unsinn. Eine Wende wäre es erst dann, wenn die Sockelarbeitslosigkeit abgebaut wäre und es im aktuellen Aufschwung mehr Beschäftigung gäbe als im vorigen.

Und selbst dann würde das vielleicht nicht der Regierung zugeschrieben. Mittlerweile sitzt nämlich in den Köpfen tief drin, was Köhler, Merkel und Westerwelle so lang lehrten: Wirtschaft finde in der Wirtschaft statt und nicht in der Politik. Die Einzelnen müssten auf sich selbst vertrauen und nicht auf Unterstützung von außen rechnen. Jetzt steht auf der Quittung: Wer meint, es gehe ihm ein bisschen besser, führt dies auf die eigene Tüchtigkeit zurück, nicht auf die Regierung. Die hätte sich dann, was die Wirkung marktliberaler Propaganda angeht, tot gesiegt.

Vielleicht hoffen Merkel und Müntefering auch darauf, dass ihre Politik weiterhin als alternativlos aufgefasst und deshalb irgendwann wieder honoriert wird. Zu zeigen, dass es in Wirklichkeit auch ganz anders ginge - das wäre die Aufgabe der Opposition.

Au Backe: Fehlanzeige.

In demagogischer Absicht hat die SPD 2005 die Bürgerversicherung propagiert. Sie wurde auf das Gesundheitswesen beschränkt, Arbeitslosen- und Rentenversicherung waren ausgespart, die Beitragsbemessungsgrenze sowie die Niedrigsteuer-Politik machten das Ganze zur Luftnummer, und jetzt ist es vergessen. Das müsste nicht sein. Angesichts der verkorksten Gesundheitsreform wäre hier die große Chance zumindest für die Linkspartei, wohl auch für diejenigen Grünen, die sich nicht nach Jamaika verabschieden wollen. Renten- und Arbeitslosenversicherung müssten einbezogen werden. Papiere in Schubladen und offizielle Programme gibt es in beiden Parteien schon lange. Was fehlt, ist die Umsetzung in einer Offensive und die Konzentration auf dieses Feld, das sich schnell ausweiten müsste. Es ginge auch um den Kampf für eine skandinavische Steuerpolitik.

Vielleicht ist die Berufung von Ellis Huber zum gesundheitspolitischen Berater der Linkspartei-Fraktion ja ein erster Lichtblick. Bisher schien die Ansicht vorzuherrschen, Umfragewerte satt über fünf Prozent seien doch auch etwas, und mehr brauche man nicht zum eigenen Wohlergehen. Dies wäre die Haltung einer Klientel- und Selbsterhaltungspartei, also ein bisschen wenig.


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