Vor dem 11.September 2001 konnte prophezeit werden, dass Schills "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" (PRO) in die Hamburger Bürgerschaft kommen werde und dass die Grünen in dem Maße verlieren würden, in dem es ihnen bei allen Regionalwahlen nach ihrem Eintritt in die Bundesregierung passiert ist. Unklar blieb, ob die SPD nach 44 Jahren in die Opposition musste. Die letzte Frage ist auch bei früheren Wahlen immer wieder gestellt und überraschenderweise jedesmal verneint worden. In Hamburg war die SPD schon lange fällig für die Opposition. In jahrzehntelanger Dominanz hatte sie einen Behördenfilz ausgebreitet, der einerseits ihre Macht stabilisierte (denn wer dazugehörte, wählte sie), andererseits den Ruf nach einem "Wechsel" stets frisch laut werden ließ. Deshalb hat sie immer wieder Teile ihrer Klientel verloren - erst an die GAL, dann an die Statt-Partei - und sich anschließend dadurch an der Macht gehalten, dass sie mit den Neuen koalierte. Schills Aufstieg beruhte nur teilweise auf seinem einzigen Thema: Law and Order. Hinzu trat der massive Wechsel-Wunsch bei vielen, die dafür sogar Unappetitliches in Kauf zu nehmen bereit waren.
Die Anschläge in New York und Washington haben das Wahlergebnis wahrscheinlich in zwei Punkten beeinflusst. Erstens: Schill gewann noch stärker als vorher angenommen. Er profitierte von der angeblich erhöhten Aktualität des Themas Innere Sicherheit. Zweitens: Die SPD hat sich behauptet (allerdings auf dem niedrigen Niveau ihres Einbruchs von 1997). Hier folgte ein erheblicher Teil der Wählerinnen und Wähler dem altbekannten Reflex, in Zeiten der außenpolitischen Krise sich hinter die größere Regierungspartei zu stellen (sofern diese nicht, wie Adenauers CDU 1961, selbst Teil des Problems ist).
Die Verluste der Grünen sind wahrscheinlich nicht durch den Umbruch vom 11. September verursacht worden. So hoch sie waren: sie blieben im vorher schon erwarteten Rahmen. Die Einbuße der CDU ging nur deshalb über das Ausmaß hinaus, welches aufgrund der bundesweiten Formschwäche der Union ohnehin zu erwarten war, weil eben Schill ihr noch zusätzlich etwas wegnehmen konnte. Dieser hat überdies Zuzug von bisherigen Nichtwähler(inne)n erhalten, wodurch die Wahlbeteiligung insgesamt stark gestiegen ist. Das Ergebnis der FDP ist für sich betrachtet - sieht man also von seinen etwaigen Koalitionsfolgen ab - nicht bemerkenswert. Wie anderswo auch, hat sie ein bisschen Nutzen aus der Misere der CDU gezogen, aber weit weniger als anderswo. In Hamburg räumte Schill stärker ab.
Überraschender als das Wahlergebnis selbst ist die - in diesem Fall darf man wohl sagen: finstere - Entschlossenheit von Freidemokraten und Union, mit Schill zu koalieren. Ole von Beust äußerte die Verpflichtung, seinem vor der Wahl gegebenen Wechselversprechen nachzuspringen. Dies und die Zusage der FDP könnten bundesweite Folgen haben, welche den Hamburger Erfolg zu einem Pyrrhus-Sieg machen mögen. Das Bündnis mit einem Rechtsaußen kann zur bundespolitischen Polarisierung führen, welche der Sozialdemokratie wahrscheinlich bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus nützen wird und - falls die SPD es geschickt anstellt - noch bis 2002 wirken kann. Angela Merkel war am Abend nach der Wahl im "Tagesthemen"-Interview hilflos, und Westerwelle pfeift im Wald. In seiner eigenen Partei ist die Hamburger Koalition umstritten.
Am 21. Oktober in Berlin fehlt der Schill-Faktor. Die regionale Besonderheit der Hauptstadt - die PDS - ist eine bekannte Größe, es ist also kein Erdrutsch zu erwarten, der Wowereit gefährden könnte. Interessant wird die Berliner Wahl nebenbei deshalb, weil hier die Grünen schon zum zweiten Mal nach dem Regierungswechsel von 1998 antreten müssen. Hier wird sich zeigen, ob sie mit den Verlusten von 1999 an eine Grenze gekommen sind, die nicht mehr unterschritten wird. In anderen Ländern und 2002 im Bund steht dieser Test noch bevor.
Aber solche Überlegungen sind weniger wichtig als die Frage, ob Schills Durchmarsch seiner Richtung auch außerhalb Hamburgs zum Durchbruch verhelfen kann. Er selbst hat nach der Wahl sehr den Mund voll genommen. Aber auch der Statt-Partei war es nicht gelungen, eine Hamburger Besonderheit überregional interessant zu machen. Schills Repressionslust wird bundesweit von den "Republikanern" vertreten. Und diese schwächeln. Es ist zur Zeit nicht absehbar, dass ihre Konkurrenten - DVU, NPD oder "Rechtsstaatliche Offensive" - in absehbarer Zeit dort wesentlich besser abschneiden werden. Ein etwaiger Rechtsruck, der vom Hamburger Ergebnis ausgelöst werden mag, wird vielleicht ganz anders aussehen. Es kann nämlich sein, dass Schill sozusagen in die beiden großen Parteien einwandert und dass dort wieder einmal diejenigen den Kurs bestimmen werden, die den Rechten das Wasser abgraben wollen, indem sie ihnen inhaltliche Zugeständnisse machen. Insofern ist in nächster Zeit nicht nur auf Schill zu achten, sondern auch auf Stoiber und - ja: auf Schily.
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